Language as a Bomb
House of Commons – Part 2
Portikus, Frankfurt
06–02–2017
by Carina Bukuts
Commissioned photography by Neven Allgeier
Am 4. Juli zelebrieren die Amerikaner ihren Nationalfeiertag. Walmart ist schon Wochen vorher mit allen möglichem Stars and Stripes Merchandise ausgestattet und man überlegt sich, wo man das schönste Feuerwerk sehen kann. Doch was wird zwischen Barbecue und Patriotismus zelebriert? Die Unabhängigkeit der USA von Großbritannien, die am besagten Tag im Jahre 1776 mit der Decleration of Independance in Kraft trat. Damit begründeten die dreizehn britischen Kolonien ihr Recht, einen unabhängigen Staat zu gründen. Es sind die Worte von Thomas Jeffersson, auf denen die Souveränität Amerikas begründet liegt.
„I like the dreams of the future better than the history of the past.”
(Thomas Jefferson)
Werden Worte in Zukunft eine größere Macht als Taten haben – denn wie sonst erklärt sich das Phänomen des Präsidenten Donald Trump. Die Tragweite seiner Worte kann mit denen eines Thomas Jeffersson nicht mithalten, doch das wollen sie auch nicht. Es ist vielmehr die manipulative Wortwahl, die seiner Sprache Ausdruck verleiht.
Vor kurzem schossen die Verkaufszahlen des dystopischen Romans 1984 von George Orwell in die Höhe. Grund dafür war die Wiederbelebung eines Orwellschen Ausdrucks, indem Trumps Beraterin Kellyanne Conway die Falschangaben des Regierungssprechers Sean Spicer als „alternative Fakten“ bezeichnete. Dieser hatte bei seiner ersten Pressekonferenz gleich eine Vielzahl an falschen Fakten verbreitet, darunter u.a. eine fehlerhafte Einschätzung der Besucherzahlen bei Trumps Antrittsrede. Ein weiteres Buch, welches demnächst in den Bestsellerlisten landen könnte wäre Politics and the English Language. 1945 erstmalig veröffentlicht, legt dieses Essay, ebenfalls von George Orwell verfasst, die Dissonanz zwischen Semantik und politischer Manipulation offen. Vergleicht man Beispiele aus Orwells Essay mit den Reden Donald Trumps, ist die Überschneidung frappierend: Insbesondere seine Antrittsrede zeugt von einer Praktik, die auch Orwell beschreibt: „Ready-made Sätze“, die bereits Vorgänger benutzt haben und die in ihrer Bedeutung entfremdet werden, indem sie in einen selbstgewählten Kontext gesetzt werden. Des Weiteren erwähnt Orwell einen wichtigen Aspekt in Bezug auf die Semantik von Wörtern. Er spricht davon, dass politische Begriffe eine gewisse Absurdität mit sich bringen, indem ihre Bedeutung vermeintlich geklärt zu sein scheint. Als Beispiele führt er Begriffe wie Faschismus, Demokratie und Freiheit an. All diese Begriffe verfügen über keine allgemeingültige Definition. Man benutzt diese Worte häufig, obgleich die eigene Definition vom Gegenüber geteilt wird oder nicht. Ein weiterer Begriff, der sich in die Kette anschließen könnte, wäre der des Fremden. Wer definiert das Fremdsein – ist es der Fremde selbst oder der, der ihn als dieser wahrnimmt?
STRANERI OVUNQUE in Gelb leuchtenden Neonbuchstaben hing zuletzt bei der Ausstellung House of Commons im Portikus. Ohne Vorkenntnisse der italienischen Sprache wird man ohne den Titel der Arbeit von Claire Fontaine vermutlich nicht weiterkommen. Strangers Everywhere. Indem Claire Fontaine diese Arbeit mitunter noch auf Hindi, Maori und Chinesisch produziert hat, gibt sie uns Schilder, die wir nicht lesen können. Sie erinnern an Leuchtreklame, an OPEN/CLOSED Schilder von Restaurants und an die ikonische Verwendung der Neonröhre von Bruce Nauman oder Tracey Emin. Sobald wir etwas nicht semiotisch lesen können, suchen wir somit nach anderen Lesarten. Wir distanzieren uns von dem Gegenstand und versuchen es mit Querverweisen und kritischer Distanz. In gleicher Weise verhält es sich auch mit dem Fremden. Ist uns eine Sprache nicht vertraut, lesen wir nicht weiter, kommunizieren wir nicht weiter. Wir beginnen in Kategorien zu denken bis wir in diesen gefangen sind. Wir würden uns gerne von diesen festgefahrenen Mustern trennen, doch schaffen es nicht. ICH WEISS ZWAR ABER DENNOCH. Goldene heliumgefüllte Großbuchstaben lenken den Blick nach oben. An der Decke des Portikus fliegen einzelne Buchstaben vor sich hin, während andere noch in einem Wortgefüge an der Wand hängen. Es ist das Zitat des französischen Philosophen Octave Mannoni, welches sich im Raum aufgelöst hat. Banu Cennetoğlu zeigt wie sich Worte verhalten, wenn sie dekontextualisiert werden. Anfangs in einer erkennbaren Wortabfolge, trennen sich nach und nach die Buchstaben von der Bedeutung des Satzes. Sie verhandelt somit nicht nur das Potential von Sprache überhaupt, sondern ebenso, in welchem Verhältnis es zu Handlungen steht. In der gleichen Weise in der Mannonie feststellt, dass wir in unserem enzyklopädischen Wissen gefangen sind, ist diese Arbeit Cennetoğlus eine logische Konsequenz davon, indem sie dem Betrachter die Flexibilität von Sprache vor Augen führt. „I think knowledge does not necessarily trigger an action” sagt die türkische Künstlerin und greift damit auf etwas zurück, dass bereits bei Orwell präsent ist: Handlungen lassen sich nicht von Worten oder Wissen ableiten. Letztere werden benutzt, um dies vorzugeben. Die Sprache der Politik ist so konstruiert, dass Lügen wahr klingen mögen und zu „alternativen Fakten“ werden. Es ist heute notwendiger denn je dieses Verhältnis immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und sich die Aktualität von folgenden Sätzen Orwells zu vergegenwärtigen: „In our age there is no such thing as ‚keeping out of politics‘. All issues are political issues, and politics itself is a mass of lies.” Vielen Dank an Fabian Schöneich und Vivien Trommer, die uns mit ihrer Ausstellung House of Commons daran erinnert haben.
Die Fotos beinhalten Werke von:
Sven Augustijnen, Yto Barrada, Eric Baudelaire, Banu Cennetoğlu, Michael Dean und Kapwani Kiwanga
House of Commons
3. Dezember 2016 – 29. Januar 2017
kuratiert von Fabian Schöneich und Vivien Trommer
opening hours
Dienstag - Sonntag: 11 - 18 Uhr
Mittwoch: 11 - 20 Uhr
Portikus
Alte Brücke 2 / Maininsel
60594 Frankfurt am Main