TALKING OBJECTS
Wissen dekolonialisieren und Archive herausfordern
Mahret Ifeoma Kupka und Jeanne Mizero Nzakizabandi
01–07–2024
by Dalwin Kryeziu

Was kann Wissen heute sein, jenseits europäischer Wissenssysteme? Universitäten, Museen und Archive - Sie orientieren sich im Wesentlichen an westlichen Denkschulen und kontrollieren den Zugang zur Wissensproduktion, die noch stark von diesen Institutionen und ihren eurozentrischen Maßstäben geprägt ist. Vor diesem Hintergrund ist das künstlerische Forschungsprojekt Talking Objects zu verstehen - bestehend aus dem kuratorischen Team Isabel Raabe, Dr. Mahret Ifeoma Kupka, Dr. Njoki Ngumi, Chao Tayiana und El Hadji Malick Ndiaye. Es setzt sich aus dem Talking Objects Lab und dem Talking Objects Archive (TOA) zusammen und fragt: Welche neuen Perspektiven und Fragestellungen braucht es, um koloniale Denkmuster und eurozentristische, weiße Sichtweisen, die tief im europäischen Kultur- und Wissensverständnis verwurzelt sind, aufzubrechen?

Die Debatten um die Kolonialvergangenheit Europas und den Umgang mit Provenienz, Restitution und der Rückgabe von geraubten Objekten stehen nach wie vor im Zentrum aktueller Diskurse. Ihre Tragweite und komplexen Verästelungen zeigen auch die rassistischen und kolonialen Kontinuitäten, die bis heute gesellschaftlich wirksam sind und sich längst systemisch eingeschrieben haben. Diese Kolonialitäten haben nicht nur Einfluss auf Lebensrealitäten, sondern auch auf kulturelle und wissenschaftliche Praxen –  sowohl im globalen Norden und Süden als auch in ihren Beziehungen zueinander. Das TOA ist ein digitales Archiv, das eine Auswahl an Objekten aus hauptsächlich ethnografischen Sammlungen mit bislang nicht-berücksichtigten Narrativen und Denkschulen verknüpft. Objektbiografien im Kontext von kolonialer Herrschaft und Restitutionsdebatten, Oral History, kunsthandwerkliche Tradition, Spiritualität, präkoloniale afrikanische Geschichte und Philosophie - In einem dialogischen Prozess ausgehend vom afrikanischen Kontinent und mit Personen unterschiedlichster Hintergründe findet all dies Eingang in das digitale Archiv. Objekte werden zum Sprechen gebracht, indem sie als Türöffner für nicht-westliche Epistemologien und neue Perspektiven dienen.

Anlässlich des Think Tanks und der Ausstellung Cosmology of Objects, die Anfang Juli in Frankfurt am Main im Museum Angewandte Kunst und in der KfW Villa 102 stattfinden, sprach unser Editor Dalwin Kryeziu mit Dr. Mahret Ifeoma Kupka und Jeanne Mizero Nzakizabandi über die zentralen Ideen und Konzepte hinter dem künstlerischen Archivprojekt Talking Objects.

Élise Fitte-Duval, Le génie du Buffle, Fotografie, 2023. Image courtesy of Talking Object. 2023 nahm Fitte-Duval am Residenzprogramm von Talking Objects teil. In ihren Fotografien befasst sie sich mit Objekten aus der Sammlung des Musée Theodor Monod (Dakar) und schaut mit einer dezidiert Schwarz-feministischen Perspektive auf westafrikanische (Kultur-) Geschichte. Ihre Fotografien werden in der Ausstellung The Cosmologies of Objects zu sehen sein.


Dalwin Kryeziu:
Bevor wir auf die Veranstaltung Cosmology of Objects blicken, möchte ich gerne erstmal mit euch über das TOA sprechen. Ende des Jahres soll das Archiv online verfügbar sein. Der Praxis des Archivierens als künstlerische Strategie begegnet man gegenwärtig immer wieder. Daher zunächst die Frage: Warum überhaupt archivieren? Und wie geht man mit dem schwierigen Verhältnis von Ein- und Ausschluss im Kontext des Archivierens um? 

Jeanne Mizero Nzakizabandi: Talking Objects versteht sich als künstlerisches Forschungsprojekt. Von Anfang an war klar, dass daraus ein digitales Archiv entstehen sollte. Im Fokus von Talking Objects steht die Frage nach neuen Formen der Wissensproduktion. Was heißt dekoloniale Wissensproduktion? Wie kann man eine andere Form der Beziehungsethik zwischen dem globalen Norden und Süden schaffen? Das sind Fragen, die das Projekt begleiten. Das TOA archiviert nicht um des Archivierens willen. Stattdessen wollen wir mit dem Archiv zeigen, wie plurale Wissenssysteme mit- und nebeneinander existieren können.

Mahret Ifeoma Kupka: Zu deiner Frage von Ein- und Ausschlussmechanismen: Im Archivierungsprozess ist natürlich die Situiertheit der archivierenden Person ganz entscheidend - Wer hat nach welchen Kriterien Objekte und Materialien in ein Archiv aufgenommen? Im Zuge der Entwicklung von Talking Objects werden vor allem Künstler*innen und Theoretiker*innen vom Kontinent und der Diaspora eingeladen, um auf einzelne Objekte des TOA zu blicken und darauf zu reagieren. Wir fragen dann, was ihre spezifische Perspektive ist und was sie zum Archiv beitragen können und wollen. Alles, was dabei entsteht und an Wissen produziert wird - künstlerische Interventionen, Interviews, Diskussionen -, machen wir am Ende des Jahres im digitalen Archiv zugänglich.

DK: Im Kontext von Archivarbeit stellt sich auch immer die Frage, wie mit nicht vorhandenem Archivmaterial - Informationen, Objekte etc. - umgegangen wird. Begegnet ihr oft solchen Leerstellen?

JN: Nicht nur die Frage nach dem Umgang mit Leerstellen ist eine, die sich immer wieder stellt, sondern auch die Frage, wie man mit Wissen umgeht, dass z.B. aus spirituellen Gründen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Für beide Fälle gibt es natürlich keine einfachen Lösungen. Saidiya Hartman hat mit dem Konzept der Critical Fabulation eine Option aufgezeigt, wie mit Leerstellen umgegangen werden kann. Gleichzeitig denke ich, dass es wichtig ist, eine Leerstelle auch Leerstelle sein zu lassen. In solchen Fällen muss sie natürlich markiert und gut vermittelt sein. Eine Leerstelle als solche anzuerkennen bedeutet auch, die Praxis des Archivierens im Kontext von Trauerarbeit und Verlustbewältigung zu sehen. Auch dafür muss es Raum geben.

DK: Vom 03/07 - 06/07/2024 findet in der KfW Villa 102 und im Museum Angewandte Kunst der Think Tank und die Ausstellung Cosmologies of Objects statt. Die Veranstaltungen begleiten die Entwicklung des TOA. Was genau passiert in diesen drei Tagen in Frankfurt am Main?

MK: Cosmologies of Objects ist der zweite von insgesamt drei Think Tanks. Der erste fand letztes Jahr in Dakar statt und beschäftigte sich mit feministischer Wissensproduktion. Beim Think Tank in Frankfurt wollen wir uns jetzt Objekte, die Eingang in das Archiv finden werden, unter den Aspekten Materialität, Spiritualität und gendered objects anschauen. 
Ich sollte noch kurz erklären, wie es ausgerechnet zu diesen drei Themen gekommen ist. TOA arbeitet mit fünf Museen zusammen: Dem Grassi Museum in Leipzig, dem Museum für Europäische Kulturen in Berlin, dem Rautenstrauch Joest Museum in Köln, dem Museum Angewandte Kunst in Frankfurt und dem Musée Théodor Monod in Dakar. Wir haben vor einiger Zeit das Musée Theodor Monod gebeten, uns eine Auswahl aus ihrer Sammlung für das Archiv zur Verfügung zu stellen. Diese Auswahl von ca. 50 Objekten nennen wir auch die “core collection", da sie eine Art Startpunkt des Archivprojektes darstellt. Die anderen Museen wurden dann gebeten, mit Objekten aus ihren Sammlungen auf die “core collection” zu reagieren und diese in Beziehung zu setzen. Dabei waren die Museen sehr frei. Als ich auf die “core collection” blickte, um sie mit Objekten aus der Sammlung des Museum Angewandte Kunst zu erweitern, fiel mir gemeinsam mit Jeanne auf, dass drei zentrale Themen bei der Betrachtung der “core collection" eine Rolle spielen. Es ist eine Sammlung, in der eine Fülle an diversen Materialitäten vorkommt und in der es immer wieder um Objekte von spiritueller Bedeutung geht. Darüber hinaus stellt sich für uns in der Auseinandersetzung mit der “core collection” auch immer wieder die Frage, warum manche Objekte so klar gegendert oder in ihrer Funktion an ein Gender gebunden sind.

Syowia Kyambi, Becoming Kaspale (Film still), Image Courtesy of Talking Objects. Kaspale ist ein "trickster character" den die Performerin Kyambi über Jahre entwickelt hat. Dieser Charakter ist als eine Intervention im hochpolitischen Museumsraum zu verstehen. Becoming Kaspale wird im Rahmen des Think Tanks am 06/07/2024 im Museum Angewandte Kunst gezeigt.


JN: Die Erweiterung der “core collection” durch Sammlungsobjekte des Museums Angewandte Kunst passierte eher über eine thematische Auseinandersetzung. Andere Museen haben sich z.B. eher von formal-ästhetischen Beobachtungen leiten lassen. Talking Objects arbeitet bewusst mit sehr unterschiedlichen Museen zusammen. Es geht ja nicht darum, sich ausschließlich mit Objekten aus einem “kolonialen Kontext” zu beschäftigen. Im Rahmen des Think Tanks die Themen Materialität, Spiritualität und gendered objects zu diskutieren, finde ich total spannend. Vor allem den Blickwinkel der Spiritualität auf angewandte Kunst und Design zu werfen, wird sehr interessant sein. Modernes Design zeichnet sich ja vor allem dadurch aus, besonders “clean” und nüchtern zu sein. Produktdesigns wie von Apple können beispielsweise mit Loos’ “Ornament und Verbrechen” in Zusammenhang gebracht werden, da diese “cleane” nüchterne Ästhetik auch als eine Form der Spiritualität gesehen werden kann.

DK: Die Objekte werden also mit unterschiedlichen Themen und Perspektiven verknüpft. In diesem Zusammenhang fällt mir das Stichwort “polyperspektivische Herangehensweise” ein, auf das ihr euch immer wieder bezieht. Was ist damit genau gemeint? 

JN: Wie bereits angedeutet, werden die Objekte aus den verschiedenen Sammlungen im digitalen Archiv mit den aufgezeichneten Interviews, Gesprächen oder Performances, die auch im Rahmen der Think Tanks zu den Objekten entstanden sind, verlinkt. Durch diese interdisziplinären Verknüpfungen schaffen wir eine erweiterte, ja polyperspektivische Betrachtung, die allein dadurch schon entsteht, dass wir unterschiedlichste Museen auf die "core collection" blicken lassen. 

DK: Könnt ihr auf ein Format des Think Tanks genauer eingehen? Mich würde z.B. das Format Talking to Objects interessieren, das am 04/07 im Museum Angewandte Kunst stattfinden wird. Es wird als ein performatives Gespräch beschrieben, in dem Objekte zum Sprechen gebracht werden. Was kann ich mir darunter vorstellen?

MK: Bei dieser Veranstaltung wird eine Fishbowl-Situation geschaffen. In der Mitte befinden sich die Moderation und drei Objekte aus der Sammlung des Museum Angewandte Kunst. Jedes Objekt bezieht sich dabei auf eines der genannten Themen des Think Tanks. Die Besucher*innen werden eingeladen und aufgefordert, ihre eigenen Assoziationen und ihr Wissen über die Objekte mit der ganzen Gruppe zu teilen. Es entsteht damit ein Gespräch zwischen Objekt und Publikum - wodurch nochmal ein ganz anderes Wissen über die Sammlung aktiviert werden kann. Wir wünschen uns, dass dadurch ein Wissensaustausch mit möglichst wenig Hierarchien stattfindet. Das Wissen einer Fachperson über ein bestimmtes Objekt ist genauso wertvoll wie das Wissen einer “fachfremden” Person, die ihre Assoziationen teilt. Auch die Moderation wird die Objekte vor Ort zum ersten Mal sehen. Dieses Format haben wir bereits bei unserem Think Tank in Dakar letztes Jahr erprobt und man konnte eine dynamische, assoziative und spannende Gesprächsentwicklung beobachten.

JN: Ziel der Veranstaltung ist, eine andere Herangehensweise mit Objekten zu erlernen. Besucher*innen werden Teil der musealen Wissensproduktion und bringen die Objekte gemeinsam und kollektiv ins Sprechen. Das Format Talking to Objects spiegelt damit das grundsätzliche Anliegen von TOA. Die Methoden sind sich nämlich sehr ähnlich - Eine kollektive Wissensproduktion durch eine assoziative, diskursive und nicht-hierarchische Herangehensweise.

Jeanne Mizero Nzakizabandi und Dr. Mahret Ifeoma Kupka, Talking Objects.


Dr. Mahret Ifeoma Kupka
ist Kunstwissenschaftlerin, freie Autorin und seit 2013 Kuratorin für Mode, Körper und Performatives am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. In ihren Ausstellungen, Vorträgen, Texten und interdisziplinären Projekten befasst sie sich mit den Themen Zukunft, Erinnerungskultur, Repräsentation und der Dekolonisierung von Kunst- und Kulturpraxis in Europa und auf dem afrikanischen Kontinent. Mahret Ifeoma Kupka ist Teil des Kurator*innenteams des Talking Objects Lab.

Jeanne Mizero Nzakizabandi ist Kuratorin, Vermittlerin und Autorin. Sie lebt im Rhein Main Gebiet, wo sie Politikwissenschaften und Philosophie im Bachelor und Curatorial Studies im Master studiert hat. Vor diesem Hintergrund strebt sie eine transdisziplinäre Praxis an, welche nicht zuletzt Fragen rund um Community Care mit einbezieht. Jeannes Interessen umfassen post- und dekoloniale Theorien, Schwarze deutsche Geschichte sowie Schwarz – feministische Theoriebildung insbesondere in Bezug auf Körperpolitiken. Sie ist seit September 2023 Teil der Projektkoordination des TOA.

Cosmologies of Objects 

03/07 - 06/07/2024 (Think Tank)
03/07 - 04/08/2024 (Exhibition)


Exhibition and Think Tank curated by Mahret Ifeoma Kupka and Isabel Raabe 

Museum Angewandte Kunst

Schaumainkai 17

60594 Frankfurt am Main

KfW Villa 102 

Bockenheimer Landstraße 102 

60323 Frankfurt am Main

For further Information: www.talkingobjectslab.org/think-tank-the-cosmologies-of-objects