Schuld ohne Sühne
Anmerkungen zur Gruppenausstellung “Schuldiger Realismus”
Galerie Anton Janizewski, Berlin
28–04–2022
Exhibition Note by Naomi Rado

Der Instagram-Account ist nun gesperrt, aber ruhig ist es kaum um den Tannhäuser Kreis, die Künstler:innengruppe, die sich selbst unter dem Neo-Stilbegriff Schuldiger Realismus subsumiert. Es wundert kaum, dass das Profil früher oder später gecancelt wurde, denn das Spiel mit neurechter Bildsprache, Runen und NS-Symboliken ist nur subtil von bloßer Affirmation zu unterscheiden. Das kritische Potenzial hingegen, der ästhetischen Strategie des Tannhäuser Kreises, lässt sich eher in den Erklärungen zu den Werken als in ihnen selbst finden. So zumindest lautet der Vorwurf derer, die das Spiel mit Frakturschrift und Hakenkreuz als gefährlich einstufen und sich kaum davon überzeugen ließen, dass es sich hierbei nicht einfach um anstandslose Nazi-Jokes handele. Für die Publikation Politik von Medienbildern, herausgegeben von Fotograf und Konzeptkünstler Jonas Höschl, habe ich einen Beitrag über die Bildsprache dieser Künstler:innengruppe hinsichtlich ihrer Medienpräsenz geschrieben. Auch Höschl selbst ist mit einer Arbeit in der Ausstellung “Schuldiger Realismus” vertreten, die noch bis zum 30. April 2022 in der Galerie Anton Janizewski zu sehen ist. Die Publikation erschien am 27. April bei dem Verlag Hatje Cantz.

Die gegenwärtige Ausstellung sowie die Sperrung des Instagram-Profils geben allerdings Anlass, jene Werke in den Fokus zu nehmen, die sich im Galerieraum präsentieren und dadurch, anders als auf Instagram, ihre Bewertung als dezidiert künstlerische Zeugnisse doch näher legen. Einige Kernpunkte des Beitrags sollen hier noch einmal mit den bei Janizewski ausgestellten Kunstwerken verknüpft werden, um die Einordnung des Schuldigen Realismus und seine Bedeutung zugänglicher zu machen.

Installationsansicht "Schuldiger Realismus", Galerie Anton Janizewski, Berlin, 2022. Photo: Hans-Georg Gaul

Wieder ein missverstandener Realismus?

Schuldiger Realismus als Selbstbezeichnung verweist nicht zufällig auf die historischen realistischen Strömungen in der Kunst. Der Stilbegriff trat, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Schirm, als sich in der globalen Pandemie, unter anderem aus dem Dunstkreis des schon seit Jahren polarisierenden Künstler:innen-Kollektivs Frankfurter Hauptschule, der Tannhäuser Kreis heraus bildete. Wie dem ausstellungsbegleitenden Text von Kurator Julian Volz zu entnehmen ist, „scheint das Unerwünschte in unserer Gegenwart eine solche Dominanz errungen zu haben, dass es nicht ausreicht, einfach wegzuschauen und eine am linksliberalen Konsens orientierte Wohlfühlkunst zu machen, die sich in Unschuld übt.“ Volz’ Einschätzung legt damit nahe, dass es sich bei diesem “Unerwünschten” - womit unweigerlich nicht nur die Präsenz der Corona leugnenden Massenproteste, sondern im Allgemeinen ein rasanter und globaler Anstieg neofaschistoider Tendenzen gemeint ist - längst nicht mehr nur um ein Nischenprodukt, sondern eine reale Bedrohung für die offene Gesellschaft handelt. In verschiedenen Ausprägungen versuchten seit jeher realistische Strömungen der Vergangenheit eine Abbildbarkeit des Tatsächlichen zu erschaffen. Nicht etwa, formal-ästhetisch, durch naturalistische Tendenzen der Darstellung im Bild, sondern in ihrem Suchen nach einer Ausdrucksform für gesellschaftliche Wirklichkeit, ließe sich der Ansatz der Realist:innen deshalb besser begreifen. In der künstlerischen Praxis umfasst realistische Kunst daher ebenso wenig nur Werke, die durch Abbildung gesellschaftlicher Schichten im Bild ein Abbild des vermeintlich objektiv Wirklichen suchten, sondern auch solche, die in neu- und selbsternannten Realismen eine Kategorisierung für das Wesen eigener Bildstrategien, als Ausdruck des Wirklichen, festhalten wollten. So müssen denn auch die Bildstrategien des Tannhäuser Kreises vor dem konkreten Hintergrund betrachtet werden, sich an einer Kultur der Neuen Rechten abarbeiten zu wollen, um sie als reales Phänomen festzuhalten und erst in der jeweiligen Art der Reproduktion mit ihr zu brechen. “Schuldig” sind die Werke jedoch nicht etwa durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Haltung, sondern durch ihren Zugriff auf das gewählte Sujet allein. Das, was in den Werken zur Schau gestellt wird, verhandelt die ideengeschichtliche Entwicklung des Rechtspopulismus in seinen ästhetischen Ausprägungen und zeigt die gesellschaftlichen Kontinuitäten auf, die für seine stetige Revitalisierung zur Verantwortung gezogen werden müssen. Ich möchte behaupten, dass es in den Werken des Tannhäuser Kreises weniger darum geht, die Gewalt neurechter Ideologie auszustellen, als darum, eben diese durch ambivalente, humoristische Aneignung gleichzeitig zu verstehen, als auch zu unterlaufen.

Installationsansicht "Schuldiger Realismus", Galerie Anton Janizewski, Berlin, 2022. Photo: Hans-Georg Gaul

Das Instagram-Profil zeigte seit Mitte 2020 provokante Memes, aber auch Kunstwerke, die sich einer Bildsprache bedienen, die auf den ersten Blick kaum von jener rechter Trolls zu unterscheiden ist. Doch im Gegensatz zu der rechtspopulistischen Propaganda, die sich mittlerweile unverhohlen auf Social Media und in wirren Youtube-Videos zur Schau stellt, möchte sich der Schuldige Realismus als kritische Reaktion auf, nicht aber als Zuspruch für, diese vollends im virtuellen Raum angekommene, gefährliche Ideologie zu verstehen geben. Die während der Pandemie sowohl an Prominenz als auch Zuspruch gewinnenden esoterisch-faschistoiden Randgruppen gelangten mit öffentlichen Aufruhen, Querdenken und ähnlichen Protesten von Impfkritiker:innen, schnell in den medialen Mittelpunkt der Gesellschaft, aber auch das Gedankengut, das sich hinter ihnen verbirgt, nahm alsbald einen akzeptierten Platz in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft ein.

Hier bereits muss auf eine gravierende Problematik neurechter Tendenzen aufmerksam gemacht werden, denn nichts wird von ihren Vertreter:innen mit dem gleichen Nachdruck betrieben, als das Dementieren des eigenen Gedankenguts. Ebenso subtil, wie die Werke des Tannhäuser Kreises zwischen bloßer Reproduktion und kritischer Aneignung changieren, tut es auch die Rhetorik der Neuen Rechten: bloß nicht zu direkt, um nicht im eigentlichen Bestreben enttarnt zu werden. Dass sich anlässlich der Entwicklung eines solchen gesellschaftlichen Phänomens eine Auseinandersetzung mit ihm anbietet, ist nachvollziehbar und wichtig. Besonders weil sich darin realpolitisch nuancierte Argumentationen entwickelt haben, die versuchen, jedwede Schuld von sich fernzuhalten, sich als harmlos, besorgt und in einer Opferrolle zu inszenieren, die vor blanker Leugnung der Shoah nicht zurückschreckt. Es fällt schwer bei dieser Extremform gesellschaftlichen gaslightings und den offenkundigen Unwahrheiten, die in der Selbstdarstellung und -wahrnehmung dieser Bewegung zu Tage treten, besonnen zu agieren. Besonders hinsichtlich der Debatten um Cancel Culture klafft eine Wunde in der Gesellschaft, die dem Umstand geschuldet ist, auf die gefühlsbasierte Argumentation von Verschwörungsideolog:innen anders als mit Distanzierung und striktem Ausschluss kaum reagieren zu können. Die inhärente Wissenschaftsfeindlichkeit dieser Ideen hat sich, so scheint es, gegen jede fundierte Argumentation und belegbare Theorie immun gemacht. Indes versucht sie ihrerseits einen status quo in der Debatte durch diese Inszenierung als ausgeschlossene Gruppe zu erlangen, die sich der »Lügenpresse« mit aufklärerischem Geist entgegenstellt. Dieses Selbstbild, das auf Verharmlosung pocht, sei es durch Benennung der gegen jedwede Pandemieregelungen verstoßenden Proteste als »Spaziergänge« oder der projektiven Anwendung des Faschismusbegriffs auf politische Gegenbewegungen, erschwert die Auseinandersetzung.

Der Tannhäuser Kreis machte es sich also, vorerst im Internet, zum Anliegen, kulturelle Phänomene und Symboliken aufzugreifen, die als einendes Element dieser Protestszene ausgemacht werden können und sie durch eine brutale Überspitzung zu brechen. Etwas “Deutschtümelndes” kam in ihnen zum Ausdruck. Was jedoch die Werke des Tannhäuser Kreises im Gegensatz zu den realen Ausprägungen menschenfeindlicher Bestreben so unbehaglich wirken lässt, ist, dass sie keine Scheu haben, das zu präsentieren, was die populistische Politik der Neuen Rechten im Kern ausmacht.

Nicholas Warburg, Titelbild 11, 2022, Acryl auf Leinwand, Photo: Sascha Hermann

Affirmation ≠ verkappte Reproduktion

Nimmt man die Arbeiten in der Galerie Anton Janizewski in den Blick, so fällt jedoch auf, dass sie an ihre Thematik nicht mit allzu großem Ernst herantreten. Analytisch sind die Werke ohne Zweifel darin, dass sie die Materialien, Symbole und Rhetorik jener Ästhetik anwenden, die sie ihrer Kritik unterziehen. Aufgegriffen werden dabei insbesondere die Deutsche Romantik, der Nationalsozialismus des 20. Jahrhunderts, die Post-Wende-Zeit. Doch ihnen allen haftet in diesem vorerst affirmativ wirkenden Zugriff doch etwas anderes an. Sie strotzen vor Humor und dieser bohrt sich bewusst in eine Wunde. Diese Wunde ist dem Wunsch nach Verdrängung geschuldet. Der Schuldige Realismus lässt keinen Spielraum für Nuanciertheiten, wie sie in der Realpolitik zutage treten. Darin mag vielleicht die Stärke seiner brachialen Bildsprache liegen. Durch die eindeutige Ikonografie und Symboliken ist er unmissverständlich lesbar. Aber erst im Kontext seiner eigenen Zeit, als eine künstlerische Strategie der Gegenwart, kann sein kritisches Moment gefasst werden. Im Ausstellen der bildlich-propagandistischen Gewalt und mit Blick, gleichzeitig auf das Vergangene und Gegenwärtige, vermag er es, Kontinuitäten des Althergebrachten durch inkonsistente, mit zynischen Slogans und Kitsch untermalte, Bildsprache zu vermitteln. Was sich im Schuldigen Realismus als Reproduktion des real Bestehenden tarnt, offenbart sich vor dem Hintergrund seiner medialen Zurschaustellung als künstlerische Strategie. Doch ist seine Bildsprache dabei nicht unproblematisch. Dazu mehr an späterer Stelle.

Installationsansicht "Schuldiger Realismus", Galerie Anton Janizewski, Berlin, 2022. Photo: Hans-Georg Gaul

Schon die für Ausstellungsflyer und -plakat gewählte Arbeit “Großes Blutbild am Montag” (2022) von Max Sand zeigt wie fragil es um vermeintliche Archetypen der Neuen Rechten bestellt ist. Nicht etwa zeigt die Fotografie einen vor Kraft strotzenden Krieger, keine Boss-Transformation. Im Gegenteil, ist die “Glatze mit Pitbull-Tattoo” verletzlich, oben ohne und abgewandt dargestellt. Alles andere als athletisch, in gebückt sitzender Haltung und, wie es der Titel vermuten lässt, eher um den eigenen Gesundheitszustand als um die Ergreifung der Weltherrschaft bemüht. Die Fotografie greift zwar einen gängigen Typus des "klassischen Neonazis" auf, bedient aber nicht das Bild, das mit ihm verknüpft werden könnte. Ist das etwa Verharmlosung? Der betrachtenden Person ist kein Indiz darüber geliefert, um wen es sich in der Fotografie handelt. Eher muss sogar gefragt werden, wie die Idee zustande kommt, dass es sich hierbei um einen typischen Neonazi handelt, denn diese treten heute bei Weitem nicht mehr so offensichtlich auf, wie etwa noch in den 90er Jahren; und wenn sie das tun, dann tun sie es wieder, was uns Angst und Bange werden lassen sollte. Die Identitäre Bewegung ist uniformiert mit Fred Perry-Shirts modisch viel näher an einer linken Ästhetik, als an einem Blood and Honour-Dresscode. Weniger rechts sind sie deshalb nicht.

Max Sand, Großes Blutbild am Montag, 2022, Fotografie, Plexiglas, LED.

Auch die Arbeit “Mein Onkel war im Widerstand” (2021) von Benni Kakert verdeutlicht die Ambivalenzen der deutschen Erinnerungskultur und den Drang zur Verdrängung. Glaubt man den Erzählungen vieler Großeltern und Verwandter, so machte sich niemand zur Zeit des NS schuldig, eher noch positioniert man sich auf Seite der Helfer:innen von Verfolgten und leugnet die Tatsache, dass die Shoah überhaupt erst durch die breite gesellschaftliche Beteiligung möglich war; sei es nicht durch Täterschaft, Mitgliedschaft in der NSDAP oder Kriegsverbrechen, dann durch die Duldung dieses Menschheitsverbrechens. Es scheint, als würde die deutsche Mehrheitsgesellschaft nur allzu gerne vergessen und tut zumindest gut daran, ihrerseits mit Gewalt zu unterdrücken, was als Teil der deutschen Erinnerungskultur doch nicht wegzudenken ist. Die Verdrängung lässt die Kontinuitäten der menschenverachtenden Herrenmenschenfantasie außer Acht, die sich heute – und das möchte ich an dieser Stelle nochmal mit Nachdruck festhalten – weit subtiler zur Schau stellt als es die Werke des Tannhäuser Kreises zeigen und gerade damit Unbehagen am Unbestimmbaren schüren. In Kakerts Arbeit, so lässt sich vermuten, brennt ein Asylheim. Eine Art des Anschlags von Rechtsextremen für die es mittlerweile schwer fällt, nur ein einzelnes Beispiel zu nennen, mit Sicherheit aber wäre der Verweis auf die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 nicht an den Haaren herbeigezogen. Ergänzt ist die Arbeit um einen Schal der Deutschrock-Band Böhse Onkelz, die sich zwar mittlerweile größte Mühe geben, ihr altes Image auszuradieren, aber in den 90er Jahren, nicht nur einen Fußzeh im Rechtsrock hatten. Neben dem Schal sind zudem einige Passfotos des Künstlers angebracht. Mit kahlem Kopf und ernster Miene wirkt er in diesem Zusammenhang auch nicht gerade “unschuldig” und intendiert wohl diese Lesart.

Benni Kakert, „Mein Onkel war im Widerstand", 2021, Acryl, Onkelsschal und Fotos auf Leinwand. Photo: Sascha Hermann

Es ist auch kaum als neuer Trend zu bewerten, dass etwa Frakturschrift oder die Ästhetik der Post-Wende-Zeit medial zu neuer Blüte gelangt ist. Auf Instagram sind Typefaces dieser Art und “90s aesthetics” erneut in den alltäglichen Blick geraten. Mögen vielleicht Millennials, die sich solcher Ästhetiken bedienen, nicht mehr um ihre politische Besetztheit wissen, so ist doch eine Faszination für die Brutalität dieser Bildsprache zu erkennen. Arbeiten wie “pattern no. 1” (2022) von Marie Meyer oder “Telling it real” (2020) von Anica Seidel spielen mit dieser Neigung zur trashigen Ästhetik der 90er Jahre. Stahlketten halten das Plexiglas-Regal in String-Era-Optik, auf dem Meyer zahlreiche der aus Kindheitstagen bekannten Schleich-Tiere aufgereiht hat. Ein Spiegel als Hinterwand lässt die Reihen aus “heimisch” anmutenden Nutz- und Wildtieren bis ins Unendliche wirken. Seidels hängende Konstruktion aus Baseballschlägern und Ketten, ebenfalls in Stahl, ahmen ein Klangspiel nach, für das sich sicher auch eine Waldorfpädagogik à la Rudolf Steiner begeistern ließe. Beide Arbeiten entfremden so zwar die ursprüngliche Verwendung der Objekte, setzen sie aber nichtsdestotrotz in eine direkte Assoziationslinie mit deutscher Alltagskultur. Das Diorama “Dämonen” (2022) von Antonia Alessia Virginia Beeskow zieht ebenfalls mit einem humoristischen Kliff die Linie zwischen der Blüte der deutschen Hochkultur, der Deutschen Romantik, und der, in Deutschland und vor allem in der DDR hochgeschätzten, Freikörperkultur. Sie zeigt in der künstlichen, an die Malereien von Caspar David Friedrich erinnernden, Landschaft eine Gruppe nackter Figuren, sowie eine weitere Figurengruppe, welche Protestschilder hält, die unmittelbar auf die Querdenken-Bewegung anspielen, allesamt vor dem Bild einer rustikalen Berghütte mit der Fraktur-Aufschrift „Heimat, wie bist du schön!” Die Aneignung von Friedrich durch die Nationalsozialisten ist gut bekannt, und auch, dass es kaum möglich ist, in der von Friedrich oft malerisch festgehaltenen Sächsischen Schweiz zu wandern, ohne dort massenhaft auf Faschos zu treffen. Beeskow spielt bewusst ironisch mit diesen verschiedenen Ausprägungen deutscher Kultur, um deren irrationale Ambivalenzen bloßzustellen.

Marie Meyer, pattern no. 1, 2022, Schleichtiere, Plexiglas, Spiegelfolie, Stahlkette. Photo: Sascha Hermann

Die Arbeiten geben also nicht bloß einen rechtspopulistischen Gemeincharakter wieder, sondern setzen die jeweils dargestellten Themen in direkten Kontext ihrer historischen Wirkmacht und Überführen sie in die Gegenwart, in der sie sich als kritische Evaluierung erweisen. Mag sich der Schuldige Realismus damit zwar kritisch zum realen Rechtsruck positionieren, so tut er dies stets von innen heraus, nicht etwa als außenstehendes. Indem die Bildstrategie aus der Gegenwartsgesellschaft heraus, mittels der ihr entnommenen Historisierung, eine Kritik an der Gesellschaft sucht, so wäre doch zu fragen, ob die Art der Ausgestelltheit, zumal in zynisch humoristischer Weise, dem Sujet gerecht wird. Ob der Schuldige Realismus hierbei auf die Bildung politischen Bewusstseins abzielt, indem das schauerliche Unbehagen bei den Betrachtenden auslöst wird oder gar Zynismus als Stellvertreter des moralischen Urteils eingesetzt wird, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Denn Kunst dient nicht der Agitation und wo sie es tut, fällt sie meist hinter ihren eigenen Erkenntnispotenzialen zurück.

Anica Seidel, Telling it real, 2020, Baseballschläger, Metallketten, Stahlkabel, Holz, Lack. Photo: Sascha Hermann

Realer Schuldzusammenhang?

Propagiert also der Schuldige Realismus zwar die eigene Befangenheit schon in seiner Selbstbezeichnung, so scheint doch die unfreiwillige Mitwisserschaft um die Gewalt der bestehenden Verhältnisse nicht genug zu schmerzen, um sich ästhetisch von ihr zu lösen. Der rigoros zynische Humor, der als Mittler, der eigenen Verzweiflung wie eine Maske vorsteht, verfällt dabei selbst in eine menschenverachtende Rhetorik, die die Katastrophe besingt, als sei sie in so sicherer Distanz, dass von ihr keine Gefahr mehr ausginge. Um die eigene Verflechtung in die historischen Geschehnisse zu wissen, sich dessen bewusst zu sein, was nicht mehr sein darf, mag ein Anfang sein. Der Verdrängungsmechanismus der gemeinen Masse scheint in der Bildsprache des Schuldigen Realismus überwunden, denn er trotzt der expliziten Symbolik durch die Aneignung derselben und ihr Verhöhnen. Aber reicht das selbstreflexive Moment, um zu erkennen, dass auch in der Reproduktion noch Gewalt verübt wird? Ein reales Austreten aus dem Verblendungszusammenhang kann das Subjekt nicht meistern, die Kunst schon. Gerät sie dabei jedoch außerbildlich in Erklärungsnot, so sollte sie die eigenen Bildstrategien im Hinblick auf das, was der Kritik angemessen ist, doch ebenfalls reflektieren, um nicht selbst in Barbarei zu verfallen. Denn obwohl nichts so sehr verdrängt werden will, wie die nationalsozialistische Vergangenheit, so gibt es kaum vergleichbare Bildtypi, die so eindeutig ausweisbar waren wie sie. Wenn sich demnach mit Humor dem Thema genähert werden will, so sollte dieser nicht selbst (aus Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit zum Gegenstand) zum bloßen Witz degenerieren.

Dass sich die Bewegung des Schuldigen Realismus, in diesem Sinne in eine historische Linie mit dem Vermächtnis vergangener Realismen stellt, scheint fraglich und ließe sich nur durch den Vergangenheitsbezug verstehen. Seine Essenz scheint mehr dem Hohn als der Vergegenwärtigung eines Realitätsprinzips zu zollen. Eine Bewältigung setze ebenso voraus, das Vergangene als Abgeschlossenes zu verstehen. Jedoch sollte, der Historisierung geschuldet, keine kulturpessimistische Resignation die Vormacht erlangen. Zeigen demnach die ästhetischen Strategien des Schuldigen Realismus, dass in der Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis des NS, deutscher Erbschuld und fortwährend diskriminatorischen Strukturen deutscher Institutionen noch immer dieselbe zersetzende Ideologie keimt, so sollten die Abkömmlinge und Vordenker der Barbarei, in die man droht zurückgeworfen zu werden, mit Vorsicht beschworen werden. Das Leid am Kunstwerk entsteht denn nicht etwa durch das Zeigen des Schreckens, durch seine Spiegelung im Bild, sondern durch das Wissen, dass nur in der Kunst mimetisch der Bruch mit der Welt zurückgenommen werden kann. Und zu einer Realität, wie der Tannhäuser Kreis sie in seinen Bildzeugnissen festhält, will wohl niemand gelangen.


Tannhäuser Kreis - 'Schuldiger Realismus'
19/03 – 30/04/2022
Finissage: 30/04/2022, 5 - 8 pm

Künstler*innen
Antonia Alessia Virginia Beeskow, Bureau AEIOU, Andreas Cretin, Jonas Höschl, Benni Kakert, Istihar Kalach, Christian Kölbl, Konstitutiv der Möglichkeiten, Jody Korbach, Marie Meyer, Max Sand, Nicolai Saur, Natalia Schwappacher, Anica Seidel, Marta Vovk, Nicholas Warburg

kuratiert von Julian Volz

Galerie Anton Janizewski
Goethestraße 69
10625 Berlin