Anmerkungen zur kleinbürgerlichen Ästhetik
Nicholas Warburgs BRDigung – Ein polemischer Versuch
Galerie Anton Janizewski, Berlin
08–11–2019
by Naomi Rado

Nicholas Warburg, Titelbild 1, 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: E.G. Powell

Was man aktuell in der Galerie Anton Janizewski in Berlin vorfindet, verstrahlt ein Ambiente der Kleinbürgerlichkeit. Nicholas Warburgs „BRDigung“ erweckt den Eindruck, ihre Ästhetik aus der vermeintlichen Mitte eines deutschen Massenbewusstseins zu ziehen: historische Schwarzweißfotografien, urige und mit Werbeslogans deutscher Biermarken versehene Tellerborde, eine Holzvertäfelung und zahlreiche Postkarten mit idyllischer Kleinstadt-Motivik, begegnen hier den Schatten von Staatsikonen – Jürgen Möllemann, Martin Kippenberger, Rainer Werner Fassbinder, um nur einige zu nennen. Es scheint, als adaptiere Warburg ein Abbild dessen, was heute gleichermaßen präsent ist, wie in den Nachkriegsjahren: Kitsch in rustikaler Eiche. Aber ist das wirklich Kitsch? Die folgenden Anmerkungen bemühen sich darum, einen Vorschlag zur Einordnung zu unterbreiten, plädieren dabei jedoch in keiner Weise auf Vollständigkeit und Abgeschlossenheit. Dabei seien die Zitate am Beginn der Kapitel als Aphorismen zu betrachten. Sie stehen für sich selbst; bilden ihre eigene Wahrheit.

Nicholas Warburg, Die normative Kraft des Faktischen, 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: Sascha Herrmann

1. Das Unheimliche am Heimeligen
In Deutschland bildet das […] Kleinbürgertum die eigentliche Grundlage der bestehenden Zustände.

– Karl Marx, Das Kommunistische Manifest (1848)
Um zum Punkt zu kommen, muss ich an anderer Stelle ansetzen. Die Jährung des Mauerfalls zum dreißigsten Mal soll dafür vorerst weichen und so auch die zu besprechende Ausstellung... Vor etwa zwei Jahren zeigte die Frankfurter Kunsthalle Schirn eine Ausstellung mit dem Titel „PEACE“. In ihr zu sehen, war eine Installation, in deren Mittelpunkt ein verstorbener Corgi namens Clément stand. Die archivarische, raumgreifende Arbeit stammte von Michel Houellebecq. Ringsum mit Holzpaneelen verkleidet und auf Tartan-kariertem Teppich präsentiert, standen da Vitrinen voller Memorabilia. Auf den Holzwänden blickte man auf zahlreiche gerahmte Fotografien des verstorbenen Clément. Was aber hat Michel Houellebecqs toter Hund mit Nicholas Warburgs Ausstellung zu tun? Ein makabrer Vergleich zweier Tode ist es jedenfalls nicht.
Was mich an Salle Clément (2017) faszinierte, war nicht der polarisierende Literat, dessen Gedankraum für sein Haustier hier als Kunst propagiert wurde, sondern dass dieser Raum mich auf etwas zurückwarf, das sich meiner rationalen Bestimmung entzog. Etwas in mir auslöste, das sich zugleich ungemein vertraut und abschreckend anfühlte. Die Exponate waren Kuscheltiere mit denen Clément gerne spielte, Reliquien des Abgelebten – und irgendwie bekam der Fundus beim Durchschreiten und Betrachten etwas Erhabenes. An dieser Stelle macht es Sinn, ein Problem zu benennen. Denn das Gefühl, das Salle Clément evozierte – sentimental, befangen, sehnsüchtig: es war nicht echt. Viel genereller gesprochen, ist Fühlen etwas Trügerisches. Gerade dadurch eignet es sich äußerst gut als Instrument zur Propaganda.
Ich wunderte mich also über die Ästhetik von Salle Clément. Wieso diese flächendeckende Holzverkleidung? Mir schien das ziemlich deutsch und eine Erklärung lag nicht weit. Holz als Gestaltungselement war mir von zahlreichen Fachwerkhäusern, Kneipen und Schrebergärten bekannt. Es scheint also etwas zu geben, das diese Ästhetik gepachtet hat: Das Kleinbürgertum. Was macht aber Holzpaneele per se zu etwas „Deutschem“? Ich würde behaupten, es ist der spezifische Anspruch, den diese mit Holz überzogenen Räume für sich erheben. Der nämlich, einen Ort mit Wohlgefallen erregender Atmosphäre zu erzeugen, die sich durch die Wärme des Holzes, seine organische Beschaffenheit, seine Heimeligkeit ergibt. Aber das Holzpaneel mit seinen authentisch anmutenden Astaugen ist ein anderes, als das, wofür es sich ausgibt. Es ist Ausdruck der Naturbeherrschung und gleichzeitiges Sentiment der Naturverbundenheit. In ihm bündeln sich deutsche Geschmacklosigkeit und Nationalgefühl.

Nicholas Warburg, Tellerbord 1 (Das erkläre ich später, was ich damit meine), 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: E.G. Powell

2. Kitsch und Kleinbürgertum
Was Kunst war, kann Kitsch werden. Vielleicht ist diese Verfallsgeschichte, eine der Berichtigung von Kunst, ihr wahrer Fortschritt.

– Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie (1970)
Mit dieser Ambiguität aus Gewohnheit und Misstrauen betrachte ich die Arbeiten von Warburg. Auch sie sind umgeben von einer Aura des Kitsches: Trotz ihrer Losgelöstheit von spezifischen Kontexten und selbst in ihrem fragmentarischem Charakter wirken sie aus Szenerien gerissen, die der deutschen Idee von Heimat verdächtig nahestehen. Es sind diese Partykeller, Après-Ski Kneipen, Gartenhäuschen, die eine heile, wohlige Welt vorgaukeln, von der sie real nicht weiter entfernt sein könnten. Diese falsche Geborgenheit korrespondiert mit jener Vorstellung von Gemeinschaft, die denjenigen, die nicht als Teil der Gruppe gewertet werden, ihre Existenz abspricht. Kurzum: in den holzausgekleideten, urigen Stuben sitzen saufende somewheres, Alt-Nazis, Blut-und-Boden-Ideologen.
Weshalb verpflichtet sich aber Nicholas Warburg in seiner ersten Solo-Ausstellung dieser emphatisch nationalistischen Ausdrucksform? Hierfür lohnt ein Blick auf die Arbeiten des Künstlers, die im Kontext des Kollektivs Frankfurter Hauptschule (FHS) entstanden sind. Mit dezidiert politischen Aktionen, die das verklärte Ideal rechten Gedankenguts ausstellen und deren populistische Strategien ironisieren, schockierten sie bereits die Feuilletons. Durch die Form des reenactments schafft es die FHS gleichzeitig Distanz zu wahren und einen kritischen Blick auf das Tatsächliche zu ermöglichen. Arbeiten des Kollektivs aus dem letzten Jahr spielten besonders mit diesem diffusen Verhältnis von Re-Inszenierung und Kritik; greift dabei nicht nur auf die Romantisierung deutscher Landschaften, sondern auch auf völkisch-nationale Parolen zurück.

Nicholas Warburg, 'BRDigung', 2019, exhibition view, Galerie Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: Sascha Hermann

Neben der Auseinandersetzung mit den Praktiken der FHS, macht es für die Annäherung an Warburgs Arbeiten auch Sinn, das vorangestellte Zitat Adornos, entgegen seiner intendierten Aussage – vielleicht aber in seiner beabsichtigten Ambivalenz – zu lesen. Was ich damit meine, ist, nicht davon auszugehen, dass Kunst zu Kitsch verkommt, sondern sich Kitsch, im Rahmen des ästhetischen Spiels von Schein und Wahrheit, zu Kunst verkehren kann.
Denn, was eher in einem muffigen Partykeller zu erwarten wäre, wird von Warburg als objet trouvé inszeniert und zugleich gebrochen. So zeigt die, auf den ersten Blick, harmlos wirkende Holzvertäfelung, im Format einer Leinwand präsentiert, eine Mindmap zur „BRD GmbH“. Die Verschwörungstheorie, die vor allem von der Reichsbürgerbewegung und rechten Gruppierungen im Internet propagiert wird, zeigt sich hier als chaotisches Konstrukt, so unübersichtlich, dass schon die Form der Präsentation ihren Inhalt ins Paradoxe treibt. An anderer Stelle greift Warburg assoziativ den Nazismusvorwurf gegen einige staatstragende Individuen wie z.B. Heidegger auf. Die Objekte stehen so nicht als Singularien da, sondern formieren sich durch ihre Referenzialität und Bedingtheit zu einander. Der Kitsch, dem die Ideologie des Heimatlichen anhaftet, wird so zur Kritik an der Heimat.

Nicholas Warburg, Graviation 2, 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: E.G. Powell

3. Von der Heimat zur Anti-Heimat
Das Gesetz, der Staat, die Heimat wurden zu ewigen Ideen erhoben, und man weiß doch, daß ihre Gegenstände den Menschen, die sie lieben, zu verdanken sind. Sie werden als Produkte der geschichtlichen Arbeit erkannt. Aber der moderne Wirtschaftsvorgang verkürzt auch hier die Gedanken, und einmal könnten die Individuen und Massen aus Bequemlichkeit und Angst dem Fanatismus sich überlassen. Das wäre das Ende der Welt, die sich die westliche oder die freie nennt.

Max Horkheimer, Stadien des Mythos (1961)
Warburg zeigt jedoch nicht bloß alltägliche Objekte, denn alle der ausgestellten Werke haben einen Überschuss, der sich durch die an ihnen ergänzten Teile ergibt. Es ist der Verweis auf das historische Gewachsensein dieser Interieurs und Gebrauchsgegenstände, in direkter Konfrontation mit ihren politischen Zusammenhängen, die den Künstler an dieser Ästhetik des Kleinbürgerlichen interessiert. Durch das Ausstellen und Besetzen des vermeintlich Banalen verschiebt sich bei Warburg der Kitsch ins Subversive – bei weitem jedoch nicht frei von Sentimentalität. Der Künstler selbst spricht vom „schönen Schaudern“, das die Werke ausstrahlen; verweist dabei auf Kracht und Heine und deren ambivalentes Verhältnis zur deutschen Kultur und Natur. Auch ist die Ausstellung nicht explizit an das Vergangene, die BRD vor der Wiedervereinigung gerichtet, sondern bezieht in gleichem Maße Position zur Bundesrepublik, verknüpft so das Althergebrachte mit dem immer noch Bestehenden.

Nicholas Warburg, 'BRDigung', 2019, exhibition view, Galerie Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: Sascha Hermann

Nicholas Warburg, Die Arbeit, 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: Bela Feldberg

In diesem Kontext stellt sich tatsächlich die Frage, ob das, was Heimat bedeutet und was als tragische Wunde in der deutschen Gesellschaft klafft, anders aufzuarbeiten ist, als durch Ohnmacht. Ich, ein Nachwende-Kind, in Westdeutschland aufgewachsen, sehe mich nicht in der Position über die DDR zu sprechen. Was die Wiedervereinigung betrifft, so setzt sich doch ein altbekanntes Phänomen, die Debatte um nationalen Grund, Blut und Boden, vehementer denn je fort. Dass Nicholas Warburg seine „BRDigung“ über das große Jubiläum des Mauerfalls legt, sollte daher nicht als Zufälligkeit gedeutet werden. Hierin mag vielleicht die Sentimentalität seiner Arbeit liegen. Denn, was dem kollektiven Gedächtnis – Ost und West – entfällt, ist das wohl grausamste Ereignis der Menschheitsgeschichte. Die Reichspogromnacht, die ebenfalls auf den 9. November datiert. Die Bundesrepublik in Anbetracht zeitgenössischer politischer Tendenzen und der unzureichenden Aufarbeitung ihrer Geschichte symbolisch brdigen zu wollen, scheint mir daher ein notwendiger Akt der Emanzipation zu sein.
Warburgs Ästhetik ließe sich durch die reflexive Geste, verwundert auf diese kleinbürgerliche Ästhetik und den mit ihr verbandelten gesellschaftlichen Zustand zu blicken, als eine andere, ihr konträre beschreiben; nicht als Kitsch, sondern der Form nach kitschigen Reproduktion des Bestehenden, mit der sich eine subversive Umkehrung vollzieht. Nah einem Genre, das in den 70er Jahren als Gegenbewegung zum Heimatfilm besondere Popularität erlangte und doch nie ganz in Definitionsnot geriet: Anti-Heimat.

Nicholas Warburg, BRDigung, 2019, installation view, Galerie Anton Janizewski, Berlin. Courtesy: the artist and Galerie Anton Janizewski, Berlin; photograph: Bela Feldberg

Nicholas Warburg – BRDigung
25. Oktober – 12. November 2019

12. November: Der Täubling / FHS / VHS Positiv Videopremiere
19–22 Uhr
Galerie Anton Janizewski
Goethestraße 69
10625 Berlin