Hors d’œuvre
Three Course Menu
fffriedrich, Frankfurt am Main
24–08–2022
by Clara Maria Blasius


Schmale Stücke einer reich verzierten, frisch angeschnittenen Torte werden unter den Besucherinnen verteilt. Ein mit Lebensmitteln gefärbter Seidenstoff hängt quer im Raum und trennt diesen in zwei, schirmt den hinteren Teil vom Eingang ab und ermöglicht dort die intime Betrachtung einer Videoarbeit. Von außen sind beide Bereiche durch das große Schaufenster einsehbar. Hier sammeln sich die Besucher*innen unter den Arkaden.

Tornike Gognadze, Untitled, 2022, Installationsansicht, Three Course Menu. Third Course, fffriedrich, Frankfurt am Main. Foto: Esra Klein. 


Es ist der Eröffnungsabend des dritten und letzten Gangs des Ausstellungsprojekts „Three Course Menu“. Kuratiert wurde diese von 13 Studierenden, die im vergangenen Herbst das Masterprogramm Curatorial Studies in Frankfurt am Main begonnen haben. Die Klasse hat den Gasthof 2022 der Städelschule zum Anlass genommen, um parallel dazu eine Ausstellungsserie im Projektraum fffriedrich zu realisieren. Vor zwanzig Jahren, als Daniel Birnbaum Rektor der Städelschule war, initiierte dieser in Kollaboration mit Dirk Fleischmann und Jochen Volz ein mehrtägiges Treffen im Zeichen der Gastfreundschaft. Die jetzige Rektorin, Yasmil Raymond, hat diese Idee wieder zum Leben erweckt. 150 Gäste reisten aus zahlreichen verschiedenen Ländern an und verbrachten eine Woche mit Vorträgen und Workshops, Performances und Screenings in und um die Städelschule – die Veranstaltungen und Aktivitäten wurden von dem Organisationsteam sowie den Studierenden selbst angeboten. 

Gabriel Naghmouchi, Strange Fruit, 2018, Installationsansicht, Three Course Menu. Third Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein. 


An dieses Konzept knüpft das Ausstellungsmenü explizit an. Inhaltlich beschäftigt es sich mit der Rolle von Essen als Medium in der zeitgenössischen bildenden Kunst. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Essen auf thematischer und materieller Ebene (erneut) Eingang in die aktuelle Kunstproduktion gefunden hat. Die dreiteilige Serie zeigt eine Auswahl an Werken, die in Folge eines Open Calls eingereicht worden waren, jeder Gang sowohl Arbeiten von Studierenden der Frankfurter Städelschule als auch von Partnerhochschulen in Hamburg, Paris und Wien. Diese Zusammenstellung tritt eher formal in Erscheinung und mag auf dem Papier ein wenig forciert wirken. Im Raum selbst kommen die Werke schlüssig zu jeweils einem Ganzen zusammen: ein Gang, eine Ausstellungspräsentation mit je vier künstlerischen Arbeiten. Mise en place, mise en scene, die konzeptuelle und kontextuelle Rahmung überzeugt ebenso wie die Installation der einzelnen Werke.

Ian Waelder, Here Not Today, 2021 - heute (links); Brandon Wylie, Break Bread, 2022 (mitte); Emily Diedrich, Untitled, 2022 (rechts), Installationsansicht, Three Course Menu. Second Course, fffriedrich, Frankfurt am Main. Foto: Esra Klein. 


Die Arbeiten von Arhun Aksakal, Gleb Amankulov, Emily Dietrich, Malin Dorn, Tornike Gognadze, Raúl Itamar Lima, Rogine Moradi, Gabriel Naghmouchi, Anna Pezzoli, Simon Shim-Sutcliffe, Ian Waelder und Brandon Wylie bedienen sich unterschiedlicher Medien. Sie beschäftigen sich mit Gerichten und Lebensmitteln, deren Herkunft und Herstellung, Transport und Verkauf, Verschwendung und Verfall. Sie beziehen sich auf soziale und emotionale Verbindungen, Traditionen und Geschichten, Tisch- oder Streitgesprächen, mit bestimmten Speisen verknüpfte Erinnerungen oder in ihnen verankerte Konnotationen. Darüber hinaus verweisen einige Arbeiten auf physische Elemente des Essens in Innen- oder Außenräumen – vom Mobiliar über Kochutensilien und Geschirr bis zur Zeitung auf dem Frühstückstisch. Untitled von Emily Dietrich, beispielsweise, zeigt einen gedeckten Tisch, auf dem sich Löcher anstelle der Teller befinden. Die Arbeit, die sich wie ein trompe l’œil zwischen Malerei und Skulptur bewegt, wurde so an der Wand installiert, dass sie vor ihr zu schweben scheint. 

Unbekannte Besucher:innen probieren von Raúl Itamar Lima's partizipativer Installation salar, 2022, Three Course Menu. First Course, fffriedrich, Frankfurt am Main. Foto: Esra Klein. 


Durch die Ausstellung, die begleitenden Texte und gezeigten Arbeiten, ziehen sich Metaphern, die Bögen zwischen Kunst und Essen schlagen. Die mehrfach wiederholten Analogien bieten sich immer wieder an, drängen sich fast auf, scheinen so nahe zu liegen, dass sie in der Repetition um die Ausstellung – wie auch in ebendiesem Text – zu verflachen drohen. Substanzlos hingegen sind die ausgestellten Werke keinesfalls, auch diejenigen nicht, die mit Worten, Verwechslungen oder Illusionen spielen. So zum Beispiel die Arbeit salar von Raúl Itamar Lima, die sich auf die verschiedenen Bedeutungen des spanischen Verbes bezieht: Salar kann „salzen“, in Lateinamerika jedoch auch „ruinieren, brechen“ meinen. Gleichzeitig wirft er einen ironischen Blick auf eine Idee von Reinheit, indem er koscheres Salz in kleine, transparente Hüllen füllt, die mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden können. Anna Pezzoli hat Schlegel und eine umgedrehte, mit Milch gefüllte Trommel auf den Boden gelegt – und verweist im Titel, Il Tamburo di Latte, mit einem Augenzwinkern auf Die Blechtrommel von Günter Grass. Ein darüber hängender Fotodruck der Künstlerin zeigt Kinderhände, während Limas Arbeit die Besucher*innen dazu einlädt, sich eine Kapsel mit Salz zu nehmen und es zu kosten: Immer wieder kommen die Werke auf menschliche Akteur*innen, Produzent*innen und Konsument*innen zurück. 

Anna Pezzoli, Il Tamburo di Latte, 2018, Installationsansicht, Three Course Menu. First Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein.


Die Bezüge, die hergestellt und reproduziert werden, sind vielschichtig und teilweise aufgeladen. Sowohl autobiographische und persönliche Geschichten oder spirituelle Bedeutungen als auch wirtschaftliche und geschichtliche, klima- und sozialpolitische Aspekte finden in den ausgestellten Werken Erwähnung und Bearbeitung. Offensichtliche und unscheinbare Inhalte sind mehr oder weniger leicht verdaulich. Ein Nahbild zeigt zwei Hände, die eine Kaktusfeige schälen: eine Frucht, die sämtliche historische und politische Umstände ihrer Exportbewegungen repräsentiert. Für seine Videoinstallation Strange Fruit hinterlegt Gabriel Naghmouchi diese Filmsequenz mit einer Tonaufnahme, in welcher sein Vater ein arabisches, mit der Frucht in Verbindung stehendes Gedicht rezitiert. Darin verbinden sich postkoloniale mit postmigrantischen, gesellschaftliche mit persönlichen Fragen. Die kurzen Tastings im Rahmen der Ausstellungen können den verhandelten Themen in ihrer Komplexität nicht immer gerecht werden. Umso deutlicher wird allerdings die Vielfalt der den Speisen inhärenten sowie auf sie projizierten Beziehungen und der Kontaktflächen, die Essen in seiner Alltäglichkeit bietet. Im Dialog und in der Synergie mit der Kunst formulieren sich nicht zuletzt auch Fragen nach den Verflechtungen, Verantwortungen und Potentialen dieser selbst.

Unbekannte Besucher*in beim Betrachten von Gabriel Naghmouchi's Strange Fruit, 2018, Three Course Menu. Third Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein. 


Bei einigen der gezeigten Arbeiten stehen kollektives Erleben und zwischenmenschliche Gemeinsamkeiten im Mittelpunkt. Break Bread von Brandon Wylie zeigt einen angebrochenen Brotlaib in einer Keramikschale, die auf einem hölzernen Sockel steht. Zu hören ist die Geräuschkulisse eines geselligen Essens im Freund*innen- oder Familienkreis: das Klirren und Klappern von Geschirr und Besteck sowie gedämpfte Unterhaltungen. Sharing a meal. Zusammen sein und ins Gespräch kommen bildet auch den Kern von Arhun Aksakals partizipativer Installation salty summer nights. Nebeneinander sitzen, einzelne Sonnenblumenkerne knacken, gemeinsam zahllose Hüllen um die lange Holzbank verteilen. Ebenso wie diese Arbeiten scheint sich das Ausstellungsprojekt als solches um das Miteinander zu drehen – von den Kurator*innen, die zusammenarbeiten, Aufgaben und Verantwortung unter sich aufteilen, bis zu den Besucher*innen, die sich einander vorstellen und austauschen. 

Arhun Aksakal, salty summer nights, 2022, Installationsansicht, Three Course Menu. Third Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein. 


Die Küche als Ort der Gemeinschaft taucht in den jüngeren Kunstgeschichten immer wieder auf: von den Siebzigerjahren bis ins vergangene Jahrzehnt, vom Restaurant „Food“ im New Yorker Soho über Arbeiten von Künstler*innen wie Rasheed Araeen und Rirkrit Tiravanija bis zur Veranstaltung „Radical Kitchen: Recipes for Building Community and Creating Change“ an der Serpentine Gallery in London, 2017 und 2018. Auch in Frankfurt gab und gibt es Projekte, die Essen und Kunst verbinden, wie die Freitagsküche, die 2004 von dem Künstler Michael Riedel mitbegründet wurde, oder die sogenannte Filmküche der Städelschule, die von Peter Kubelka etabliert wurde. Als dieser 1980 seine Professur antrat, ergänzte er die Filmklasse um die Kochkunst. Die Industrieküche wird auch heute noch regelmäßig genutzt, unter anderem, um nach den wöchentlichen Lectures ein Abendessen anzubieten. An derartige Initiativen lässt „Three Course Menu“ denken, daran schließt die Ausstellungsserie an. Umso richtiger scheint jedoch die Entscheidung, diese – trotz der engen Verknüpfungen mit dem Gasthof – örtlich von diesem zu trennen. In dem kleinen Projektraum wird anderes geboten und ermöglicht: Die Ausstellungen ergänzen, verweisen und stehen dabei für sich.

Anna Pezzoli, Il Tamburo di Latte, 2018 (links); Raúl Itamar Lima, salar, 2022 (mittlerer Wandbereich); Gleb Amankulov, Small rocks in buckwheat part I, 2022, Installationsansicht, Three Course Menu. First Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein. 


„Essen“ ist im Deutschen sowohl Substantiv als auch Verb – meint eine Mahlzeit, eine Speise oder den Verzehr. Die Prozesse des Kochens und Essens werden als Teile komplexer chemischer und biologischer Vorgänge verstanden. In der Kunst hingegen werden prozessuale Aspekte nach wie vor oft in den Hintergrund gerückt und Werke oftmals als Objekte oder Produkte wahrgenommen, besonders wenn sie mit Markt und Konsum verknüpft werden. „Three Course Menu“ ist eine Kunstpräsentation in Bewegung, eine Reihe von Ausstellungen, die sich durch ihre Momenthaftigkeit und Kurzlebigkeit auszeichnet. Rhythmisch getaktet sollen die Ausstellungen einem kulinarischen Menü entsprechend als Abfolge verstanden werden, wenngleich ihnen keine eindeutige dramaturgische Dynamik verliehen wurde. Wirkung zeigen sie als separate Präsentationen genauso wie als Ausstellung in drei Gängen. 

Simon Shim-Sutcliffe, Untitled, 2022 (links unten); Tornike Gognadze, Untitled, 2022 (mitte), Installationsansicht, Three Course Menu. Third Course, fffriedrich, Frankfurt am Main, Foto: Esra Klein. 


So wie der Genuss eines Gerichts nicht nur von den verarbeiteten Zutaten abhängig ist, sondern ebenso durch Umgebung und Gesellschaft, Licht und Klang geprägt ist, lebt auch diese Ausstellungsserie gleichermaßen von ihrer inneren wie äußeren Struktur. Dies wird zuletzt auch in der Positionierung der Arbeiten deutlich, die den Außenraum aktiv mit einbezieht oder die Betrachtung von außen ermöglicht. Zwischen den Gängen wurde im Rahmen des Begleitprogramms „Tea Time“ außerdem zu einem Vortrag von Felix Bröcker, einem Brotback-Workshop mit Anna Michelle Nakhoul sowie einer Gesprächsrunde mit den Gemüseheld*innen und der Garden Group der Städelschule geladen.

Malin Dorn, Rotate. Save. Repeat, 2021, Installationsansicht, Three Course Menu. Second Course, fffriedrich, Frankfurt am Main. Foto: Esra Klein. 


Hors d’œuvre, nicht wertend, sondern im wörtlichen Sinn: außerhalb der Werke, um sie herum. Das übergeordnete Konzept der Ausstellung, vor allem das gemeinsame Ausstellen der Künstler*innen verschiedener Hochschulen und das mehrmalige Zusammenkommen der Besucherinnen, erscheint ebenso zentral wie die Arbeiten selbst. Letztere bieten, als hors d’œuvre, Einblicke in die Interessen des kuratorischen Teams sowie die Arbeitsweisen der Künstler*innen. 

Brotkrümel und Salzkristalle, Buchweizenkörner und Sonnenblumenkerne auf dem Boden. Spuren, in denen sich die drei Gänge vermischen.

Three Course Menu
05/07 – 10/07/2022
fffriedrich, Frankfurt am Main 

Künstler*innen:
Arhun Aksakal, Gleb Amankulov, Emily Dietrich, Malin Dorn, Tornike Gognadze, Raúl Itamar Lima, Rogine Moradi, Gabriel Naghmouchi, Anna Pezzoli, Simon Shim-Sutcliffe, Ian Waelder und Brandon Wylie 

Kuratiert von:
Silas Edwards, Franziska Giesecke, Andrés Gorzycki, Tizian Holzbach, Leon Jankowiak, Vivien Kämpf, Esra Klein, Nelli Lorenson, Paula Maß, Claire Müller, Jeanne Nzakizabandi, Radia Soukni und Lea Weckert