Ballast der Republik
Ein Kommentar zum Berliner Schloss
14–01–2021
Commissioned contribution by Max Eulitz

Courtesy: Max Eulitz

Als die Baustelle des Humboldt Forum am 8. April 2020 Feuer fing, flammte damit auch bei mir kurz Hoffnung auf. Vielleicht war es für den alternativen Entwurf des Architekten Christoph Ingenhoven, das “Provisorium für immer”, doch noch nicht zu spät.

Welch naiver Impuls! Die anarchistische Verzückung war selbstredend nur von sehr kurzer Dauer und rein symbolischer Natur. Ein Rauchzeichen, mehr nicht. Dass eine kleine Bauverzögerung diesen 660-Millionen-teuren, preußischen Tanker das Wasser abgräbt – ausgeschlossen. Zu schwer wiegt das Votum des deutschen Bundestages für den Wiederaufbau (2002), zu selbstverständlich wird mittlerweile über Feinheiten preußischer Steinbildhauerkunst und die Rückkehr Berlins in den Rang europäischer Kulturhauptstädte fabuliert, als dass noch irgendjemandem die Schamesröte ins Gesicht steigen würde, wenn nun eindeutige Symbole von Nationalismus, Militarismus und Christentum den zentralen Platz der bundesdeutschen Hauptstadt zurückerobern.

Wie Pujan Karambeigi in seinem Beitrag Verpreußung (erschienen bei Jacobin) treffend analysiert, hat eine rechte Globalisierungskritik in der Rekonstruktion feudaler Prunkbauten ihre Architektur gefunden. Die romantisierenden Beschwörungsformeln eines “Spree-Athen”, wie es auf dem Internetauftritt des Fördervereins des Berliner Schlosses heißt, treffen dabei auf die Heilsversprechen einer nationalstaatlichen Identität. Fast so, als ob es die Zäsuren des 20. Jahrhunderts nicht gegeben hätte. Eine durchweg verlogene und gefährliche Melange.

Als Anfang der 90er-Jahre in meiner Heimatstadt Leipzig viel (zu viel) DDR-Architektur dem Investorengeheul weichen musste, gab es kaum Widerstand. Zu sehr war man überrumpelt, zu groß die Versprechen, zu tief auch die Abscheu gegenüber dem frisch gestürzten System. Heute werden diese architektonischen Korrespondenzen – wie die Brühlbebauung samt Blauem Wunder – schmerzlich vermisst; als Zeitzeugen, als Referenzraum. Die Geringschätzung gegenüber den neuen Bundesländern schlug sich eben nicht nur in der Missachtung von Biografien und Lebensleistungen nieder, es wurden ohne Unterschied soziale Infrastrukturen und Bauten der sozialistischen Moderne gleichermaßen auf dem Altar des neoliberalen Wertekanons geopfert. Shopping Malls statt Polikliniken, Parkhäuser statt Kinderkrippen. The winner takes it all.

Palast der Republik, 1977. Courtesy: Wikimedia Commons

Aus diesen Fehlern hätte man lernen können, doch am Humboldt Forum zeigt sich erst die ganze Tragweite dieser verfehlten Politik. Denn zur Ignoranz gegenüber historischen Widersprüchen, die man anscheinend nicht gewillt ist auszuhalten, gesellt sich ein unverfrorenes Geschichtsverständnis: die zerrüttete Persönlichkeit dieses Landes wird im Berliner Sande verscharrt, aufdass die unwidersprochene Kontinuität deutscher Geschichte zur Geltung kommt. Der Umstand, dass dabei viele der künftig ausgestellten Exponate aus kolonialen Raubzügen stammen, entbehrt keiner Ironie. Die Forderung des nigerianischen Botschafters, die Benin-Bronzen, die demnächst im Humboldt Forum zu sehen sein sollen, an ihren Ursprungsort zurückzuführen, verhallt ungehört zwischen Spree und Kupfergraben.

Und nun ist es also passiert, und keiner hat es verhindert. Das neue Berliner Stadtschloss wurde vor einigen Wochen, auf den Trümmern des Palastes der Republik, eröffnet. Wenngleich auch nur digital, was uns zumindest das Gala-Dinner zu Ehren der Industriellen ersparte, die dieses Haus finanziell protegierten (freilich nur im Tausch gegen persönliche Widmungen an der über allem thronenden, gusseisernen Glocke – Versandhauskönig Otto lässt grüßen).

Dass die Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses dabei visuell auf das altbewährte Zusammenspiel aus Kirche und Staat, Kuppel und Kreuz setzt, und dabei sogar jene unsägliche Inschrift (‘Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind’) am Kuppelrand propagiert, die nicht weniger als die Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum anmahnt, und damit selbstredend alle Nichtchristen vom Weg zum spirituellen Heil ausschließt, verwundert kaum.

Bettina Pousttchi, Echo Berlin, 2009/2010, 970 paper posters on the facade of Temporary Kunsthalle Berlin, 20 m × 11 m × 57 m. Courtesy: the artist and Buchmann Galerie, Berlin/Lugano; photograph: Bettina Pousttchi

Bettina Pousttchi, Echo Berlin, 2009/2010, 970 paper posters on the facade of Temporary Kunsthalle Berlin, 20 m × 11 m × 57 m. Courtesy: the artist and Buchmann Galerie, Berlin/Lugano; photograph: Bettina Pousttchi

Scheinbar gewissenlos wird Preußen in diesem Forum, bar aller historischer Verantwortung, zu einem reinen Kulturstaat stilisiert. Dass die Blaublütigen über diesen Bau brutal ihren Machtanspruch verfochten, dass dieses Gebäude unter Kaiser Wilhelm II sogar zur deutschen Reichsresidenz ausgebaut wurde – kaum der Rede wert. Die radikale Enthistorisierung und Entpolitisierung der tatsächlichen Schlossgeschichte scheinen gewollt.

Sicher war der Palast der Republik auch ein Symbol für den Unrechtsstaat. Das in ihm ansässige Schein-Parlament hatte, bis auf die Volkskammer-Tagung im August 1990, keine demokratische Legitimation. Doch der bronzefarbene Koloss war eben mehr als das. Mit seinen durchschnittlich zwei Millionen Besuchern im Jahr, die auf Konzerte, in den Jugendclub, zu Theater- und Tanzveranstaltungen gingen oder in der Gemäldegalerie flanierten, war dieser Ort eine identitätsstiftende Institution. Hochzeitspaare ließen sich auf der Galerie unter Hammer und Zirkel fotografieren. Man feierte Jugendweihe, Bestarbeiter-Bälle, Parteitagsempfänge, tanzte auf dem Ball der Werktätigen und in der Disko mit der rotierenden Tanzfläche. Kinder konnten den Palast sogar im Miniformat nachbauen: aus Pebe-Bausteinen.

Dass der wegen Asbestbefall angeordnete Abriss ohne Volksbefragung beschlossen, jedoch das zur selben Zeit erbaute und ebenfalls mit Asbest verseuchte Internationale Kongresszentrum (ICC) in West-Berlin für 200 Millionen Euro saniert wurde, zeugt von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Gewinner und Verlierer. Man könnte auch sagen: Siegerjustiz. Dazu passt, dass die populären Deckenleuchten aus „Erichs Lampenladen“ nun ausgerechnet im Museumsshop des neuen Humboldt Forum verkommerzialisiert werden.

Bleibt die Frage, warum der Widerstand gegen die Rekonstruktion des alten Stadtschlosses so krachend gescheitert ist. Wie so häufig war die Linke zerstritten, es fehlte an Organisation (ein linker Wilhelm von Boddien!), populären Alternativ-Entwürfen (man denke nur an Sir Norman Fosters wahnwitziges Beachvolleyball-Feld mit Tribüne) und an politischem Kapital (selbst zwei PDS-Abgeordnete stimmten am Ende für den barocken Neubau). Dabei war der Erhalt des Palastes der Republik durchaus eine Option. Ein Gutachten von 1991 des Berliner Denkmalamtes empfahl, das DDR-Bauwerk auf die Denkmalliste zu setzen, wegen seines Wertes als Zeitdokument und seiner Bedeutung für das Stadtbild.

Doch es sollte nicht sein. So wenig wie die Flutung der Baugrube durch unwillige Berliner Bürger im Jahre 1448, die sich der Kurfürsten-Residenz erwehrten, den Lauf der Geschichte veränderten, so wenig taten es die Flammen im April des letzten Jahres. Daran konnten auch die vielfältigen Protestaktionen der 'Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum' nichts ändern. Sie blieben trotz guter Argumente und kreativer Interventionen ein Sturm im Wasserglas.

Die von der Koalition im Dezember initiierte Kampagne „Defund the Humboldt Forum“ dagegen, die die Umverteilung der Ressourcen dieser Mega-Institution in eine nachhaltige und sinnvolle Dekolonisierung der Berliner Kulturinstitutionen, Sammlungen und Programme fordert, könnte auf fruchtbaren Boden stoßen. Das vom Wissenschaftsrat im Juni vorgestellte Gutachten zur Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, fordert nicht weniger als deren Zerschlagung. Hauptgrund: Die Stiftung sei strukturell überfordert, drohe den Anschluss an aktuelle Entwicklungen und Debatten zu verlieren und damit international abgehängt zu werden.

Neben diesem Silberstreif macht auch die vage Aussicht auf anspruchsvolle Ausstellungen der integrierten Sammlungen der Museen für Außereuropäischen Künste und Kulturen Hoffnung. Dass deren, teils problematische, koloniale Herkunft nun in einer Ikone des Geschichtsrevisionismus verhandelt werden muss, bleibt hingegen eine offene Wunde.