Otobong Nkangas Poesie der Materialität
Gropius Bau, Berlin
10–12–2020

Otobong Nkanga, Solid Maneuvers, 2015, installation view, Gropius Bau, Berlin. Courtesy: Gropius Bau, Berlin; photograph: Laura Fiorio © Otobong Nkanga

‚There’s No Such Thing As Solid Ground‘, Otobong Nkangas erste Einzelausstellung im Berliner Gropius Bau, beschreibt einen Zustand, der sich ständig verändernden und weiter verzweigenden Ströme von Menschen, Heimaten, aber auch von Rohstoffen, die unseren Planeten besiedeln. Verbindungen zwischen Land und Körper sind keine beständigen und befinden sich im ständigen Fluss; Rohstoffe werden extrahiert, um die Welt transportiert und anderenorts manipuliert. Die Skulpturenserie Solid Maneuvers (2015) bezieht sich auf das Gebiet Tsumeb im heutigen Namibia, in dem zur Kolonialzeit ab Beginn des 20. Jahrhunderts deutsche Kolonialisten Mineralien, wie Gold, Kupfer, Blei und Salz abbauten. Das Kupfermineral „Mica“, mit seiner grün-schimmernden Erscheinung, wird auch heute noch, unter anderem für die Produktion von Mobiltelefonen und Kosmetikartikeln benutzt. In Nkangas Skulpturen werden unterschiedliche Materialschichten aus Acryl, Aluminium, Blech, Erdöl, Kupfer und Stahl, die eine topografische Form abbilden, übereinander gelagert. Diese nehmen Bezug auf den negativen Raum unter der Erde, der nach den Eingriffen in den Abbaugebieten als eine Art Wunde zurückbleibt.

Otobong Nkanga, Diaspore, 2017, installation view, 14 Rooms, Basel, 2014. Courtesy: Gropius Bau, Berlin © Otobong Nkanga; photograph: Andri Pol © Otobong Nkanga

Bei meinem Besuch im Sommer bewegte sich eine Schwarze Performer bestimmt und aufrecht mit einer großen Pflanze im Blumentopf auf ihrem Kopf durch einen weiteren Raum (Diaspore (2014/2020). Sie hält den Augenkontakt zu Besucher*innen und nimmt jede Veränderung ihrer Umwelt aufmerksam wahr. Der Boden, auf dem sie sich bewegt, ist eine topografische Karte eines unbestimmten Ortes. Vorsichtig durchquert die Performerin diese Landschaft und überschreitet dabei zwangsläufig auch immer wieder Grenzen. Der Blumentopf wiegt schwer auf ihrem Kopf – sie bewegt sich mit Bedacht. Die Pflanze darin, ist eine „Königin der Nacht“ (Cestrum nocturnum), die heute auch in Nigeria wächst, Forschungsergebnissen zufolge jedoch von den Westindischen Inseln stammt. Der Performance-Titel bezieht sich auf den botanischen Begriff, “diaspore”, der Früchte und Sporen beschreibt, die der Verbreitung von Pflanzen dienen, und nimmt Bezug auf die Entwurzelung und Migration von Menschen und Flora. Als Performer*innen (insgesamt 15) wählte Nkanga spezifisch Frauen, die sich der Schwarzen, afrikanischen, afro-diasporischen Community zugehörig fühlen. Nkanga macht dadurch darauf aufmerksam, wie natürliche Ressourcen, aber auch Menschen verdrängt und entwurzelt wurden und sich immer wieder neu anpassen mussten. Damit spannt sie einerseits ein weites Feld der Migration auf, andererseits vermittelt sie in der Performance aber auch die spezifische Lebensrealität der afrikanischen Diaspora.

Otobong Nkanga in front of Double Plot, 2018, installation view, Gropius Bau, Berlin, 2020. Courtesy: Gropius Bau, Berlin; photograph: Luca Girardini © Otobong Nkanga

Otobong Nkanga, Manifest of Strains, 2017, and Double Plot, 2018, installation view, Gropius Bau, Berlin, 2020. Courtesy: Gropius Bau, Berlin; photograph: Luca Girardini © Otobong Nkanga

Die Wandlungsfähigkeit von Rohstoffen wird besonders in der Arbeit Manifest of Strains (2017) veranschaulicht. Die ringförmige Skulptur ist in sieben Kammern unterteilt, in denen Materialien genutzt werden, die sich auf eines der Grundelemente – Feuer, Wasser, Luft – beziehen und während der Ausstellungsdauer physikalisch manipuliert werden. Durch die Veränderung der Temperatur wird beispielsweise ein thermochromer Wechsel eines Farbpigments von Schwarz zu Silber erzeugt; in einer anderen Kammer herrscht eine Luftkompression vor und eine weitere wird mit Wasser befüllt, sodass sie rostet.
Diesen Vorgängen gibt Nkanga eine poetische Lesart. Sie sollen emotionale Zustände wie Melancholie, Taubheit und Wut versinnbildlichen und diese in ihrer ganz eigenen Sprache des Materials begreifbar machen. Die durch den Kolonialismus und den Klimawandel hervorgerufenen Zustände zeugen davon, wie stark die Nachfrage nach Rohstoffen das Schicksal verschiedenster Bevölkerungsgruppen beeinflusst, gar gesteuert hat. Jene Verstrickungen von Körpern und Landschaften und deren menschliche, geologische und politische Konsequenzen werden in dem Wandteppich Double Plot (2018) deutlich. Er schmiegt sich wie eine zweite Sphäre um Manifest of Strains und gibt den einzelnen chemischen und physikalischen Reaktionen des Materials ein Gesicht. Fotografien, die in eine menschliche Maschinerie der Einwirkung auf die Umwelt eingebunden sind, zeigen konkrete Beispiele politischer Unruhen, wie die ägyptischen Volksaufständen in Kairo (2011).

Otobong Nkanga, Taste of a Stone, 2020, installation view, Gropius Bau, Berlin, 2020. Courtesy: Gropius Bau, Berlin; photograph: Luca Girardini © Otobong Nkanga

Otobong Nkanga, Taste of a Stone (detail), 2020, installation view, Gropius Bau, Berlin, 2020. Courtesy: Gropius Bau, Berlin; photograph: Luca Girardini © Otobong Nkanga

In der Soundinstallation Wetin You Go Do? Oya Na (2020), die sich im letzten Raum der Ausstellung befindet, ertönen abwechselnd Stimmen, Schnipslaute und Gesang aus unterschiedlichen Lautsprechern. Nkanga spricht dort in verschiedenen Akzenten und Tonlagen, die ausgeprägte Charaktere in ganz unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Gefühlszuständen, vor dem inneren Auge entstehen lassen. Diese werden vor allem durch den Kontrast von British English, sowie nigerianischem Pidgin bestärkt, einer Kreolsprache, die sich im Nigerdelta entwickelte und auf dem Englischem basiert.
Die Auswirkungen des Imperialismus und Kolonialismus, den Raub und Handel mit Rohstoffen, sowie die Versklavung und Vertreibung von Menschen zu diesem Zweck, macht Otobong Nkanga auf vielschichtige Weise fassbar. Neben der Darstellung der Spuren von Kreolisierung – der Entstehung von diasporischen Identitäten und Sprache – werden auch neue Verortungen und Verschmelzungsprozesse von nicht-menschlichen Entitäten, wie Pflanzen oder Mineralien und die aus ihnen entstandenen Produkte auf poetische in den Mittelpunkt gerückt.
Otobong Nkanga (geb.1974 in Nigeria) war 2019 In House: Artist in Residence im Gropius Bau und verfolgte in dieser Zeit auch ihr Langzeitprojekt Carved to flow weiter. Das Projekt hat eine alternative Herstellung und den Vertrieb der 'O8 Black Stone'-Seife mit Ressourcen aus dem Mittelmeerraum, Nord- und Westafrika und dem mittleren Orient zum Gegenstand. Ökonomien der Ausbeutung sollen dabei durch ein System des Austauschs ersetzt werden. Die Gewinne aus dem Verkauf der Seife finanzieren die Carved to Flow Foundation in Nigeria, welche sich wiederum mit der Aufbereitung lokalen Wissens beschäftigt.
Otobong Nkanga – There’s No Such Thing As Solid Ground
10. Juli – 13. Dezember 2020 (die Ausstellung ist momentan wegen der COVID-19 Regulierungen geschlossen)
Gropius Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin