Der schöne Schein darf Luxus sein
Zur Ausstellungsreihe "Castle for Rent"
02–10–2022
Exhibition Note by Naomi Rado

Dennis Rudolph, Messengers of the AI


Wie funktionieren Ausstellungen in einer Zeit in der die Lebenswelt vieler Menschen sich zunehmend in der digitalen Sphäre abspielt? Und was sind heute überhaupt noch die Funktionen von Kunstschauen, wenn auch die prestigeträchtige Event-Kultur, die sie einst umgab, längst nicht mehr im Ausstellungsraum selbst stattfinden muss, sondern  eher auf den social media-Profilen derjenigen zu finden ist, die an ihnen partizipieren? Pia vom Ende und Christian Kölbl setzen als Kurator:innen der mehrteiligen Ausstellung »Castle for Rent« an den aktuellsten Entwicklungstendenzen des Kunstausstellens und -marketings an. Kritisch nehmen sie die Ambivalenzen und Paradoxien in den Blick, die das Ausstellen im digitalen Raum ebenso wie die Verlagerung von Kunstkäufen ins world wide web mit sich bringen. Ausgeweitet auf einen Showroom im Showroom wird die Absurdität dieser affirmativen Logik des Kunstmarktes so auf die Spitze getrieben. Präsentiert in einer Umgebung, die sich einer Formsprache der Minimal Art bedient,  etwa die geometrischen Skulpturen von Robert Morris und So LeWitt nachahmt, findet die eigentliche Ausstellung im Metaverse statt, das Besucher:innen mithilfe von virtual reality-Technologie – VR-Brillen – betreten können. Alles andere als willkürlich ist dabei die Entscheidung der Kurator:innen, nicht den white cube selbst als Ort der Kunst zu markieren, sondern die Kunst dekorativ in das Interior einer virtuellen Luxusapartment-Besichtigung einzuflechten. Die Werke fügen sich darin in das Gesamtkunstwerk eines rein digital konzipierten Ausstellungsraumes und gehen in ihm nicht nur vermeintlich auf, sondern fast unter. Fügen sie sich damit gar der heutigen Massenkultur, die sich alles Subjektive zum Schein des Individualismus einverleibt? Es lohnt ein Blick auf die gegenwärtige Digitalkultur, um zu verstehen, welche ihrer Mechanismen das digital- bestehende System eher stützen, als dass sie es ins Wanken brächten. 

Installationsansicht, Castle for Rent, 2022, kuratiert von Pia vom Ende. Displaydesign von Christian Kölbl.



Kult(ur) und Kommerz der Virtualisierung
Nicht erst durch die anhaltende Pandemielage kommt der digitalen Sphäre eine immer bedeutendere Rolle in der alltäglichen Lebensgestaltung zu – Soziale Medien und die damit einhergehende kontinuierliche Medienpräsenz sind längst zum festen Bestandteil des Lebens geworden. Auch in der Kunstwelt setzen sich digitale Angebote, seien es  Ausstellungsräume oder digital generierte Werke, mit rasender Geschwindigkeit durch. Sie scheinen dabei zunehmend den Status realer Institutionen einzunehmen, was sich auch in ihrer Wertform widerspiegelt. Erst im Jahr 2021 wurde über das international renommierte Auktionshaus Christie’s etwa das NFT Everydays: The First 5000 Days von Beeple für fast 70 Millionen Dollar versteigert – gezahlt in der Kryptowährung Ether. Der Eklat und das Staunen über den finalen Verkaufspreis der digitalen Bilder-Collage setzte den globalen Hype der als Non Fungible Tokens bezeichneten Datensätze erstmals in eine direkte Beziehung zu Wertschöpfungsstrategien spekulativer Investments. Denn es kann kaum die Rede davon sein, dass mit dem Kauf von NFTs tatsächlich Kunstwerke akquiriert werden: es handelt sich bei den Wertmarken lediglich um Besitzzertifikate, die in eine Blockchain eingespeist werden. Diese suggerieren, man besitze die Rechte an einem originalen Kunstwerk, welches in Wirklichkeit – qua seiner Verfasstheit nur als digitale Datei zu existieren – beliebig oft und identisch reproduziert werden kann.[1] Das Handeln mit NFTs ähnelt somit eher einem Aktienkauf als dem Erwerb von Kunst. Nicht einmal als Statussymbol scheint sich ein „echtes Werk“ noch zu eignen, hat sich doch nicht erst mit dem pandemiebedingten Rückgang sozialer Interaktionen die Reputation privater Salons und connoisseurhafter Wohnungsausstellungen schon lange erschöpft.

Dennis Rudolph, Messengers of the AI



Nur kurze Zeit nach der spektakulären NFT-Auktion wurde publik, dass auch die 2019 begonnene „Act of Coding“-Initiative von Erfolg gekrönt sein sollte und Demos, die Erzeugnisse digitaler Echtzeit-Animation, in das UNESCO-Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden.[2] Der Eintritt digitaler Medien in die Kultursphäre scheint damit endgültig besiegelt. Doch stellt sich noch immer die Frage, wie es um ihre Wertigkeit innerhalb des real Vorhandenen, der materiellen Welt oder, um einen Begriff des Filmtheoretikers Siegfried Kracauer zu gebrauchen, wie es um ihr Verhältnis zur „Physischen Realität“ bestellt ist. Denn was aus diesem Online-Kult erwächst, ist, ganz gegensätzlich zu seinem Anschein, alles andere als immateriell. Lassen sich etwa durch die Virtualisierung Einsparungen an Ressourcen, an Räumen, Personal oder Logistik vermuten, so haben doch all diese digitalen Anwendungen reale Auswirkungen. Durch die verkehrt sich die Vorstellung des Internets als ein utopisches und offenes, gar demokratisches Projekt schnell in eine umweltschädigende Endzeit-Dystopie. Je mehr Daten genutzt werden, desto mehr Energie wird verbraucht. So nehmen auch zahllose Rechenzentren immer mehr Platz in realen Infrastrukturen ein und mit zunehmendem Bedarf an Rechenleistung ist mit weiteren Einschnitten in Landflächen und Natur zu rechnen, um Endverbraucher:innen das „zweite Leben“ im digitalen Raum ermöglichen zu können. Bei NFTs wie auch bei anderen digitalen Angeboten wäre also danach zu fragen, inwieweit eigentlich das „Ding an sich“ durch Qualität heraussticht, oder ob es bloß das gewählte Medium ist, welches sich als zeitgemäße und demnach als „hippe“ Praxis hervortut, ungeachtet dem Rattenschwanz realer Konsequenzen und der mit ihr einhergehenden Begünstigung ausbeuterischer kapitalistischer Strategien, durch die sich der digitale Bereich auszeichnen. Es ist mittlerweile nicht mehr nur die Rede von Sozialen Netzwerken, die mit persönlichen Daten bespielt werden, denn als Medium der Zukunft wird längst das Metaverse gepriesen, in dem immersiv – etwa mithilfe von virtual reality gadgets – dem virtuellen Leben keine Grenzen mehr gesetzt sind.

Installationsansicht, Castle for Rent, 2022, kuratiert von Pia vom Ende. Displaydesign von Christian Kölbl.



Virtuose Virtualität – web 2.0-Affinität als character trait
Nun mag es keine neue Erkenntnis sein, dass Kunst immer auch einen Warencharakter hat, denn sie entsteht nicht nur aus menschlicher Arbeit, sondern partizipiert spätestens seit ihrer Autonomisierung von der klerikalen Auftragsarbeit auch aktiv am freien Markt. Ihr Warenwert mag dabei zwar anders geartet sein, als jener, anderer Güter, doch es ist zu beobachten, wie Kunst und Kunstmarkt gegenwärtig gravierende Veränderungen durchlaufen, die an veränderte ökonomische und technologische Rahmenbedingungen geknüpft sind und doch den Fetischcharakter der Kunst nicht außen vor lassen. Diese Digitalisierung von Kunst und Kunstmarkt, mit ihrem Fokus auf dem Handel und Zeigen von digital assets, so scheint es denn, eignet sich bestens für die Eingliederung in den – nicht neuen aber stetig wachsenden – Plattformkapitalismus. NFTs werden so etwa über eigens für ihren Verkauf generierte Marktplätze vertrieben, die wie Soziale Netzwerke darauf setzen, eine Infrastruktur bereitzustellen, allerdings jegliche Aktivität innerhalb dieser durch Dritte – die User:innen – gestalten zu lassen. In dieser sich kontinuierlich weiter zu einer Art Informationsgesellschaft entwickelnden Lebensrealität bedeutet das allerdings auch das Monetarisieren und Ausbauen der Netzwerke, deren Inhaber sich darauf verlassen können, dass die Strukturen laufend mit mehr Content geflutet werden. Entfernt man sich also von der idealisierten Vorstellung, die Plattformen wie Instagram, als zugänglich, oder als gute Möglichkeit der Archivierung und Informationsgewinnung preist, zeigt sich schnell, dass das Inkorporieren von Kunst auf sozialen Netzwerken, in erster Linie den Plattformen selbst zu Gute kommt. Sie generieren traffic in Form von Likes, Shares, Reposts und Kommentaren. Darin zeigt sich aber auch welcher Gewalt die Kunstwerke selbst ausgesetzt sind. Kaum ein Kunstwerk, das nicht medienreflexiv für die Plattform selbst entworfen wird, kann auf ihr in einer Weise abgebildet werden, die ihm gerecht wird: klein, verpixelt und auf quadratisches Format gepresst, gehen sie in der Unmenge an anderen Bildern unter, stehen kaum noch für sich selbst, sondern nur noch als ein Objekt von vielen für visuell-gedankliches Schweifen und Aneignen allzeit bereit.

Patricia Detmering, Serie von Selbstportraits, 2020 – 2022



Weil es jedoch eben nicht ausreicht, das digital zu verkaufende Werk lediglich in dieser eher suboptimalen Präsentationsform bereitzustellen, setzen auch Auktionshäuser und Galerien zunehmend auf digitale Führungen und Schauen, die gleich den exklusiven Szeneevents, Messen, Openings und Art Nights, die Erhabenheit der Kunstwerke durch spektakuläre Inszenierung zum Ausdruck zu bringen suchen. Stellvertretend zu einem „auratischen“ Antlitz des Originals wird so versucht, eine transzendierende Aufwertung der digitalen Kunst zu erzwingen. Mit einem Klick sind so auch die eigenen Kunstwerke per App schnell freigestellt und können anschließend in beliebiger Größe zwischen Designer-Möbeln platziert werden. Fotografisch eingebettet in Raumarrangements, die aus Hochglanz-Architekturmagazinen stammen könnten – sie tun es womöglich sogar, denn auch Bedenken über Copyrights und Urheberrechte scheinen durch Meme-Kultur und das ständige Vervielfältigen von Bildern nicht nur überwunden, sondern vergessen. Es langt also nicht mehr, Kunst durch die ihr eigenen Qualitäten zum begehrenswerten Objekt zu erklären. Viel eher bedarf es ihrer umfassenden Lifestyle-Vermarktung. Für diese wird die Kunst kurzerhand auf symbolische Ebene degradiert und dabei kaum noch für die in ihr zum Ausdruck gebrachten Sujets und Inhalte gewürdigt. Kunst wird entweder zur Marke oder zu Design – je nachdem inwieweit man sich mit dem Namen der jeweiligen Künstler:innen schmücken kann oder eben zur Aufwertung des eigenen guten Geschmacks. Annekathrin Kohout verdeutlicht in ihrem kürzlich auf Zeit Online publizierten Artikel, wie sich mit der Veränderung des Kunstvermarktens ebenfalls das Verhältnis zwischen Künstler:innen und Sammler:innen wandelt. In einer Art Influencer-Logik müssten Künstler:innen heute nicht nur ihre eigene Kunst promoten, sie würden durch die Aufmerksamkeitsökonomie der Plattformen dazu genötigt, Strategien von Networking, Selbstinzenierung und Storytelling zu adaptieren, wie sie auch öffentliche Persönlichkeiten nutzen, die sich dort selbst als Lifestyle-Brands präsentieren. Es besteht für Künstler:innen dabei nicht einmal mehr die Garantie des Tauschgeschäfts, denn Sammler:innen heute, so Kohout, neigen im gleichen Maße dazu, ihren Status durch popkulturelle Bildung oder Objekte aufzuwerten, was lange dem Mäzenatentum der Hochkultur vorbehalten war.[3] Auch ist das reale Kennenlernen durch hochfrequentierte Präsenz von online erwerbbarer Kunst ins Hintertreffen geraten. Websites und -shops sind minutenschnell aufgesetzt, sodass es für viele Künstler:innen nicht einmal mehr nötig ist, sich von einer Galerie vertreten zu lassen und auch in der direkten Kommunikation mit Kaufinteressierten liegt der Vorteil des community buildings. 

Installationsansicht, Castle for Rent, 2022, kuratiert von Pia vom Ende. Displaydesign von Christian Kölbl.



Was das für Künstler:innen heute bedeutet, ist: Werbung Werbung Werbung! Und so ist es auch durchaus nachvollziehbar, dass vom Ende und Kölbl sich der grotesk populären Präsentationsform eines Luxusapartments verschreiben, um den affirmativen Zugriff auf Kunst, wie er von digitalen Plattformen propagiert und durch ihre User:innen gespeist wird, mit Ironie und Überspitzung zu brechen. Ob es dabei nun die Kunst ist, die der Raumgestaltung zuträgt oder andersherum, spielt dabei ebensowenig eine Rolle, wie ob diese real existieren. Die zur digitalen Schau gestellten Arbeiten, sind ihrerseits nur als digitale Werke vorstellbar: glossy Objekte in 3D-Anwendungen, Fotografien die mit digitalen Filtern nachbearbeitet sind, alle etwas opulent oder mit einer gezielten Portion Kitsch versehen, die sich scheinbar problemlos an ein besseres, das idealisierte, digitale Leben anschmiegen. Doch auch in der Reproduktion liegt Kritik, persifliert sie gerade durch die Übertreibung das Bestehende und spiegelt damit die ihm innewohnende Irrationalität – so kann denn auch nobel die Welt zugrunde gehen.


[1] Eine eingängige und ausführliche Analyse dessen, was ein NFT ist und wie es sich von verschiedenen Formen Digitaler Kunst unterscheidet, liefert Kolja Reichert im 2021 veröffentlichten Buch Krypto-Kunst, erschienen in der Reihe Digitale Bildkulturen.
[2] Siehe hierzu auch Vincent Först: „Demoszene wird Immaterielles Kulturerbe“ (24.03.2021), auf: Netzpolitik Online, URL: https://netzpolitik.org/2021/digitale-kunst-demoszene-wird-immaterielles-kulturerbe/ (Letzter Auruf: 11.08.2022)
[3] Vgl. Annekathrin Kohout: „Ein Herzchen für die Kunst“ (01.08.2022), in: Zeit Online, URL: https://www.zeit.de/kultur/2022- 08/johanna-dumet-kunst-infuencer-instagram-werbung-10nach8/komplettansicht (Letzter Auruf: 11.08.2022)

"Castles for Rent"
Episode 1 ab 2. September
Episode 2 ab 30. September
Episode 3 ab 21. Oktober

Künstler*innen der ersten Episode:
Patricia Detmering, Christian Holze und Dennis Rudolph

Kuratiert von Christian Kölbl und Pia vom Ende 

Projektraum
Schönwalder Straße 44
13585 Berlin