Turning Pages, Turning Blue
Eleni Wittbrodt
Kunsthochschule Mainz
09–09–2018
Artist text by Carina Bukuts
Commissioned photography by Diana Pfammatter
65. The instructions printed on the blue junk’s wrapper: Wrap Blue in cloth. Stir while squeezing the Blue in the last rinsing water. Dip articles separately for a short time; keep them moving. I liked these instructions. I like blues that keep moving.
– Maggie Nelson, Bluets
Cyan ist ein Farbton im Übergang. Zwischen Blau und Grün bewegt sich die Farbe in unterschiedlichen Variationen, in steigender und fallender Nähe zu den beiden Farbtönen, zwischen denen sie sich befindet. Während man Cyan als einer der Standardfarben im modernen Vierfarbendruck (CMYK) verwendet, leiht die Farbe dem fotografischen Reproduktionsverfahren der Cyanotypie lediglich ihren Namen. Die Farben, die tatsächlich mittels dieser Technik entstehen, variieren von einem kräftigen Berliner Blau zu ausgewaschenen Türkistönen.
In Eleni Wittbrodts Arbeit As a lover or a chameleon (2018) zeigt sich das gesamte Farbspektrum der Cyanotypie als eine Fixierung des Zufalls: Aus dem Umstand heraus, dass das Künstlerinbuch „Spine“ von R.H. Quaytman nicht mehr zu erwerben war, begann Wittbrodt damit, Seite für Seite im Cyanverfahren zu kopieren. Unter jede Seite des Buches legte sie ein mit Ammoniumferrizitrat und Kaliumferrizcyanid beschichtetes Blatt, auf dem sich nach einiger Zeit Sonneneinstrahlung ein Fotogramm der beiden Druckseiten abbildete. Obgleich sie eher zufällig auf das Buch von R.H. Quaytman gestoßen war, diktierte dieses Kopierverfahren fortan ihre Arbeitszeit und koordinierte die genauen Abläufe im Atelier. Die fertige Blaupause von „Spine“ ist jedoch mehr als eine bloße Kopie, sie ist zugleich das Tagebuch ihrer eigenen Produktion, indem die unterschiedlichen Farbabstufungen auf den einzelnen Blättern Auskunft über die Sonneneinstrahlung am Tag ihrer Entstehung geben. Ähnlich einem Chamäleon, das seine Farbe ändert, um sich den unterschiedlichen Bedingungen seiner Umwelt anzupassen, wandeln sich auch die Blautöne in der Cyanotypie je nach Sonnenstand. Ein Zufallsparameter, der dieser Technik schon inhärent ist, bestimmt die ästhetische Gestaltung der Blaupause.
Diese ist jedoch nur ein Bestandteil von As a lover or a chameleon, die als dicker, leuchtend blauer Papierstapel auf dem Boden ruht. Während Wittbrodt – bedingt durch die vorgegebene Größe von „Spine“ – keinen Einfluss auf das Papierformat ihrer kopierten Version hatte, erweitert sie in As a lover or a chameleon die Cyanotypien um teils digital bedruckte, großformatige Papierbögen. Diese werden von Verpackungsbändern zu Rollen zusammengespannt, hängen von der Decke und bilden eine Gruppenformation auf dem Boden des Ausstellungsraums. Es scheint zunächst als kehre Wittbrodt damit indirekt zu ihrem Ausgangsmaterial zurück, indem sie sich durch die Verwendung von Papierrollen auf die Ursprungsform des Buchs überhaupt, in Form der Schriftrolle, verweist. Die Arbeit ähnelt einer Pirouette. Doch anders als eine gewöhnliche Drehung um die eigene Achse, kommt Wittbrodt nicht mit dem gleichen Fuß auf, mit welchem sie sich zu drehen begann. Mit jeder Bewegung, die sie vollzieht, erfolgt eine graduelle Entfernung von ihrem Ausgangsmaterial. Jeder Arbeitsschritt der Künstlerin lässt sich in As a lover or a chameleon ablesen: Das Umblättern von Buchseiten, Schauen, das Beschichten der Papiere mit Chemikalien, das Zuschneiden der großen Papierbögen, die Fixierung im Sonnenlicht, das Stapeln der 206 Cyanotypien zu einer Einheit, das Rollen und schließlich die Befestigung durch Plastik-Banderolen. Es sind Schritte der Transformation. Die Sonne wandelt für sie Text zu Bild um, analoge Reproduktionen kopieren sich in digitale Originale, Fotografie wird zur Zeichnung im Raum. Mit As a lover or a chameleon verleiht Eleni Wittbrodt der Übersetzung eine Form und fixiert gerade das, was nicht festzuhalten zu sein scheint: den Zufall.