Pia Ferm: In Stofflichkeit verfließen
Lash 23
Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden
12–12–2019
Artist text by Maximilian Wahlich

left: Pia Ferm, loop, 2019, woven tapestry out of wool, linen, cotton, metal hanger, 30 x 40 cm; right: Elisaveta Braslavskaja, Bud of Pale Lips (II), 2019, Terracotta ceramic, 27 x 15 x 25 cm, installation view, Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden. Courtesy: the artists; photograph: Janine Drewes

Allein die Fassade des Nassauischen Kunstvereins ist herrschaftlich und offenbart sämtliche Charakteristika des Gebäudes, die das großbürgerliche Herz höherschlagen lassen: Sandstein, Erker, Balkon und alle Varianten verspielter Formationen und griechischer Säulenordnungen. Im herrschaftlichen Gestus empfängt die repräsentative Architektur ihre Besucher*innen; die körperlichen Verzierungen an der Fassade resorbieren ihren Leib und machen ihn zum Teil des plastischen Bauwerkes. Wir stehen noch vor dem Gebäude und sind trotzdem schon in ihm drinnen.
Beim Betreten scheinen jedoch Walter Benjamins soeben beschriebene Phantasma eines bürgerlichen Interieurs in die Ferne gerückt: statt Samtsofas und Kronleuchtern, begegnen den Besucher*innen schmucklose cleane weiße Wände, eine knarzende Holztreppe und Neonleuchtröhren. Der White Cube trifft auf Altbauwohnung und mittendrin die Werke von Künstler*innen der Klasse Tobias Rehberger der Städelschule.
Im oberen Geschoss angelangt, biege ich in einen großzügigen Raum. Frontal zum Eingang befindet sich ein fein gewebtes Stück Stoff: ein kleiner Wandteppich. Doch die Bezeichnung scheint angesichts des bescheidenen Formates von 30 x 40 cm unpassend. „Gewebte Zeichnung“ ist bereits passender, obzwar auch diese Formel das Werk loop (2019) in seiner technischen Ausführung verfehlt. Schließlich schrieb Pia Ferm nicht auf einen Grund, sondern sie bildete aus der Fläche heraus das Motiv – die Umrisse einer Hand verweben sich in die stoffliche Struktur. Die Faust hält etwas fest; möglicherweise eine Zigarette oder einen Stift.

Pia Ferm, loop, 2019, woven tapestry out of wool, linen, cotton, metal hanger, 30 x 40 cm, installation view, Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden. Courtesy: the artists; photograph: Janine Drewes

Diese Hand ist inhärenter Teil der Textur und verflechtet die räumlichen Ebenen ineinander gerade dort, wo eine Fläche aus dichtem Blau und Grau die blauen Umläufe der Hand einbetten. Es scheint als würde die Hand in der Stofflichkeit zerfließen. Wie im Interieur nimmt die Umgebung die leibliche Spur auf, näht sie sozusagen ein und so scheint sich jede Handlung in die samtenen Oberflächen zu signieren.
Doch genügt dieser historisierende Abgleich allein nicht: Gerade die kräftig gezogene Kontur mit dickerem Garn umreist die Hand wie in einem Comic. Geschickt entstehen damit ein Vorne und Hinten – die ocker-graue Fläche scheint nun als reiner Bildträger degradiert und die Hand erstreckt sich aus ihr heraus. In ihrer graphischen Zeichenhaftigkeit hebt sie von dem Hintergrund ab und verhält sich plötzlich wie die meisten Graphiken als bloße Linie auf dem Grund.
Obwohl loop auf den ersten Blick eventuell recht unscheinbar ist, hat die Arbeit zurecht einen prominenten Platz innerhalb der Gruppenausstellung erhalten. Wie das ehemalige Bürgerhaus seinen stickigen Pomp bewusst ausspart, changiert Pia Ferms Arbeit zwischen der (bürgerlichen) Technik repräsentativ-ornamentaler Tapisserien, die Körperlichkeiten einbettet sowie der popkulturellen Repräsentanz eines Signifikats – der iconischen Hand.

Pia Ferm, aficionado, 2019, installation view, Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden. Courtesy: the artists; photograph: Janine Drewes

An anderer Stelle, wird Ferms Wandteppich aficionado (2019) dem bürgerlichen Setting mehr als gerecht. Der Titel der Arbeit geht zurück auf das Wort Aficionado (spanisch), eine Bezeichnung für Liebhaber oder Connoisseure der spanischen Kultur, welches oftmals auch die spanische Tabakindustrie referiert, die nach der vermeintlichen „Entdeckung“ Amerikas zu florieren begann. Das kolonial aufgeladene Thema sowie das gespannte Wortspiel um den Liebhaber und der altgedienten Chiffre feministischer Emanzipation (das Rauchen), greifen in einem großen Bogen zurück in die Vergangenheit, einer Zeit der Unterdrückung von Menschen, ausstaffiert mit gelblichen Teppichen und glänzenden Brokat-Tapeten. Die creme, weiße und elfenbeinfarbene Oberfläche des Teppichs wölbt sich in verschiedene Höhen und Tiefen. Als Landschaft wird sie von Linien durchzogen – auch hier scheinen sie getröpfelt und frei auf die Fläche verteilt. Dass die Technik einer enormen Vorplanung bedarf und keinerlei Spontaneität erlaubt, sieht man dem nonchalant gezeichneten Gebilde kaum an. Die weiche Oberfläche des großen Teppichs saugt die Betrachter*innen wie einst auf – die Auf- und Abstufungen im Textil erinnern an Stuck und lassen ihn in hellen Farben aus der Wand der Raumecke wachsen. Und so kommentiert doch gerade die randständige Hängung, direkt im Schatten einer Wand, die Ferms Arbeit mit einem humorvollen Zwinkern: Ein Kniff, der dieses Umfeld charmant irritiert und zur Reflexion einlädt.

Pia Ferm, aficionado, 2019, installation view, Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden. Courtesy: the artist; photograph: Janine Drewes

Klasse Tobias Rehberger / LASH 23
22. November 2019 – 5. Januar 2020

artists
Aires de Gameiro, Alyona Volkova, Béla Feldberg, Edi Danartono, E.G. Powell, Elisaveta Braslavskaja, Hilda Stammarnäs, Immanuel Birkert, Jiwon Lee, Jiyoon Chung, Kristina Lovaas, Line Lyhne, Lukas Heerich, Nadja Büttner, Niwat Manatpiyalert, Nicholas Warburg, Pia Ferm, raúl I. lima, Robin Stretz, Stian Hansen, Su Xia und Tuğçe Dayıoğlu

Naussauischer Kunstverein Wiesbaden
Wilhelmstraße 15
65185 Wiesbaden