(Rund-)umsichtig
ORBIT
Messeturm Frankfurt
12–01–2021
by Naomi Rado

Sssichtbeton (Martin Kähler/Max Huckle), Always Too Late, Sorry Mama, 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Die Ausstellung ORBIT, die im Herbst 2020 im 36. Stockwerk des Messeturm Frankfurt zu sehen war, präsentierte im 360° Rundgang eine Fülle an Werken von insgesamt 22 Künstlerinnen und Künstlern. Hier, über den Dächern der Großstadt und mit Panoramablick auf dieselben, zeigt sich in den von Béla Feldberg und Arthur Löwen eingeladenen, eklektischen Positionen ein Weitblick, der nicht näher am Puls der Zeit sein könnte und in dem die Sehnsucht nach der Kunstschau „in Zeiten von Corona“ als Sentiment mitschwingt. Nicht nur wegen des Ausblicks, sondern auch der Vielfalt jener miteinander um Aufmerksamkeit ringenden Werke geschuldet, wirkt die Etage des ikonischen Bauwerks in ein dynamisches Spiel versetzt, das sich in den Werken selbst spiegelt.

Martin Wenzel, installation view, 2020, ORBIT. Courtesy: the artist

Den ersten Raum der Ausstellung eröffnet ein installatives Ensemble aus Skulpturen und Malereien von Martin Wenzel. Ein Durchbruch in einer MDF-Wand verweist auf einen Bankraub (Monolit Z Odwiertami, 2012) und spielt damit nicht zufällig auf die vorherige Nutzung der Etage an, in der eine Bank ansässig war. Ebenso zu sehen, Wenzels großformatige Baggerschaufeln L‘amour très dur (2016) sowie das Modell eines Roboterarms, der eine Zigarette hält (Apostel Safo, 2020) und, so möchte man meinen, andächtig aus dem Fenster blickt. Ein Verweis auf den gegenwärtigen Umbau des Gebäudes? Oder auf die hier einst Angestellten? Gemeinsam gezeigt werden Wenzels Arbeiten mit einem Gemälde von Stefan Müller, der für Löwen, so berichtet dieser, großer Einfluss auf das eigene Kunstschaffen hatte. „Wir gehen von unserer eigenen Arbeit aus, die Verbindungen entstehen erst im Prozess“, so Löwen über die ausgewählten Werke. „Sicher ist auch Frankfurt ein gewisser Schwerpunkt“, ergänzt Feldberg. Die plastische Arbeit Always Too Late, Sorry Mama (2020) des Künstler-Duos Sssichtbeton (Martin Kähler und Max Huckle) schließt den Raum als humoristisches Meta-Kommentar betreffend der eigenen Kunstproduktion ab. „Die Arbeit kam sehr knapp an, aber wir wussten, dass sie kommen würde“, witzelt Löwen.

Béla Feldberg, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Laura Schawelka, Untitled, (Sky Garage), 2014, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Im nächsten Raum, eher eine kleine Bucht, in der man sich gut einen einzelnen Arbeitsplatz oder eine Kopier-Station vorstellen kann, befindet sich Laura Schawelkas Videoarbeit Untitled, (Sky Garage) von 2014. Man sieht Luxus-Apartments mit eigenem Automobil-Aufzug; der Lamborghini kann standesgemäß im Wohnzimmer geparkt werden. Auch hier die direkte Assoziation: high life in high buildings, Mainhattan – Wall Street derer, die sich Urlaubsliegen mit Handtüchern reservieren. Dem Bildschirm gegenüber ist die Relief-Plastik Strategy of non cooperation 3 (2020) von Aline Bouvy angebracht. Ein Hund besteigt einen anderen und bricht mit dem schönen Schein des Glamour-Lifestyle. Hat etwa auch der teuerste Zuchthund am Ende nur niedrige Triebe?

Aline Bouvy, Strategy of non cooperation 3, 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Es ist diese Art der Aneignung und des humoristischen Verweisens – der Werke auf den Raum und auf einander – die die Ausstellung trotz ihres imposanten Ortes so überaus nahbar macht. Mag man denken, dass Off-Spaces sonst eher der Charme einer Privatwohnung oder der Anschein einer distinktiven Raum-Funktion umgibt, so gelingt es 'ORBIT‘ die Bezugnahme zum Raum herzustellen und doch nicht alle Macht an die umgebende Architektur abzugeben; stattdessen, das Raumgefüge für den Zweck der eigenen Blickführung zu nutzen und in einen Dialog mit den Werken zu bringen. Das Durchschreiten der Ausstellung grenzt an Reizüberflutung. Was Feldberg und Löwen damit schaffen, ist zwar unbeabsichtigt – war die Ausstellung doch schon lange vor Corona geplant – aber zeitgemäßer denn je. 'ORBIT' erweckt den Eindruck, als sei in der Zusammenführung dieser zahlreichen künstlerischen Positionen mehr Interaktion und Austausch zu finden, als es die derzeitigen Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie im alltäglichen Umgang erlauben – wird man doch des wiederholten Males zum social distancing angehalten. Verschiedene Medien und Formate aus unterschiedlichen Städten verknüpfen sich hier zum Netzwerk. Sie lassen als Konglomerat von vielen, den Kosmos der in ihnen angelegten Themen, ihren Gegenwartsbezug, erfassen. „Wir lassen, wenn man es so sagen kann, die Arbeiten ebenso um ein gemeinsames Zentrum als auch um einander kreisen. Sie alle haben für uns eine besondere Bedeutung, auch wenn die sehr unterschiedlich sein kann“, sagt Feldberg auf Nachfrage über den Titel und Löwen ergänzt, „wir zeigen ja nicht nur renommierte Künstler*innen, oder gar solche, die wir als unsere Vorbilder sehen. Sondern auch Arbeiten von Personen, die wir aus dem Studium oder privat kennen, die wir für relevante zeitgenössische Positionen halten.“

Arthur Löwen, Index (Rosa), 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Neven Allgeier, o.T., 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Der am dürftigsten ausgestattete Raum, in dem sich lediglich eine Malerei von Löwen zusammen mit einer Fotografie von Neven Allgeier befindet, ist vielleicht gerade deshalb bis oben hin mit Bedeutung aufgeladen. Die beiden verbindet der Austausch über die künstlerische Profession und eine enge Freundschaft schon über ein ganzes Jahrzehnt. Gemeinsam ist den hier ausgestellten Werken, dass sie sich beide um die Namen von Frauen drehen: bei Allgeier ist der Satz „Catalin, vermisse dich“ als rührseliges Graffiti auf einer Wand abfotografiert (o.T., 2020), bei Löwens Malerei, die im Negativtransfer-Verfahren entstanden ist, liest man den Namen Rosa rückwärts auf der großformatigen Leinwand. Ein subtiler Verweis auf die US-amerikanische Aktivistin Rosa Parks, die durch ihre Proteste während des Civil Right Movements bekannt wurde und an die nun auch im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung häufig erinnert wird.

Inga Danysz, o.T., 2018, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Leon Eisermann, Impotent Doorway 03, 2019, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Im nächsten Raum findet man dann tatsächlich einen bildlichen Verweis auf den Orbit. Sowohl Inga Danysz‘ raumgreifende Installation o.T. (2018) als auch Leon Eisermanns Skulptur Impotent Doorway 03 (2019) setzen sich beide ferner mit dem Thema der Persönlichkeitserzählung auseinander: Danysz‘ Arbeit greift das Motiv individuell gestalteter Müllbehälter auf, die sich überwiegend im argentinischen Raum finden lassen, während Eisermann durch das Bekleben einer Kühlschranktür eine fiktive Persona entstehen lässt. Die Werke treten in einen Dialog mit zwei abstrakten Malereien von Martin Kozlowski, in denen dynamische Linien in monochromen Tönen, ohne Zweifel die Assoziation des deep space zulassen (Diptych, 2017). Eine serielle Arbeit aus beschädigten Spiegeln von Jiwon Lee rahmt den Raum und zugleich die Wandflächen zwischen den Fenstern (o.T., 2020). Einen Raum weiter greifen zwei filigran gestaltete Keramikrahmen und eine Fußleiste von Immanuel Birkert mit dem Titel Sky Lines (2020) das Granit der Messeturm-Fassade auf, während die gerahmte Zeichnung auf die Skyline Frankfurt mit Mainblick zeigt.

Immanuel Birkert, Sky Line (1), 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Yana Tsegay, Untitled (Cave Painting 2), 2019, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Der Rundgang scheint kein Ende zu nehmen und um jede Ecke warten neue räumliche Inszenierungen und reißen die Besucher*innen in ihr Spiel aus Selbst- und Interreferentialität. Einen Bruch mit der Malerei vollzieht Yana Tsegays Untitled (Cave Painting 2, 2019), deren Leinwand mit einem naturbelassenen Ast gestützt und in der Mitte des Raums aufgestellt ist. In unweiter Nähe befinden sich Werke von Feldberg. In der Art eines Trompe-l’œils, spielt er mit der Oberflächenbeschaffenheit des Bildes und den auf ihm applizierten Objekten. Zwischen Birkert und Feldberg platzieren sich Materialcollagen von Miriam Schmitz, die ebenfalls das gewählte Medium aufbrechen und sich der Zuordnung fast gänzlich entziehen wie z.B. comfy-long-hair massage (2019). Schließlich bewegt sich auch das Werk im nächsten Raum, von Sami Schlichting, zwischen den Medien. Strength Courage Conviction (2020) besteht aus Metallstäben, zusammengehalten von Kabelbindern. Und auch sie macht den humoristischen Verweis auf die Location, ist sie doch als Interpretation einer im Film RoboCop (1987) gesehenen Plastik zu verstehen. Diese wird in Drucken von Filmstills gezeigt, in denen sich das vermeintliche Vorbild in einem mit Anzugträgern besetzten Konferenzraum befindet. In 'ORBIT‘ sind zudem Cemile Deniz Alibas, Eliza Ballesteros, Koen Delaere, Felix Kultau, Dan Kwon und Rudi Ninov vertreten.

Miriam Schmitz, comfy-long-hair massage, 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

Die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 machen es besonders Kulturschaffenden zurzeit sehr schwer. Zugleich zeigt sich in der gegenwärtigen Situation das überaus große Interesse an Kunst. Der Andrang an Besucher*innen am ersten Eröffnungstag sei deshalb nur nachvollziehbar gewesen: „Wir leben in einer Gesellschaft und Frankfurt braucht das gerade. Das merkt man schon daran, dass niemand hier zum Connecten hingekommen ist. Die Leute wollen Kunst sehen“, sagt Feldberg. Geplant war 'ORBIT' bis zum 29. November 2020 und musste schließlich, wie viele Kunsteinrichtungen vorzeitig schließen. Vor diesem Hintergrund scheint es umso wichtiger die virtuelle Dokumentation und Erschließung von künstlerischen Arbeiten und Ausstellung einer digitalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ersetzt zwar diese Präsentationsform die tatsächlichen Räume und Wirkungen der Werke nicht, so dient sie doch als zeitgemäßes, pandemiegerechtes Surrogat.

Sami Schlichting, Strength Courage Conviction, 2020, installation view, ORBIT. Courtesy: the artist

'ORBIT'
16. Oktober – 29. November 2020
Eingeladen von Béla Feldberg und Arthur Löwen
artists
Cemile Deniz Alibaş, Neven Allgeier, Eliza Ballesteros, Immanuel Birkert, Aline Bouvy, Inga Danysz, Koen Delaere, Leon Eisermann, Béla Feldberg, Martin Kozlowski, Felix Kultau, Dan Kwon, Jiwon Lee, Stefan Müller, Rudi Ninov, Laura Schawelka, Sami Schlichting, Miriam Schmitz, Sssichtbeton (Martin Kähler/Max Huckle), Yana Tsegay, Martin Wenzel
Messeturm
36. OG
Friedrich-Ebert-Anlage 49
60308 Frankfurt am Main