Frei von Diskurs
Über institutionelle Verantwortung
08–07–2020
Collaboration by Naomi Rado Demba Sanoh Luisa Del Prete
Mit O-Tönen von James Gregory Atkinson, Nicholas Grafia und Geneviève Lassey
Begleitet von Grafiken von Mona Chalabi

Women make up just 12% of major US art museum collections. Illustration: Mona Chalabi

Mit der Aussage „Was darf Kunst und wo hört ihre Freiheit auf? Als Gesellschaft ist das eine Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen“ beginnt das Statement der Social Media-Abteilung des Frankfurter Städel Museums, das am 22. Juni 2020 verschiedene Instagram-User*innen in Form einer privaten Nachricht erreichte. Der überschaubare Text wurde als Reaktion auf die vielfachen und kritisch konnotierten Reposts einer derzeit im Städel gezeigten Malerei Georg Herolds von 1981, mit samt seines zugehörigen Werkschildes – und mit besonderem Fokus auf seinen Titel – verschickt. [1] Das Gemälde, mit den Maßen 90 x 130 Zentimeter im Querformat recht groß, soll in diesem Text bewusst weder benannt noch abgebildet werden.
Mit expressivem Duktus durchzieht das Bild - der Technik nach Dispersionsfarbe aufgetragen auf einer Hartfaserplatte - fast gänzlich ein starkes Gelb, teils mit Weiß gemischt, teils in seinem Primärton, besonders dort im Hintergrund, wo es im mittleren linken Bildteil den Kopf der am prominentesten platzieren Figur umschließt. Gelb ist auch ein Teil ihres Kopfes, schattig abgesetzt sein Rest und der Körper, in einem Ton zwischen dunklem Rose und Violett. In jedem Fall dunkler als sein Pendant, zu sehen im unteren rechten Bildrand. Nur schemenhaft in schwarzen Konturlinien findet sich hier die Mimik weiterer Figuren, die komplementär in einem pastellenen Grünton abgebildet sind. Prägnanter sind ihre Gesten: eine Hand scheint die Figur links im Bild am Arm zu packen, eine weitere Hand streckt sich weit nach oben. Diese ist es wohl, die den Ziegelstein warf, der mittig im Bild auf die groß abgebildete Figur zu zu fliegen scheint. Eine Ampel trennt die Meute von der Einzelperson, deren Erkennungsmerkmale unverwechselbar auf einen rassistischen Stereotyp schließen lassen und gibt grünes Licht für den Steinwurf.
Das Statement liest weiter: „Wir als Museum verstehen uns als ein Ort der Freiheit, der Debatte und des Widerspruchs. [...] Wir wollen mit unseren Besucherinnen und Besuchern hinsehen, nicht wegschauen. Es tut uns leid, wenn der das Werk begleitende Text in seiner antirassistischen Deutung nicht klar genug wird.“ Mag man nun dem Städel per se keine rassistische Absicht unterstellen, sich aber dezidiert und analytisch der Frage widmen, was an dieser Arbeit und dem Umstand ihrer Ausstellung tatsächlich problematisch ist, so betrifft die Auseinandersetzung nicht etwa nur das stereotype Abbilden einer schwarzen Person, geschweige denn nur den das Werk begleitenden Text. Das Problem liegt tiefer und muss auf seiner strukturellen Ebene erfasst werden. Am allerwenigsten bezieht sich die Kritik dabei auf Georg Herold als Person, auch wenn sich sicher danach fragen ließe, in welcher Absicht sich der Künstler eben jener Bildmotivik bedient. Nur gibt die Künstlerintention lediglich einen geringen Ausschlag für die Rezeption des Werkes. Ebenso wenig meint die Kritik am Bild bloß, es abzuhängen - es damit gar für die Öffentlichkeit zu zensieren. Besteht hierin zwar eine erste Anerkennung der Kritik, so stellt sich dieser Umgang mit Kunstwerken langfristig in keiner Weise als eine zureichende Auseinandersetzung mit Rassismus dar. Stattdessen aber wäre ein Diskurs über die gesellschaftlichen Implikationen anzustellen, in denen es überhaupt dazu kommen kann, dass ein solches Bild als die adäquate Antwort auf gegenwärtige soziale Bewegungen verstanden wird. Das, leider, scheint das Städel Museum nicht zu begreifen. Und deshalb verkennt jeder Kommentar, der die Handhabe des Städel mit diesem komplexen Thema unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit legitimiert, die Tragödie der fehlenden Repräsentation von BIPoC (Black, Indigenous, and People of Colour) in öffentlichen, deutschen Einrichtungen und Diskursen.
Denn Rassismus beginnt nicht erst, wenn BIPoC in Polizeihand und -gewahrsam zu Tode kommen oder Nazis gezielte Anschläge auf migrantische Geschäfte in deutschen Städten verüben. Rassismus ist auch, wenn öffentliche Institutionen ihre real bestehende Wirkmächtigkeit nicht dazu nutzen, auf Diskriminierung hinzuweisen. Auch in der vermeintlich apolitischen Verweigerung, sich zu gesellschaftlichen Missständen gerade nicht zu äußern, vollzieht sich ein Akt der Gewalt. Mit einem Slogan der Black Lives Matter-Bewegung gesprochen: „To be silent is to be taking the side of the oppressor!”. Nun also auf den Zug der political correctness aufzuspringen, wenn es der „Trend“ erfordert, zeugt schon von Opportunismus. Sich dann allerdings nicht einmal zu bemühen, die Debatte zu verstehen, sondern ein unreflektiertes Kommentar in Form eben jenes Bildes von Herold zu bringen und sich der Kritik daran zu sperren, ist schiere Gleichgültigkeit gegenüber der gegenwärtig ausgetragenen sozialpolitischen Kämpfe und den Leidenserfahrungen von BIPoC – nicht nur in Deutschland, sondern in unserer globalen Gesellschaft; mehr als ein white-savior-complex ist aus diesem Verhalten nicht abzuleiten.
Einer kunstwissenschaftlichen Aus- oder Fachbildung bedarf es ebenfalls nicht, um zu analysieren, dass das Verhalten des Städel Museums auf mehreren Ebenen typischen Mustern in Debatten um Rassismus folgt und offensichtlich nicht verstanden wurde, worum es bei anti-rassistischem Handeln und Denken geht. Darum nämlich von Rassismus betroffenen Menschen zuzuhören und deren Anliegen ernst zu nehmen. Stattdessen wird von weißen Männern in Machtpositionen – sei es an Museumsspitzen oder in den Redaktionen von Leitmedien – darauf gepocht, dass das Bild nicht rassistisch sei, sondern anti-rassistisch – ohne dabei den Widerspruch zu sehen. [2] Es ist ein typischer Fall von whitesplaining: Weiße Personen mit institutioneller Macht und kulturellem Kapital – aber ohne Rassismuserfahrungen – erklären nicht-weißen Personen von oben herab und aus ihrer weißen Perspektive heraus, wie Rassismus funktioniert. So wird rassifizierten Menschen abgesprochen, selbst bestimmen zu können, ob sie rassistisch angegriffen werden und deren nachvollziehbare Reaktion als ungültig markiert.

Men make up 88% of major US art museum collections. Illustration: Mona Chalabi

Der Verweis auf die Intention des Künstlers ist dabei absolut irrelevant: Die Darstellung wird nicht weniger rassistisch oder verletzend. Das gleiche gilt für das N-Wort, das im Titel des Bildes benutzt wird. Betrachtet man den Begriff in seinem historischen Kontext, wird schnell klar, was die Intention seiner ursprünglichen Verwendung war. Bezeichnend ist auch, dass die Verantwortlichen im Städel Museum nicht einmal auf die Idee kommen, dass ein weißer Künstler – ob nun bewusst oder unbewusst – seine rassistische Sozialisation in seine Kunst einfließen lassen könnte. Dass es angemessen wäre, in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Rassismus endlich nicht-weißen Künstler*innen einen Raum und eine Stimme zu geben, scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen. Dass im Städel Stellvertreterpolitik betrieben wird, zeigt sich also in diesem konkreten Fall im Besonderen daran, dass die Stimme nicht denjenigen Personen gegeben wird, die sie gerade dringender denn je benötigen und generell mit nur wenigen bis keinen Arbeiten in dieser Institution vertreten sind: Anstatt BIPoC selbst zu ihren Gewalterfahrungen sprechen zu lassen, stellt man genau die Position aus, an welcher es dem Städel gewiss nicht mangelt. [3] Da die überaus umfangreiche Sammlung des Museums nur begrenzt Diversität bietet, wäre es auch hier ein notwendiger Schritt, sich intern der vorherrschenden Ignoranz entgegen zu stellen und darüber zu reflektieren, weshalb künstlerischen Positionen von BIPoC-Künstler*innen, sowie im Besonderen Arbeiten von weiblich gelesenen Personen im Städel kein Raum gegeben wird.
„Museen zementieren in ihren Hallen einen kunsthistorischen Kanon; hier wird nicht nur Geschichte dargestellt, sondern auch aktiv repliziert und produziert. In ihnen wird Geschichte demnach auch geschrieben. Das Schreiben dieser Geschichte zieht ambivalente Prozesse der Ex- und Inklusion mit sich und es stellt sich immer die Frage, wer genau diese Geschichte erzählen, lesen oder hören soll. Alle erreichen tut man selten. Bei Themen wie Rassismus und antirassistischen Bemühungen, sollte dieser Versuch aber ganz klar im Fokus stehen, denn diese betreffen und involvieren uns alle auf verschiedene Weise und das auf globaler Ebene” äußert der Künstler Nicholas Grafia, der sich auf seinem Instagram-Kanal immer wieder mit institutional critique und Rassismus im Kunstbetrieb auseinandersetzt.
Es ist allerdings nicht nur die fehlende Teilhabe von BIPoC in Künstler*innenrollen, sondern auch ihre fehlende Sichtbarkeit in leitenden Positionen der Kultureinrichtungen, in Rollen der Kurator*innen und Kulturjournalist*innen – die Liste ließe sich fortsetzen. Hier tritt im Bereich der Kunst- und Kulturbranche ein Phänomen zum Vorschein, das der kapitalistischen Form von Gesellschaft immanent anhaftet und sich auf fast alle Arbeitsbereiche übertragen ließe: gatekeeping. Selbst in denjenigen Branchen, in denen BIPoC vermehrt beschäftigt sind – namentlich und besonders im Lichte der gegenwärtigen Krise lässt sich hier die Beschäftigung von weiblich gelesenen BIPoC in unterbezahlten Jobs des sozialen Sektors anführen – sind die Spuren der Gatekeeper zu finden und werden mit der Aufrechterhaltung des bestehenden Systems strukturell nicht zu überwinden sein. Der Begriff, der vor allem in der Soziologie gebraucht wird, um einen Umstand zu beschreiben, in dem Personen in Machtpositionen Einfluss auf die Bildungs- und Karrierewege, und somit die Aufstiegschancen, anderer nehmen, setzt mit dem Schulwesen ein, in dem zumeist weiße Lehrer*innen über den Schulzweig ihrer Schüler*innen entscheiden und führt sich im Berufsleben fort. Mag es zwar heute schon Initiativen einzelner Einrichtungen geben, per Quote allgemein mehr Inklusivität unter den Beschäftigten zu gewährleisten, so bestätigen auch hier nur Ausnahmen die Regel. Denn selbst Quotierung ist mit echter Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht zu verwechseln.
Geht man zurück zu Herolds Bild und betrachtet es ohne Begleittext des Museums, so sieht man nichts weiter als einen lynchenden Mob, der einen vermeintlich Anderen attackiert. Es ist eine Zumutung, die nur noch von der Frechheit übertroffen wird, dass der beschreibende Text keinesfalls eine klar antirassistische Stellung bezieht, sondern in nebulösen Bilddeutungen verweilt. Welche Re-Traumatisierung damit für BIPoC einhergehen muss, lässt sich aus Studien der vergangenen Jahre ableiten, die sich mit race-based traumatic stress befassen. [4] Die Gewalt an BIPoC ist so präsent und alltäglich, eines erneuten Aufgriffs im Bilde besonders durch eben diejenigen, die von dieser Leiderfahrung nicht betroffen sind, die denn allerhöchstens theoretisch für diese Gewalt sensibilisiert sein können, bedarf es nicht. In vielen Fällen können solche Bilder sogar Posttraumatische Belastungsstörungen befördern, sodass die künstlerische Aufarbeitung dieser Gewalterfahrungen zumindest bei den betroffenen Personen liegen sollte. Andernfalls ist es lediglich instrumentalisierte Ästhetisierung dieser Gewalt an BIPoC. Der historische Kontext Herolds sowie die Entstehung seines Bildes sollte hier nicht aus dem Blick geraten, waren doch 1981 sowohl das N-Wort als auch genau diese Gewalt an BIPoC durchaus noch salonfähig. Von einer gar progressiven Provokation der Betrachtenden durch die Konfrontation mit dem Motiv wäre heute also gar nicht mehr zu argumentieren – mit einer überaus unbedachten Verletzung derjenigen, die von rassistischer Gewalt noch heute betroffen sind hingegen schon. Für weiße Betrachter*innen ist die Wirkung, die dieses Bild auf von Rassismus betroffene Personen hat, kaum nachvollziehbar. Vielleicht appellieren deshalb die meisten Medien und der vom Städel verfasste Text an die vermeintliche Kraft, die es aufzubringen gelte, ein solches Bild auszuhalten. Niemals sind sie, die weißen Betrachter*innen, weder real noch fiktiv, mit eben dieser Existenz auslöschenden Geste konfrontiert, die im Gemälde Herolds so brachial zum Ausdruck kommt.
Auch ist kein authentisches Verständnis von Kunst und Gesellschaft gegeben, wenn weiterhin nur weiße Künstler*innen ausgestellt werden – BIPoC-Künstler*innen höchstens dann zu Wort und Bild kommen, wenn es unmittelbar um ihre Opferrolle betreffend rassistischer Gewalt geht; ihnen damit bloß eine institutionell angeleitete Instrumentalisierung widerfährt und sie nicht hinsichtlich der Wichtigkeit ihres jeweils eigenen Oeuvres geachtet werden. Die Sammlung des Städel, wie auch vieler anderer Kunstinstitutionen, denkt die Arbeiten von BIPoC-Künstler*innen dabei regelrecht weg. Eine Sammlung jedoch, die es sich auf die Fahne schreibt, moderne und zeitgenössische Kunst zu zeigen, dabei aber nur Werke von weißen, meist männlichen Künstlern ausstellt, gibt kein authentisches Bild der Welt wieder. Sie informiert lediglich aus dem Standpunkt des white privilege und reproduziert die Perspektive der vermeintlich weißen Vormacht. Und nochmal muss nachdrücklich betont werden, dass das Städel kein Singularium darstellt, wenn es um institutionalisierten Rassismus geht. Auch die Stimmen, die sich gegen diese spezifische Art der vermeintlichen Aufarbeitung erheben, klingen hier nicht zum ersten Mal. So ließe sich nicht nur das Gemälde Open Casket (2016) von Dana Schutz erwähnen, das im Rahmen der Whitney Biennale 2017 in New York gezeigt wurde und einen weitreichenden Medieneklat auslöste. [5] Nein, das Beispiel muss nicht in den USA gesucht werden, denn auch in Deutschland muss man für einen solchen Fall der Aneignung und fehlgeleiteten Auseinandersetzung nicht lange suchen. Zuletzt sorgte beispielsweise in Berlin das Kollektiv Soup Du Jour für Aufsehen, als es berechtigterweise Kritik am Künstlerhaus Bethanien übte, in dem im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Afrofuturismus keine einzige Schwarze Position gezeigt wurde. [6] In Frankfurt selbst gab es erst im letzten Jahr großen Unmut und Aufschreie über gleich mehrere Ausstellungen. Die Retrospektive zu Wilhelm Kuhnert in der Schirn Kunsthalle, König der Tiere, versäumte die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, rückte stattdessen die Verklärung und Romantisierung des afrikanischen Kontinents in den Fokus und überschattete damit die kritische Auseinandersetzung mit ihr. [7]

Many women and people of color are potentially absent from art museum collections. Illustration: Mona Chalabi

Auch der Künstler und Kurator James Gregory Atkinson, sowie die Plattform Contemporary And (C&) und weitere Kulturschaffende übten Ende des vergangenen Jahres auf sozialen Medien und im Web Kritik am Museum für Kommunikation in Frankfurt aus: Eine ausgestellte Video-Arbeit, die sich rassistischer Stereotype in ihrer Darstellung Schwarzer Menschen bedient, gab Anlass dafür. [8] Nachdem der Kommentar Playing with Race auf Contemporary And erschien kommentierte Atkinson betreffend der Tragweite, die dieser Blindheit und fehlenden Sensibilität der Einrichtungen für die in ihnen ausgestellten Werke innewohnen, es handele sich um „Institutionen, die unsere Körper und unsere Geschichte niemals wirklich außerhalb des Kontextes von Kunst- und Medientrends sehen wollen. Institutionen, die rassistische Darstellungen entweder stillschweigend hinnehmen oder sogar unter dem Deckmantel von vermeintlich progressiver Kunst im Namen der Toleranz und der künstlerischen Freiheit fördern. Als Gegenargument auf Kritik an solchen Darstellungen hören wir dann immer wieder dieselben faden Rechtfertigungen von Presseabteilungen, die auf Meinungsfreiheit, künstlerischen Freiraum pochen oder von einem Zeitalter des Wandels und der Sichtbarmachung historischer Kontexte sprechen. Oft fühlt sich das Ganze dann an wie eine Endlosschleife aus institutionellem Rassismus und Kulturimperialismus, Kritik an jenem, Rechtfertigung und Entschuldigung. Strukturell ändert sich dabei aber leider wenig. Ein Schlupfloch und ein Fall des Missbrauchs der künstlerischen Freiheit.”
Die Kritik an einer Arbeit von Bruce Nauman in der Sammlung des MMK soll hier ebenfalls nur am Rande erwähnt sein [9] – was deutlich wird, ist selbstsprechend. Hier alle Beispiele von institutionalisiertem Rassismus im Kulturbetrieb zu nennen und ausführlich darzustellen, würde zu weit führen, sind sie doch in ihrer Fülle in einem einzigen Text gar nicht zu fassen. Gerade hieran zeigt sich, dass der Diskurs als ein fortlaufender und immer wieder zu aktualisierender verstanden werden muss. Denn auch mit der Anklage eines einzelnen Kunstraumes löst sich die tief verankerte gesellschaftliche Problematik nicht auf. An der Vielzahl der Vorfälle zeigt sich dennoch umso deutlicher, dass in diesem Diskurs nicht nach einem einzelnen Sündenbock zu suchen ist. Viel eher muss auf die Verfasstheit der deutschen Institutionen in ihrer Gesamtheit geblickt werden. Diesen Fallbeispielen jedoch kontinuierlich in ihrer jeweils eigenen Vehemenz Raum zu geben und die Debatte eben nicht nur strukturell-abstrakt zu behandeln, muss aber Teil des Diskurses sein, zeigt sich doch an ihnen am anschaulichsten das Verfahren mit und Abtun von Stimmen, die diese unzulänglichen Werkschauen kritisch kommentieren.

Hierin zeigt sich auch das Wesen des westlichen Kunstbetriebs. Es scheint, der inhärente Charakterzug zeitgenössischer Kulturinstitutionen sei es, den Freispruch der Kunst auch sich selbst anzumuten. Ein Museum als einen „Raum der Debatte” zu verstehen, heißt hier nämlich gerade nicht, diesen zu öffnen, und sich den Forderungen und Anregungen der Besucher*innen zu stellen. Eher portraitiert die Kennzeichnung das Museum als einen neutralen Raum, auf dem diese Debatte auszufechten wäre – das Museum selbst sei gar apolitisch, so möchte man meinen. Es ist wie mit der Wissenschaft. Diese scheint angeblich auch unpolitisch und objektiv. Geht man jedoch nur ein paar Jahrhunderte zurück, so erkennt man, dass es gerade die Wissenschaft war, die maßgeblich dazu beitrug den Begriff der „Rasse“ zu definieren und mitzugestalten. Museen sind Mittäter dieser Entwicklung. Durch Ausstellung und Wiederholung stereotypisierter Bildsprache prägen sie Sehgewohnheiten über Generationen hinweg. Man nehme nur das Beispiel des Orientalismus, der im 18. Jahrhundert zahlreiche Europäer*innen davon überzeugte, der gesamte Nahe Osten sei ein „Schlaraffenland”, in dem jedoch alle Männer faul und alle Frauen Kurtisanen wären. Rückstände dieses genormten Sehens finden sich auch in der heutigen Debatte um Geflüchtete, wenn aufgebrachte Wutbürger*innen von Wirtschaftsmigrant*innen sprechen; und auch Indigene Menschen in Nordamerika werden bis heute noch mit visuellen Stereotypen aus Zeiten der Kolonialisierung assoziiert.
Nicht nur das: durch die mit Worten bekundete Neutralisierung der eigenen Haltung entzieht man sich jeglicher Möglichkeit des Schuldeingeständnis. Ohne sich der eigenen Geschichte und Struktur zu stellen, kann es aber keinen wirklichen Aufarbeitungsprozess geben. Dann bleibt es bei Instagram-Aktivismus und einer als Debatte getarnten Selbstinszenierung. Museen in Europa sind aber nun mal zumeist weiße Institutionen mit schwieriger kolonialer Vergangenheit. Viele sträuben sich vehement gegen die Aufarbeitung der eigenen Historie, obwohl sich gerade aus der kolonialen Entstehungsgeschichte vieler Museen – gepaart mit dem problematischen Ankauf von Werken im Kontext des NS – eine besondere Verantwortung ergibt. Eine Verantwortung, der sie sich nicht entziehen können. Das was gerade passiert, folgt aber einem klassisch kolonial-paternalistischen Muster: Weiße entscheiden über die Köpfe von BIPoC hinweg zu ihrem eigenen Vorteil. Interessant ist auch, wie Martin Engler, Leiter der Sammlung Gegenwartskunst des Städel Museums, die Legitimation des Herold Bildes argumentiert und dabei ganz und gar nicht merkt, welche essentialistisch strukturelle Verkehrung hier in der Wahrnehmung des Werkes stattfindet. Nach Engler solle nämlich der Diskurs auskommen: „[...] ohne gleich mit der Keule das Bild [zu] zerstören oder alles das abhängen zu wollen, was vielleicht nicht exakt in unsere Gesellschaft reinpasst." [10] Und das mag vielleicht genau der Punkt sein, in dem die Problematik des Werkes begründet liegt und in deren Kontext sich für das Zeigen des Bildes und die kritische Auseinandersetzung mit ihm zumindest scheinbar ein Sinn ergebe: es passt exakt in unsere Gesellschaft – denn unsere Gesellschaft ist rassistisch. In ihr werden Stimmen von BIPoC systematisch übergangen und verdrängt. Statt die eigene Position zu hinterfragen, fischt man zwanghaft und defensiv nach Erklärungen. Vielleicht das Zynischste an Englers Aussage: Er selbst passt als weißer Mann in die Gesellschaft und entscheidet, dass die Kritik rassifizierter Menschen eben nicht dazugehört.
Es wäre darüber hinaus auch zu fragen, wie nach Aussagen der eingangs erwähnten Rundnachricht die Begriffe „Gesellschaft” und „gesellschaftliche Debatte” im Verständnis der Institution überhaupt zu werten sind. Da das Städel Museum eine hochpreisige Einrichtung ist, steht der Diskursraum nämlich erst denjenigen zur Verfügung, die es sich leisten können, in Eintritt zu investieren. Diese Restriktionen der Besucher*innenschaft zeigen schon auf, von welchen Personen dann die Debatte geführt wird, nicht aber, wer an ihr eine Berechtigung hat und einen notwendigen Teil des Diskurses auszumachen hätte – diejenigen eben, die sozialer Benachteiligung und Diskriminierung ausgesetzt sind und für die privilegierte weiße Menschen qua ihrer Sozialisation und ihres Bildungshintergrundes nicht stellvertretend sprechen, oder deren Stimme gar ersetzen können. Soziale und politische Teilhabe sind genau da zu kritisieren, wo solche Kämpfe ausgetragen werden sollen. Stattdessen, und das sieht man derzeit in besonderem Maße, verlagern sie sich durch eben diese Verschlossenheit der tatsächlichen Räume notgedrungen – aber mit schlagender Wucht – auf die sozialen Medien. Als öffentliche Bildungseinrichtung aber hat das Städel nun mal eine gesellschaftliche Verantwortung, ebenso wie den Einfluss und das Prestige gesellschaftliche Diskurse mitzugestalten. Will man dieser Pflicht nachkommen, so wäre nicht nur die Frage der Repräsentation, sondern auch der accessibility, der Zugänglichkeit von und Verfügbarkeit über Kunstwerke, zu stellen; ebenso die Frage der agency, unter deren Aspekt zu verhandeln wäre, wie Werke von Künstler*innen institutionell angeeignet werden, damit teils schon in ihrer Wirkung und Bedeutung von Seiten der Kuration beschnitten werden und zumeist gar frei von Kontext keinerlei Debatte mehr um sie zulassen.

A chart of all the artists in the Tate’s permanent collection. The upward-sloping blue line shows the emergence of women in the collection. Illustration: Mona Chalabi

Geneviève Lassey, Soziologin, DJ, und Autorin des Blogs grossgeschrieben. sieht die Problematik ebenfalls an dieser Schnittstelle von Selbstbestimmung und Repräsentation: „Gemäß der elitären Ausrichtung vieler öffentlicher Kultureinrichtungen fehlt es an aktiven Künstler*innen-Positionen, das ist auch eine Klassenfrage. Es ist hier in besonderem Maße zu erkennen, dass mit dem Zeigen und Darstellen Schwarzer Körper immer auch eine Objektivierung von BIPoC einhergeht. Wo sind meine Schwestern, Brüder und nicht repräsentierte Minderheiten? Mit unseren künstlerischen Positionen? Wo sind wir? Die gegenwärtige Konstitution der Museen und Kulturszene insgesamt ist symbolischer Ausdruck für eben die Machtstrukturen kolonialer Kontinuitäten, die schon immer da waren. Sobald es um Kunst geht, müsste auch die Frage nach Definitionsmacht gestellt werden. Stattdessen beobachtet man die Instrumentalisierung von BIPoC artists, die als Objekte oder tokens, aber nie als Subjekte einen Raum bekommen. Das aktive Mitgestalten und die Teilhabe von BIPoC am Kunst- und Kulturbetrieb müssen sichtbarer werden. Derzeit beschränkt sich diese Sichtbarkeit auf DIY-Projekte, eigenmächtige Handlungen wie Demonstrationen und die autonome Kulturszene, aber ohne Förderung und Anteilnahme der öffentlichen Kultureinrichtungen.”
Es ist schon lange überfällig, Rassismuserfahrungen ernst zu nehmen und jetzt wäre es an der Zeit für Kurator*innen, intellektuelle Meinungsmachende, Kulturbeauftragte, ebenso wie für die Feuilletons die Benachteiligungen von BIPoC auch in Medium, Beruf und Branche zu reflektieren. Dies bedeutet aufzuhören die Schuld an diesem Umstand abschütteln zu wollen und der Scham halber zu verdrängen. Die Aufgabe erfordert Verständnis, Selbstreflexion und vor allem die Fähigkeit zu- nicht wegzuhören. Es bedeutet diejenigen Stimmen ernst zu nehmen, die aktuell noch zu leise anklingen. Vielleicht würde das dazu führen, dass man auch produktiv zu dieser Debatte beiträgt. Wenn dieser Diskurs für das Städel also eine Einschränkung von Freiheit bedeutet, diese dabei aber mit Deutungshoheit der Institution verwechselt wird, so sollte es sich im Gegenzug einmal die Repressionen vor Augen führen, welchen BIPoC seit Jahrhunderten ausgesetzt sind. Jene „geschmacklose brutale Provokation”, die das Städel dem Werk Herolds attestiert, erleben BIPoC tagtäglich schon im gesellschaftlichen Umgang mit ihnen.
Geschichte lässt sich nicht rückgängig machen. Die Bedingungen, die es BiPoC-Künstler*innen erschwerten oder gar unmöglich machten, sich im Kunstbetrieb hervorzutun, können nicht – im historischen Sinne – ausgehebelt werden. Ebenso wenig kann man die durch westlichen Imperialismus zerstörten Kultur- und Kunstgüter kolonialisierter Gesellschaften zurückholen. Jedoch reicht neben einem Blick in die Archive, der Blick zurück in die Gegenwart, in die Galerien und Ateliers der Künstler*innen, um dort Kunst zu finden, die in die Sammlungen der Museen gehört. Kunstwerke dienen nicht der Befriedigung ästhetischen Wohlgefallens, sie prägen auch unser Bild der vergangenen und gegenwärtigen Weltgeschichte. Es liegt also nicht nur in der Hand jeder und jedes Einzelnen, sondern maßgeblich auch bei den staatlichen und städtischen Institutionen, proaktiv an der Bekämpfung dieser Missstände und der reflexiven Neugestaltung von Kunst- und Kultureinrichtungen mitzuwirken. Das Städel Museum sollte den aktuellen Diskurs als Chance sehen, den Dialog suchen, Kritik annehmen und das Bild von Herold abhängen. [11] Ansonsten verspielt man jedwede Glaubwürdigkeit.
[1] Die Debatte um das erwähnte Gemälde von Georg Herold fing mit folgendem Post vom 22. Juni auf Instagram an und wurde vielfach geteilt und verbreitet.
[2] Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags (08.07.2020, 9 Uhr) sind hiermit folgende publizierte Artikel gemeint: Stefan Trinks, Was man aus bestem Willen erkennen will, 06.07.2020, FAZ; Michael Hierholzer, Malerei als Provokation, 30.06.2020, FAZ; Hans-Joachim Müller, Das N-Bild und der politisch korrekte Zeitgeist, 02.07.2020, WELT. In früheren Versionen vieler dieser Artikel war der komplette Titel von Herold Bild – und damit das N-Wort – in der Überschrift zu lesen. Dies wurde nun nachträglich angepasst, aber findet in den jeweiligen Artikeln dennoch Erwähnung.
[3] An dieser Stelle soll noch angemerkt werden, dass das Städel Museum dieses Werk von Georg Herold erst im Mai diesen Jahres im Rahmen einer neuen Sammlungspräsentation mit dem Titel 'Zurück in die Gegenwart. Neue Perspektiven, Neue Werke – die Sammlung 1945 bis heute' ausgestellt hat.
[4] Siehe hierzu u.a. folgender Artikel von Miriam Modalal für Response.
[5] Für mehr Information zu diesem Fall, ist dieser Artikel von Oliver Bascianos für The Guardian zu empfehlen.
[6] Die Debatte wurde durch folgenden Facebook Post von Soup du Jour ausgelöst, der die Künstler*innenliste einer Afrofuturismus-Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien kritisiert, für die keine BIPoC Künstler*innen eingeladen worden sind. Mehr Information findet sich z.B. in diesem Artikel von Naomi Rea für artnet.
[7] Die Kuratorin und Autorin Mahret Kupka erklärt in ihrem Artikel für die Frankfurter Rundschau sehr eindringlich, was die Problematik dieser Ausstellung und der fehlenden Auseinandersetzung mit Kolonialismus in ihr ist.
[8] Siehe hierzu folgender Artikel auf Contemporary And (C&). An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass in einer früheren Version von PASSE-AVANTs Website (vor Oktober 2019) ebenfalls ein offener Brief publiziert wurde, der sich gegen das Werk von Murray Gaylard und den problematischen Museumstext aussprach. Bei Fragen hierzu, wenden Sie sich bitte an die Redaktion.
[9] Gemeint ist hiermit die Videoarbeit Flesh to White to Black to Flesh (1969), in welcher Nauman seinen gesamten Oberkörper in dunkler Farbe schminkt.
[10] Siehe hierzu der O-Ton aus einem Beitrag der Hessenschau vom 30.06.2020
[11] Folgende Petition fordert ebenfalls die Abhängung des Bildes und kann hier unterzeichnet werden.