The Language Of The Archive
Andrea Farrenkopf
Berlin
17–12–2019
by Sonja Borstner
Commissioned photography by Simon Keckeisen and Anne Büttner
Sonja Borstner Während unseres gemeinsamen Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach konnte ich miterleben wie sich dein Arbeitsplatz immer mehr zu einem archivarischen Ort transformierte. Deine Affinität für Struktur und Ordnung legt sich auch auf deinen Arbeitsprozess nieder und so archivierst du deine zeichnerischen Produktionen, die vielfach als schematische Versuchsreihen angelegt sind. Könntest du mir etwas zum Hintergrund dieser Praxis erzählen?
Andrea Farrenkopf Generell bin ich ein Mensch, der gern Kontrolle hat. Daher kommt wahrscheinlich auch mein Drang, alles nach einem bestimmten Ordnungsprinzip abzulegen. Ich hatte schon früh ein Faible für logische Systeme, deswegen war es naheliegend, meine Arbeiten zu klassifizieren und zu verzeichnen. Die weiterführende Arbeit, also das Digitalisieren, Ablegen in physischen Ordnern, das Etikettieren, die Verwendung von Listen und Symbolen – all das sind wesentliche Teilschritte meiner künstlerischen Arbeit. Im Grunde sortiere ich alle Zeichnungen chronologisch, nach Papierformat und Material (Graphit, Acrylstift, Tusche, usw.). Darüber hinaus pflege ich auch ein rein digitales Archiv mit den sogenannten h_drawings, die ausschließlich auf/mit digitalen Geräten entstanden sind. Die Methodik des Sammelns und des Ablegens und die sich daraus ergebende Wiederholung ist ein fortführendes Element meiner zeichnerischen Praxis, die diese essentiell prägt.
SB Speaking of archives – gibt es ein Archiv, das dich besonders inspiriert?
AF Ja, ich möchte unbedingt das AAP (Archive Artist Publications) in München besuchen. Hubert Kretschmer sammelt dort seit den 1980ern Publikationen von Künstler*innen. Spannend ist natürlich auch das Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Im Allgemeinen finde ich handgeschriebene Dokumente besonders anziehend, sowie Publikationen aus den 1960-2000ern. Gerade habe ich angefangen in einer Bibliothek zu arbeiten, in der sehr viel Lehrmaterial aus den vergangenen Jahrzehnten zu finden ist und dort stoße ich immer wieder auf Material, welches sehr inspirierend ist.
SB Viele deiner Arbeiten kennzeichnen sich durch repetitive Elemente – was beobachtest du in der Wiederholung? Ist sie Methode für dich?
AF Einerseits ist sie eine Methode für mich, da ich durch die erprobte Wiederholung eine bestimmte Dynamik erreichen kann. Andererseits nutze ich die Wiederholung, um mir der Variation der Zeichnungen bewusst zu werden. Ich kann dadurch Vergleiche anstellen, sehen, wo die Linie besser funktioniert, versuchen, diese Erkenntnis beim nächsten Anlauf gezielt einzusetzen. Aber meistens klappt das nicht, da ich mich beim Zeichnen nicht zu sehr auf das Zeichnen konzentrieren darf. Am liebsten arbeite ich in einer gelockerten Aufmerksamkeit.
SB Es scheint so als wäre der Kontrollverlust über bestimmte ästhetische Mechanismen Zentrum deiner Arbeit. Das erinnert mich an frühe Malereien und Zeichnungen Cy Twomblys. War er eventuell eine Inspiration für dich?
AF Ich war früher ein großer Fan von Cy Twombly. Seine zurückhaltenden Kritzeleien und schriftzugartigen Zeichnungen haben mich sicherlich inspiriert. Außerdem gefällt mir, dass sich, ähnlich wie bei Hanne Darboven, die aufgewendete Zeit in seinen Zeichen manifestiert. Neben der Beschleunigung des Tempos während des Zeichnens, versuche ich den ästhetischen Planungsprozess auszuschalten, indem ich eine gewisse Eigendynamik entstehen lasse, die aus sich heraus Neues hervorbringt. Die Grundlage der Frottagen trace lini 7-11 ff. sind mit einer Kartuschenpresse gespritzte Zeichnungen, die ich wiederum mit Ölstick auf Leinwand übertragen habe. Wobei der erste Vorgang noch bewusst war, habe ich beim zweiten - also bei der Übertragung auf den Stoff - Planung vermieden.
SB Gibt es andere Künstler*innen, die dich beeindrucken?
AF Hanne Darboven fasziniert mich sehr. Ich bin begeistert von dem systematischen und konzeptionellen Umgang mit ihrer Kunst. Die klare und analytische Form ihrer Darstellungen, die selbstgestalteten Vordrucke, die sie später mit ihren abstrahierten Notizen sowie zitieren Textstellen beschrieben hat, beeindrucken mich. Der „e.t.c.“-Stempel, die Querverweise in ihren Arbeiten und ihre seriellen Wiederholungen, sowie die Systematisierung von Daten und Wissen, macht ihre künstlerische Position für mich so relevant. Wichtig ist für mich auch ihr Umgang mit Kulturtechniken, wie dem Sammeln und Bewahren, dem Dokumentieren und Vermitteln und insbesondere ihre datumsbasierten Quersummenrechnungen.
SB Auch du bedienst dich in deinen künstlerischen Produktionen zum Teil kunstfremden Praxen und Untersuchungsmethoden. Gibt es andere Felder außerhalb der Kunst, die dich interessieren?
AF Momentan bin ich sehr an wissenschaftlichen Arbeiten interessiert, oder mehr an den dazugehörigen neutralen Darstellungsverfahren – Literaturverzeichnisse, Quellenangaben, Indizes. Aber auch an der Verarbeitung und Darstellung von Wissen. Der Ausstellungskatalog zu „Deep Storage. Arsenale der Erinnerung“ (1997) im Haus der Kunst in München ist mir beispielsweise besonders im Kopf geblieben. Die Ausstellung befasste sich mit dem Speichern von Information und Dingen, und den Verfahren des künstlerischen Archivierens. Richtig cooler Katalog! Mittlerweile ist er an manchen Stellen ziemlich überholt - gerade was „Cyberspace“ und Digitalisierung angeht – aber das ist somit ja auch wieder ein spezifisches Zeitdokument. Ich finde es unglaublich spannend wie zwei, auf den ersten Blick unterschiedliche Bereiche, die künstlerische und die strukturierte, archivarische Arbeit miteinander kombinierbar sind. Denn natürlich schließen sich beide Bereiche nicht aus, sondern ergänzen sich aus meiner Sicht fruchtbar.
SB Setzt du diese Kombination beider Disziplinen momentan auch in eigenen Arbeiten um?
AF Ja, zurzeit arbeite ich an einer Serie mit dem Titel Archive Compilation. Dabei durchsuche ich Google gezielt nach Begriffen, auf die ich bei meiner Lektüre gestoßen bin, klicke mich von Bild zu Bild und lasse mich überraschen, wo ich am Ende lande. Diese Suchart hat viel mit Zufall zu tun und der Abgabe von Kontrolle. Um meinen Rechercheprozess abzuschließen, nutze ich Screenshots zur Dokumentation meiner Suchverläufe um sie im Nachhinein nebeneinander positionieren zu können. Ich arbeite hier also mit gefundenen Bildern, die ich de- und rekontextualisiere unter Angabe ihrer Quelle. Eine Abwechslung und Weiterführung zu meiner eher homogenen Einzelblattsammlung. Hier sehe ich auch Parallelen zur konventionellen Forschung im Archiv, da ich zufällig auf interessante Dinge stoßen kann, ohne speziell danach gesucht zu haben.
SB Vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf deine kommenden künstlerischen Untersuchungen.
Andrea Farrenkopf lebt und arbeitet in Berlin. Kunststudium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, seit 2019 studiert sie Archiv an der FH Potsdam. Einzelausstellung: Modi marks and repetitions – Oktogon, Wuppertal. Gruppenausstellungen: u.a. Power problems – Cage of the crane, Beijing (2018); eight corners comfort – Oktogon, Wuppertal (2018); s fort – Kunsthochschule Mainz (2017); timetable timetable – Tiefsee, Offenbach (2016).