Das Künstler*innenkollektiv Sorgen (International) hat sich der Vermarktung seiner eigens entwickelten Produkte verschrieben. Ihre Projekte sind umgeben vom Geist vorherrschender kapitalistischer Verkaufslogiken, die sich im Zeitalter des Konsums und der Kommerzialisierung in das Selbstbild vieler Menschen bewusst und unbewusst eingeschrieben haben. In Pop-up-Stores und während vergleichbarer Events bietet das Kollektiv eine sich wechselnde Palette verschiedener Produkte zum Verkauf an. Das Spektrum umfasst bisher unter anderem einen Duft, Mousepads, T-Shirts, Hoodies, Anglerhüte. Das Design der Produkte ist dabei stets auf ein Minimum reduziert – nur eines darf bei keinem der Artikel gut sichtbar fehlen: das Logo des Kollektivs.
Leonore Spemann Als ihr die gemeinsame Arbeit im Jahr 2016 aufgenommen habt, wolltet ihr eigentlich nur Gruppenausstellungen organisieren. Was hat dazu geführt, dass ihr das Arbeiten im Kollektiv fortgesetzt habt?
Sorgen (International) Das hat sich ganz natürlich entwickelt. Wir wollten immer schon themenspezifische Ausstellungen machen, die sich auch aktiv mit unseren Lebensrealitäten auseinandersetzen. Dass wir uns dann vom themenbezogenen Ausstellen zu streng konzeptuellen Arbeiten hochgespitzt haben, war gar nicht geplant, hat sich dann aber konsequent und folgerichtig angefühlt.
LS Sorgen (International) gehören zurzeit 4 Künstler*innen an. Lasst ihr euch einzeln verschiedenen Disziplinen zuordnen?
S(I) Marta Vovk macht Malerei und Wandinstallationen, primär „Flachware“, wie sie selbst sagt, Julie Legouez arbeitet multimedial. Emma Adler ist Konzeptkünstlerin und macht multimediale Rauminstallationen und Götz Schramm ist vorrangig als Maler tätig. Er ist aber auch an anderen kollaborativen Projekten beteiligt.
LS Was hat es mit dem Namen eures Kollektivs auf sich?
S(I) DerName leitet sich aus verschiedenen Überlegungen ab, die wir alle haben wie u.a. finanzielle Sorgen oder die Folgen der Globalisierung. Wir mögen aber auch die Doppeldeutigkeit des Wortes "Sorgen", das sowohl Fürsorge bedeuten kann oder ein Gefühl von Angst ausdrückt.
Wir wollten eigeninitiativ Ausstellungen machen und nicht darauf warten, entdeckt zu werden. Daraus entwickelte sich dann zugespitzt folgende Haltung: wir sind vielleicht niemand, aber da der Kunstmarkt in unseren Augen alles abfeiert, was Hype ist, erklären wir uns selbst zum Hype und zur Marke.
LS Eine Marke, die auch wie der Kunstmarkt, international agiert.
S(I) Genau, mit dem Zusatz (International) wollen wir auch auf die Diskrepanz zwischen den Sorgen, die wir Künstler*innen haben und global vorherrschenden Sorgen und Problemen aufmerksam machen. Uns ist bewusst, dass wir aus einer privilegierten Perspektive von first world problems sprechen.
Sorgen sind universell unabhängig von objektiven Maßstäben. Sorgen sind die Alternativreligion, die uns alle verbindet und über alle Schichten, Geschlechter und Ländergrenzen hinausgehen. Wir sind politisch interessierte Europäer, als wir uns gegründet haben wurde Trump gewählt, der Brexit war im Gange und wir konnten das Erstarken von rechtpopulistischen Parteien beobachten. Mit Sorgen (International) wollten wir auch diese Machtlosigkeit oder Ohnmacht ausdrücken, der man sich ausgesetzt fühlt. Die einzige Möglichkeit in einer Politik, die als “alternativlos” verkauft wird, ist sich zu sorgen ohne die Hoffnung etwas verändern zu können.
LS Richten sich eure Artikel an eine bestimmte Käuferschaft? Setzen sie ein bestimmtes Menschenbild voraus?
S(I) Grundsätzlich richten sich unsere Produkte an alle, wir schließen niemanden aus. Klar – es besteht ein starker Bezug zu der Idiotie der Produktpalette, die schon gesellschaftlich und hinsichtlich eines zu beobachtenden Konsumverhaltens vorherrschend ist. Wir greifen natürlich gerne die besonders absurden Produkte auf und das heißt, das Produkt ist immer die primäre Entscheidung. Dabei geht es uns nicht um eine bestimmte Käuferschaft. Diese leitet sich immer durch die Produkte ab.
LS Das ist mir natürlich auch aufgefallen. Unabhängig davon was ihr herausbringt, sei es ein T-Shirt, ein Duft oder Mousepads – Abnehmer findet ihr immer. So ist es mit Sicherheit auch in den großen Museumsshops, die wir alle kennen.
S(I) Viele Verlage und Kollektive betreiben Shops. Dieses Phänomen ist nicht neu. Manche der ganz großen Museumsshops gehen dabei sehr humorlos und unhinterfragt vor. Nur weil spannende Designer*innen involviert sind und auf Einladung T-Shirts entwerfen heißt das noch lange nicht, dass das Konzept Merchandise und Vermarktung kritisch reflektiert wird. Da geht es einfach um Vermarktungsstrategien. Für Sorgen (International) ist Vermarktung und Merchandise das Medium der künstlerischen Praxis. Im Rahmen der performativen Ladeneröffnungen wechseln wir die Rolle: wir werden von Künstler*innen zu Verkäufer*innen.
LS Die Bedeutung von Instagram ist hier sicherlich nicht ganz irrelevant. Wie nutzt ihr Social Media Plattformen wie diese?
S(I) Instagram ist für uns sowohl Vermarktungstool als auch künstlerisches Medium. Der Übergang ist fließend. Wir nutzen es konzeptuell, um unsere Außenwirkung und Sicht auf das Kollektiv zu beeinflussen – natürlich bedienen wir uns so einer Plattform, wenn es zum Erfolg unserer Markenetablierung beiträgt. Da wir uns nicht an anderen Galerien oder Kollektiven orientieren, sondern an großen Unternehmen wie H&M, ist Instagram eines von vielen Tools, um gesellschaftliche Präferenzen hinsichtlich Konsumverhalten zu beobachten und selbst dort Produkte zu verkaufen.
LS Liegt eurer Tätigkeit als Kollektiv eine bestimmte Theorie zugrunde? Orientiert ihr euch an einer konkreten Gesellschaftsvorstellung?
S(I) Es gibt keine zentrale Schrift oder Theorie, der wir uns verschrieben haben. Wir sympathisieren jedoch mit der Situationistischen Internationale, aber verstehen uns nicht als Literaturtreff. Wir haben uns unabhängig von politischen Sichtweisen zusammengefunden. Das macht mitunter die Spannung innerhalb der gemeinsamen Arbeit aus. Bei vielem stimmen wir intuitiv überein.
LS Wie steht es um euer ökologisches Verständnis? Der verkündete Klimanotstand lässt viele Menschen ihr Konsumverhalten kritisch hinterfragen und auch Firmen reagieren auf den „Green Deal“. Ist eure Marke nachhaltig?
S(I) Nachhaltig denken ist auf jeden Fall auch ein wichtiger Teil unserer Herangehensweise. Unsere Kritik gilt den Marken und Finanzsystemen, die über die vergangenen Jahrzehnte hinweg ein sehr verschwenderisches Konsumverhalten etabliert haben. Dabei machen wir uns die Mechanismen der Marktstrukturen zu Nutze und kehren sie um. Durch Überspitzung weisen wir auf die Missstände hin, auch vor dem Hintergrund neuester Nachhaltigkeitsbestrebungen. Wir führen den Gedanken einer Marke ab absurdum. Umweltschutz und das Ende der Erderwärmung müssen berücksichtigt werden. Durch einen von uns dargebotenen Uniformismus widersetzen wir uns dem Kaufangebot vieler Marken, die ihren Käufer*innen immer weitere Produkte verkaufen möchten. Wenn du im Besitz einer Sorgen (International)-Hose und eines Sorgen (International)-T-Shirts bist, ist das Spektrum aller zu erwerbenden Gegenstände ausgelastet. Dieser Ansatz ist genuin gegensätzlich zu dem kommerzieller Markenhersteller und nachhaltig.
LS Damit werden die Gegenstände von Sorgen (International) fast zu einer Leerstelle.
S(I) Ja. Als Kollektiv haben wir ja auch fernab von der Marke gar keine Identität. Wir machen keine Kunst. Es gibt nur den Verkauf. Damit ist es der totale Leerkreislauf. Dadurch können wir uns jeden Produkts bedienen – da wir weder als Modefirma noch als Kunsthändler oder Künstlerbedarf einzuordnen sind.
LS Wie wichtig ist die materialisierte Formwerdung der Produkte? Könnte euer Ansatz auch auf einen performativen Akt reduziert werden?
S(I) Wir benötigen die realen Produkte für die Inszenierung. Uns hat sich nie die Frage gestellt ob wir auf die Objekte verzichten sollten.Die Performances erschließen sich aus den Items, sie bezieht sich auf das Produkt und nicht umgekehrt.
LS Wie haltet ihr die Aktionen fest? Gibt es schon ein Sorgen (International)-Archiv?
S(I) Wir dokumentieren alles fotografisch. Von einem Archiv zu sprechen ginge zu weit. Als integre Gruppe legen wir großen Wert auf die Dokumentation der Inszenierung. Das ist mitunter das Wichtigste. Die Produkte selbst lassen sich notfalls nochmal produzieren. Durch dokumentarisches Festhalten der Projekte lassen sich die Ereignisse auch im Nachhinein einem Publikum zugänglich machen.
LS Rücken Kollektive und Kollaborationen in euren Augen immer mehr in den Fokus von Kurator*innen?
S(I) Ja, da ist auf jeden Fall ein Anstieg feststellbar. Der erscheint uns auch als logische Konsequenz: Das Künstler*innenbild, welches zusammengebracht wird mit einem großen Ego und bestimmten Codes und Modi der Inszenierung – welche wir mit Sorgen (International) ebenfalls versuchen zu dekonstruieren – dieser Geniekult ist überholt. Vielerorts und unabhängig voneinander wird derzeit darüber nachgedacht, wie man mit anderen Menschen zusammen eine größere intelligente Entität bilden kann. Die Frage nach geteilter Autorschaft ist unserer Herangehensweise inhärent. Sieht man sich Kunst- und Kulturförderprogramme an, hat man den Eindruck Kollektive seien zurzeit sehr willkommen, da von ihnen vielleicht andere Themen bearbeitet werden. Innerhalb des Kunstmarktes sieht das allerdings ganz anders aus. Da spielen Kollektive kaum eine Rolle.
LS Gut sichtbar, immer in derselben Typo befindet sich Euer Logo im Zentrum jeden Items. Wieso?
S(I) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Logo auch mal verändern wird.Aber grundsätzlich handelt es sich dabei um das Markenlogo. Es hat eine Form und spielt eine wichtige Rolle bei der Markenetablierung. Aber auch, wenn wir uns dieser Verkaufskonzern-Identität treu bleiben wollen – müssen wir eventuell davon abweichen. Dadurch würde sich die Möglichkeit einer Retro-Edition ergeben. Wir möchten uns da nicht zu sehr festlegen. Dabei ist alles was die Marke betrifft immer auf die verfolgte Funktion ausgerichtet/bedacht.
LS In den letzten Jahren haben Modeunternehmen wie Balenciaga das Kunstfeld verstärkt unterwandert.Sie sind bei Ausstellungseröffnungen präsent, inszenieren Künstler*innen als Models und bedienen sich Mechanismen des Hypes und der Exklusivität.
S(I) Jede Marke repräsentiert etwas, mit dem sich potentielle Käufer*innen identifizieren sollen und von manchen Marken geht ein stärkerer Hype aus, als von anderen, aber alle eint ja ein Glaube an Statussymbole. Mit Sorgen (International) versuchen wir mit Humor auf diese Mechanismen zu reagieren. Diese Ambivalenz wird durch Sorgen (International) verkörpert. Wir tun die Strukturen der Modeindustrie nicht als verwerflich ab, sondern begreifen uns auch als Teil dieser Welt und wollen innerhalb dieser eine Ambivalenz erzeugen.
LS Was hat es mit der Typografie des Markenlogos auf sich?Habt ihr schlichtweg die einfachste Lösung gewählt?
S(I) Die Standardschrift Helvetica wird bei uns zur totalen Identität stilisiert. Sie ist auswechselbar und hat zugleich in Kombination mit unserem Namen einen Wiedererkennungswert.
LS Ihr wart zuletzt Teil der Ausstellung 'How beautiful you are!‘ im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin. Was hat Schönheit mit eurer Arbeit zu tun?
I(S) Maik Schierloh, der Kurator der Ausstellung, ist auf uns aufmerksam geworden durch unseren Perfume Launch in der Bar Babette, wofür wir einen eigenen Duft produziert haben. Es gibt in unsere Arbeit sehr starke Bezüge zur Fashion- und Beauty-Industrie und auch unsere Dokumentation bedient sich den Strategien der klassischen Modefotografie. Wir spielen immer wieder mit dieser heteronormativen Ästhetik und Definition von Schönheit. Diese Ästhetik entspricht auch nicht unseren eigenen Vorlieben, sondern ist Mittel zum Zweck. Aber es lassen sich auch immer wieder Brüche ausmachen: bei der Wahl unserer Models und anderen optischen Details, die einem Mainstream-Geschmack zuwiderlaufen.
LS Und würdet ihr sagen es besteht die Gefahr der Institutionalisierung eurer Freundschaften durch die Arbeit im Kollektiv?
S(I) Wir machen nach der Ausstellung im KINDL einen Betriebsausflug, um das Arbeitsklima wiederherzustellen.
Sorgen (International) ist ein seit 2016 bestehendes Künstler*innen-kollektiv. Gemeinsam hinterfragen sie die Mündigkeit von Käufer*innen vor dem Hintergrund von Markenwahrnehmung und Identität. Sie produzieren Merchandise und verkaufen die Artikel im Rahmen von Performances in vorübergehend dafür eröffneten Läden. Zuletzt waren sie Teil der der Ausstellung How Beautiful You Are! im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin.