Geister und Körper
Un-Zu Ha-Nul Lee
HfG Offenbach
23–07–2018
Artist text by Johanna Müller

Un-Zu Ha-Nul Lee, HANEL ISO 14356, 2018, installation view, HfG Offenbach. Courtesy: the artist

Ein geisterhafter Körper mit überlangem Hals scheint schwerelos im Raum zu schweben. Der Körper hat seine Arme verloren, auch die Beine fehlen. Nur ein Kopf, der scheinbar schlafend oder träumend auf dem langen Hals sitzt, überragt die Besucher*innen der Kunsthalle in Offenbach am Main. Neben der geisterhaften Figur sind weitere Elemente an der Decke angebracht: Ein weites, mantelartiges Gewand aus hautfarbendem, zartem Stoff, daneben eine zu einem Konglomerat zusammengeschlossenene Vielzahl an Orchideen-Blüten und schließlich ein zweiter nackter weiblicher Torso, dessen Transparenz die Ausstellungswände durchscheinen lässt. Zusammen ergeben die vier Elemente ein unheimliches und geisterhaftes Zusammenspiel.
Für den 21. Rundgang der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) präsentiert die koreastämmige Künstlerin Un-Zu Ha-Nul Lee die Installation HANEL ISO 14356, für die Lee vor allem Silikonabdrücke ihres eigenen Körpers verwendet. Die Kunststudentin, die die Klasse des Frankfurter Konzeptkünstlers Heiner Blum besucht, interessiert sich für die exakte Reproduktion ihrer eigenen Körperlichkeit. Um jede ihrer Poren, jede ihrer Narben und jede Falte einzufangen, verwendet sie die Dubliermasse Alginat, welche sie auf ihren Körper aufträgt. Das Material wird auf Grund seiner großen Wirklichkeitstreue u.a. von Maskenbildner_innen für Horrorfilm-Produktionen benutzt. Auch Lees Arbeit nimmt anleihen an das Geisterhafte und Unheimliche – jedoch ist ihre Installation viel zarter und weit entfernt vor dem Horror des Filmgenres. Der Alginat-Abdruck ihres Körpers bildet das Negativ, das beliebig oft als Positiv reproduziert werden kann. Die Negativabdrücke ihres Gesichts, ihres Rumpfs und jene von Orchideen-Blüten füllt Lee mit Silikon auf. Das Silikon erlaubt ihr, eine nachgiebige, merkwürdige Konsistenz zu produzieren, die zwischen hoher Viskosität und Härte schwankt. Die von ihr so hergestellten Objekte, deren Weichheit an Kinderspielzeug erinnert, faszinieren und ekeln zugleich. Einige der Silikonteile lässt Lee kolorieren. Die Orchideenblüten färbt sie in bunten Farben ein, so dass ein starker Kontrast zur natürlichen Farbgebung entsteht. Ihren eigenen Kopf und den dazugehörigen Rumpf jedoch bearbeitet die Kunst-Studentin mit feinen Pigmenten und Schminkpinseln: Wie eine Maskenbildnerin trägt sie natürliche Hautfarben und Schattierungen, die eine dreidimensionale Wirkung haben, auf. So enthält eines der vier Elemente der Installation eine besonders plastische und wirklichkeitsgetreue Wirkung. Erst der überlängte Hals und der hüllenartige, oberflächenhafte Abdruck des weiblichen Oberköpers gemahnen an den nicht-menschlichen Charakter der Arbeit. Lees Körperabdrücke haben kein Volumen: Sie sind bloße Hüllen, die wie Abzüge ihrer Haut wirken – jedoch ohne Fleisch und ohne tatsächliche Körperlichkeit. Durch die reliefartigen Abdrücke ihres Körpers entstehen keine „richtigen“ Plastiken sondern vielmehr Kleidungsstücke oder Hüllen. Die Reproduktionen von Lees Oberkörper erinnern an militärische Brustpanzer, allerdings hat das weiche Silikon jegliche Schutzfunktion abgestreift.

Un-Zu Ha-Nul Lee, HANEL ISO 14356, 2018, installation view, HfG Offenbach. Courtesy: the artist

Durch den Hüllen- oder Masken-Charakter des Gesichts, Halses und Rumpfes wird eine Verbindung zu einem weiteren Element der Installation hergestellt: Zu dem mantelartigen Gewand, welches die Künstlerin neben der zentralen Verbindung aus Kopf, Hals und Oberkörper platziert. Das Kleidungsstück hat Lee nach eigenen Schnittmustern aus Kreppseide hergestellt. Die raue Seide unterzog sie mehreren Färbeprozessen, um unterschiedliche Inkarnat-Farbtöne zu erzielen. Schließlich ließ sie den langen Mantel mit Silikon überziehen, was der Kreppseide ein weicheres und zugleich glänzendes Äußeres verleiht. Einer Beschichtung ähnlich, bildet erneut das Silikon eine äußere Hülle für das (ohnehin schohüllenartige) Kleidungsstück.
Die Einheit aller vier Elemente (Orchideen-Blüten, Gewand, Rumpf und Kopf) erreicht Lee über das Material. Alle Teile der vielgliedrigen Installation sind aus Silikon hergestellt oder mit Silikon bearbeitet worden. Obgleich sie Verschiedenes repräsentieren, werden sie im Material vereinigt.
Schon Roland Barthes hatte in seiner Essaysammlung „Mythen des Alltags“ dem Material Plastik, einer übergeordneten Form des Silikons, ein eigenes Kapitel geschenkt [1]. Für Barthes stellt sich hier das Plastik als das Universalmaterial des 20. Jahrhunderts dar: Es kann zu allem werden – sowohl zu einer Salatschüssel als zu einem Montageteil für die Automobilindustrie. Es kann, dem Gold ähnlich, immer wieder eingeschmolzen werden und immer etwas Neues entstehen lassen. Die Arbeit HANEL ISO 14356 greift diesen Gedanken auf und führt in weiter. In ihr wird das Plastik bzw. das Silikon sogar zu einem menschlichen Körper und zu Orchideen-Pflanzen. Etwas, das der Reproduktion in unorganischem Material sehr fern liegt (das Körperliche, das „Natürliche“), verwandelt Lee in reproduzierbare, in Plastik gegossene Hüllen. Die Reproduktionen, die Lees Arbeit vornimmt, sind aber immer gebrochen. Durch die Flächigkeit und die Fragmentierung der Silikonabdrücke wird eine Verwechslung mit dem „echten“ Körper ausgeschlossen. Und selbst wenn – wie im Falle der Orchideen – dem Volumen nach kein Unterschied zwischen Original und Abguss entsteht, lässt die Künstlerin das Material derart bunt einfärben, dass die Reproduktion sofort sichtbar und sogar ausgestellt wird. Auch wenn auf den ersten Eindruck ein Unterschied zwischen Lees Körper und dessen Abdrücken nicht feststellbar ist, überwiegt bei näherer Betrachtung die Diskrepanz zwischen „natürlicher“ Körperlichkeit und „künstlichem“ Abdruck. Lee transformiert das, was sie in der Realität und an ihrem Körper selbst vorfindet und rückt es in ein fragmentiertes oder bunteingefärbtes Licht.

Un-Zu Ha-Nul Lee, HANEL ISO 14356, 2018, installation view, HfG Offenbach. Courtesy: the artist

„HANEL ISO 14356“ betitelt die junge Künstlerin ihre Arbeit. Damit spielt die Lee auf den Namen, den sie sich selbst gibt, „Hanel“, und die ISO-Norm für die synthetische Masse Silikon an. Durch die Titelgebung schafft die Künstlerin sich ein Alter-Ego, das sich seiner vergänglichen Körperlichkeit, seiner irdischen Verwurzelung entledigt hat. Ihr zweites Ich aus Silikon ist verzerrt und scheint sich sogar bereits verdoppelt zu haben. Es ist mit zwei Attributen ausgestattet: Dem hautfarbenen Gewand, das es begleitet, aber nicht bekleidet; und den Orchideen-Blüten, die einem Blütenregen ähnlich in beinah allen der Installationselementen vorkommen. Während das silikonüberzogene Gewand eine weitere Haut, eine Hülle darstellt, nehmen die Orchideen eine andere semantische Rolle ein. Sie sind plastisch am wirklichkeitstreusten nachgebildet, sind allerdings in bunten Farben angefertigt, die neben den allgegenwärtigen, zurückhaltenden Inkarnatstönen auch intensives Pink, Grün und Blau zeigen. Farblich nehmen damit die Orchideen am meisten Abstand zu ihrem Vorbild in der Realität. Die Weichheit und Zerbrechlichkeit der Pflanzen wird in labberiges Silikon übersetzt. Die Blüten wirken in ihrem Plastik-Abdruck vergröbert und abstrahiert. Durch die farbliche und abstrakte Entfernung von ihrem Original wirken die Orchideen-Reproduktionen weniger wie Blumen als wie das weibliche Geschlechtsorgan. Vulven und Vaginen ähnlich, entstehen übereinander liegende Schichten, Falten und Eingänge. Das, was den Oberkörpern fehlt, die Vagina (oder der Penis), wird durch die Orchideen in die Installation hineingetragen. Sie vermögen die Bezugnahme auf die Exponiertheit des weiblichen Körpers zu unterstützen, ohne explizitzeigen zu müssen. Mit Subtilität und Zartheit lässt Un-Zu Ha-Nul Lee die Frage nach der Rolle des Frauenkörpers in ihre Installation einziehen. Ihre Arbeit bewegt sich damit innerhalb der Beziehungen, die zwischen Körpern und ihren Abbildern, ihren Geistern entstehen. Bei ihr haben sich die Abbilder oder ihr Alter-Ego von der Realität distanziert. Sie werden zu eigenständigen Wesen und heben sich vom Ausstellungsboden ab. Und auch wenn sie derart von der Realität distanziert zu sein scheinen, gemahnen sie an die Hüllenartigkeit, die Oberflächlichkeit und Versehrtheit der weiblichen Körper unserer Realität.

Un-Zu Ha-Nul Lee, HANEL ISO 14356, 2018, installation view, HfG Offenbach. Courtesy: the artist

[1] Barthes, Roland: Plastik, in: Ders.: Mythen des Alltags, Berlin 2010, S. 223ff.