Der Versuch zur Idenität zurückzukehren
Michal Heiman
fffriedrich, Frankfurt
15–10–2018
by Eugen El

Subject:Fwd:Unknown, Michal Heiman, installation view, fffriedrich, Frankfurt. Courtesy: the artist and fffriedrich, Frankfurt; photograph: Eike Walkenhorst

Die Fotografie, die alles auslöste, ist unscheinbar, klein und hängt etwas unbeholfen gerahmt an der Wand. Sie stammt aus dem Buch „The Face of Madness“ von John Conolly, welches die erste Publikation war, die Fotografien aus der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts beinhaltet – einer Zeit also, in der man meinte, Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Physiognomie wissenschaftlich kategorisieren zu können. Es war lediglich ein kleiner Schritt von der Vermessung etwa von Nasen, der schließlich zum Ausschluss von Menschen aufgrund ihres Aussehens führte, aber das ist nochmal eine ganz andere Geschichte.
2012 entdeckte die in Tel Aviv geborene Künstlerin Michal Heiman dieses Foto in dem bereits erwähnten Band. Plate 34 zeigt eine anonym bleibende Londoner Psychiatriepatientin aus dem Jahr 1855. Eine junge Frau mit längeren Haaren ist zu sehen. Ihr Blick wirkt unbeteiligt, geradezu abwesend. Sie trägt ein langes, kariertes Kleid. Doch Stopp. Steht es uns eigentlich überhaupt zu, ihr Aussehen zu interpretieren, es für unsere Zwecke zu nutzen? Hat sich doch schon eine ganz andere Epoche daran versucht, in dieser junge Frau allerlei, bloß kein Individuum zu sehen.
„Ich schaute in das Buch, und sah einfach nur, dass ich es bin, ich sah mich selbst“, sagt Michal Heiman in einem Videointerview. Aus Plate 34 entwickelte sich ein fortlaufendes, künstlerisches Langzeitprojekt: The Dress (1855-2019). Im Mittelpunkt steht für Heiman, die entlang der Verbindungslinien von Kunst und Psychoanalyse arbeitet, die Idee der Rückkehr. Das ist nicht nur metaphorisch gemeint. Dass das Konzept von Rückkehr insbesondere für ihr Heimatland Israel eine besonders große Rolle spielt– kehrten und kehren doch Juden aus aller Welt gleichsam in ihr historisch verbürgtes Heimatland zurück – ist ebenfalls eine ganz andere Geschichte. In Heimans Werk The Dress vollzieht sich eine andere Form der Rückkehr: Hier lädt sie Menschen ein, mit ihr in die Psychiatrie des 19. Jahrhunderts zurückzukehren.

Subject:Fwd:Unknown, Michal Heiman, installation view, fffriedrich, Frankfurt. Courtesy: the artist and fffriedrich, Frankfurt; photograph: Eike Walkenhorst

Im Zuge dieses Projekts sind schon etwa 200 Fotografien entstanden, die zumeist der gleichen Versuchsanordnung entspringen. 33 von ihnen waren vom 19. bis 28. Oktober im Frankfurter Projektraum fffriedrich zu sehen. Sie bildeten das Herzstück der Einzelpräsentation von Michal Heiman, die wiederum die dialogisch angelegte, internationale Ausstellungsreihe „Subject:Fwd:Unknown“ einleitete. Auf den Fotografen sind Männer und Frauen, die ein langes, dunkelblaues, schlicht gemustertes Kleid tragen – genau das Kleid, das auch die namenlose Patientin auf Plate 34 anhat.
Ein dunkler Studiohintergrund, ein schwarzer Stuhl: Heiman hat eine Art Bühne geschaffen. Jede und jeder geht mit der Versuchsanordnung unterschiedlich um. Es sind Menschen zu sehen, die ganz versunken wirken, sich von der Kamera abwenden. Andere blicken umso intensiver den Betrachter an. Dann gibt es auch spielerische Momente. Ein älteres Paar, sie halten sich an den Händen. Beide tragen das blaue Kleid mit einer erschütternden Selbstverständlichkeit. Es gibt wiederum – man könnte sagen, Probanden – die sich bewusst inszenieren. Die Künstlerin selbst zeigt sich als rätselhafte Figur mit Sonnenbrille. Das immer gleichbleibende Kleidungsstück auf den Fotografien erinnert an das erzwungene Tragen von Uniformen, das gerade in Israel historisch schwer belastet ist.

Subject:Fwd:Unknown, Michal Heiman, installation view, fffriedrich, Frankfurt. Courtesy: the artist and fffriedrich, Frankfurt; photograph: Eike Walkenhorst

Subject:Fwd:Unknown, Michal Heiman, installation view, fffriedrich, Frankfurt. Courtesy: the artist and fffriedrich, Frankfurt; photograph: Eike Walkenhorst

Aber auch weitere politische Botschaften finden Eingang in Heimans Fotoexperiment: Ein hebräisches Pappschild fordert, so ist auf Nachfrage zu hören, „die Besatzung zu beenden“. In diesem Moment wissen wir, dass die Fotografien wohl in Tel Aviv aufgenommen wurden, einer Stadt, die von manchen Israelis gehässig als „The Bubble“, also eine Art linksliberale Hipster- und Künstlerblase gesehen wird. Was wissen wir ansonsten? Bild für Bild kämpfen die Porträtierten um Würde und Individualität. Sie scheinen mit aller Macht gegen die Anonymisierung und Katalogisierung, die der Frau auf Plate 34 widerfahren ist, anzukämpfen.
Ein weitere persönliche Ebene bekommt die Ausstellung durch ein Video, für welches Heiman ihre Tochter nach London geschickt hat. Das Video dokumentiert ihre Reise zum „Asylum“, [Carina Bu3] in dem um 1855 eine junge Frau einsaß.Natürlich trägt Heimans Tochter in dem Video ebenfalls das dunkelblaue Kleid, Sie wissen schon! Sie bewegt sich völlig unbeachtet durch die Straßen Londons, fährt U-Bahn, bis sie irgendwann ihren Zielort erreicht. Stellenweise bekommt The Dress unangenehm und womöglich auch unnötig obsessive Züge. Keine Frage, es ist ein intensives Projekt. Menschen werfen sich hier förmlich in die Kunst, sie zeigen vollen persönlichen Einsatz. Das gilt zwar auch für die Künstlerin, doch ist ihre Vorgehensweise nicht frei von Eitelkeit.

Subject:Fwd:Unknown, Michal Heiman, installation view, fffriedrich, Frankfurt. Courtesy: the artist and fffriedrich, Frankfurt; photograph: Eike Walkenhorst

Michal Heiman
19. – 28. Oktober 2018
ffriedrich
Alte Mainzer Straße 4-6
60311 Frankfurt am Main