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Rabih Mroué – Between Two Battles
Kunsthalle Mainz
25–11–2016
by Carina Bukuts
Commissioned photography by Neven Allgeier
Napoleon Bonaparte behauptete, dass im Krieg und der Liebe alles erlaubt sei. In beiden Fällen ist der Mensch mit Kämpfen konfrontiert, sei es um die Person, die man verehrt oder um territoriale Macht und Gerechtigkeit. Der Kampf geht Hand in Hand mit der Angst. Sie ist ein Gefühl, das beklemmen kann, sodass man kaum noch Luft zum Atmen hat. Angst kann egoistisch sein, aber sich in gleichem Maße kollektiv äußern. Sie ist allem voran ein Gefühl der Machtlosigkeit. Wie viele kennt auch der libanesische Künstler Rabih Mroué die Angst. Die Mainzer Kunsthalle widmet ihm derzeit mit Between Two Battles eine Einzelausstellung, die genau dieses Gefühl archiviert.
Ein großer weißer Raum mit vielen kleinen Rahmen. Sie erstrecken sich fast gänzlich über die Wandfläche, hängen in den Ecken und ragen in die Höhe der Halle. In den Rahmen befinden sich Bildcollagen von Soldaten, Panzern und Kindern, die aus Zeitungen ausgeschnitten und ihrem ursprünglichen Kontext entnommen wurden. Einige der Collagen ähneln traditionellen Scherenschnitten, sodass nur Umrisse des Bildgegenstands zu erkennen sind. Aus Bildmotiven der Massenmedien, die den Krieg dokumentieren, entsteht eine Sammlung aus kleinen Portraits, die ohne Bilduntergrund nackt auf Papier präsentiert werden. Dieses dient als Projektionsfläche für den Betrachter, der die Leerstellen des Trägermediums mit eigenen Verknüpfungen füllt. Leap Year’s Diary (2006-2016) markiert den Anfang und das Ende von Between Two Battles. Während die Arbeit im Erdgeschoss eine Sammlung von Bildern zeigt, stellt ihre Fortsetzung auf der letzten Etage der Ausstellungshalle eine Anreihung von Textfragmenten dar. Es scheinen Tagebucheinträge zu sein, die Monat für Monat die politische Situation im Libanon dokumentieren. Aber wie verhält sich der Schein hierbei zum Sein? Rabih Mroué erzählt eine Vielzahl an Geschichten. Sei es in seinen Performances oder in Arbeiten wie Grandfather, Father and Son (2010). In letzterer verknüpft er historische Momente mit familiären Ereignissen: Er zeigt uns Karteikarten aus der Bibliothek seines Großvaters und mathematische Überlegungen seines Vaters, die in Glasvitrinen aufbewahrt werden. Doch diese umfangreiche Dokumentation ist kein Garant für Authentizität. Vielmehr flechtet Mroué ein Netz aus Realität und Fiktion und überlässt dem Betrachter sich selbst.
Gleiches geschieht bei der Video-Installation Between Two Battles (2013). Titelgebend für die Ausstellung verhandelt diese Arbeit das besagte Wechselverhältnis wohl am stärksten. Auf dem Wandtext „erklärt“ Mroué, dass TV-Rauschen im Libanon nicht nur für eine schlechte Übertragung stehen kann, sondern ebenso als politisches Instrument der Zensur eingesetzt wird. Seine Tante archivierte das weiße Rauschen des Fernsehers, weil sie in ihm geheime Botschaften der Regierung vermutete. Indem der Künstler die Aufzeichnungen des TV-Schnees mit politischen Ereignissen am gleichen Tag der Aufnahme in Verbindung setzt, suggeriert er, dass seine Tante eventuell Recht gehabt hat. Mroué bedient sich realer Fakten und Ereignisse, doch verflechtet diese mit persönlichen Erfahrungen und fiktiven Elementen, sodass schließlich der Wahrheitsgehalt seiner Arbeiten nicht mehr transparent ist. In gleicher Weise wie der Besucher die Glaubwürdigkeit seiner Geschichten in Frage stellt, soll er ebenso kritisch mit der Medienberichterstattung umgehen. Between Two Battles ist wohl gerade deswegen titelgebend für die Ausstellung, weil sie in ihrer simplen Installation von etwas Alltäglichem wie TV-Schnee eine poetische Wirkung ausstrahlt, indem sich Bildschirm für Bildschirm das Rauschen unterscheidet und eine Dramaturgie darin sichtbar wird. Eine Poesie, die auch in Zeiten des Krieges gefunden werden kann und die Pause zwischen zwei Kämpfen zu einem Ort werden lässt, der sich der Gewalt für einen kleinen Augenblick entziehen kann.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Mainz fordert heraus. Sie ist keine Ausstellung durch die man schnell durchhuschen kann oder bei der es reicht, bei der Eröffnung gewesen zu sein. Sie erfordert, dass man ihr zuhört und zuhören braucht Zeit. So auch das 50minütige Video Footsnotes (2016), welches bereits im Rahmen der letztjährigen Wiesbaden Biennale zu sehen war. In Wiesbaden als dreistünde Filmaufführung inszeniert, wirkt es in Mainz im kontinuierlichen Loop wie eine Reihe von Videos, die endlos weitergeführt werden könnte. Es sind unter anderem Videos, die auch auf Arbeiten zurückgreifen, die in Mainz gezeigt werden und deutlich machen, dass Rabih Mroué aus einem Materialarchiv schöpft. Footnote no 35 knüpft beispielsweise erneut an die Rolle seines Vaters als Mathematiker an und verknüpft eine von ihm entworfene Grafik mit einer Choreografie, die eine Verbindung zwischen Leben und Tod schaffen könnte. Im Gegensatz zur Präsentation in Wiesbaden ist Footnotes hier wie ein visuelles Notizbuch, das man auf irgendeiner Seite aufschlägt, durchblättert und sich nicht gezwungen sieht, es zu Ende zu lesen bzw. zu sehen. Sieht man bei seinem Besuch Footnote no 6 greift dieses Video auf eine Installation vor, die sich eine Etage höher befindet. Unscharfe Silhouetten, die sich von links nach rechts bewegen bis die Silhouetten schärfer werden und man Menschen erkennt, die sich an den Händen halten. Im Hintergrund Bombengeräusche. Mediterranean Sea (2011) auf der zweiten Ebene des Turms zeigt das gleiche Video, doch statt Bomben wird es von einem Cello begleitet. Man findet sich auf einem projizierten Wasserfeld wieder, in welchem ein Menschenkörper langsam vor sich hingleitet. In vielen Köpfen rattern an dieser Stelle die Bilder von den zahlreichen Flüchtlingsunglücken im Mittelmeer und die Leere des Wassers wird zur Projektionsfläche des Besuchers. Dies ist exemplarisch für Mroués Arbeitsweise, indem er stets neue Mechanismen generiert, um den Betrachter in die Thematiken hineinzuführen.
Die Ausstellung Between Two Battles fordert somit vor allem deshalb heraus, weil die BesucherInnen an einer empfindlichen Stelle getroffen werden: in ihrer Passivität. Genau dort dringen die Arbeiten Mroués hinein und lassen es nicht zu, dass man sich der Wirkung der Bilder und der Geschichten, die er erzählt, entziehen kann. Diese Linie zieht sich bis in die Publikation zur Ausstellung. Diese ist entgegen aller Erwartungen kein Katalog, der Between Two Battles illustriert und eine Textansammlung von Kunsthistorikern, Politikforschern und Theaterwissenschaftlern beinhaltet, sondern ein Künstlerbuch. In einem Leinenumschlag zusammengefasst verrät der Titel des Buches bereits seinen Inhalt: Diary of a Leap Year. Es ist die Zusammenführung der eingangs erwähnten zwei Arbeiten, die in der Kunsthalle getrennt gezeigt werden. Während die Collagen an der Wand noch eine Distanz zur BetrachterIn evozieren, löst sich dies im gebundenen Buch auf und provoziert die BesucherInnen geradezu dieses Mal genauer hinzusehen. Indem man Seite für Seite durch Bilder von Kindern, Soldaten und Panzern blättern kann, wird mittels dieser Nähe das Buch zu einem Archiv der Menschlichkeit. Einem Archiv, das noch nicht vollständig ist und es auch nie sein wird. Dachte man im 19. Jahrhundert man hätte Napoleon auf St. Helena verbannt und das Schrecken hat ein Ende, so kamen nach ihm neue Machthaber, die das Gegenteil bewiesen. Die Menschen haben jedoch bewiesen, dass im Krieg nicht alles erlaubt ist.
Rabih Mroué – Between Two Battles
11. November 2016 – 26. Februar 2017
opening hours
Dienstag, Donnerstag, Freitag 10 – 18 Uhr
Mittwoch 10 – 21 Uhr
Samstag und Sonntag 11 – 18 Uhr
Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3-5
55118 Mainz