Sand im Auge der Sphinx
Zuzanna Czebatul
09–04–2020
by Carina Bukuts Theresa Weise
Zuzanna Czebatuls aktuelle Ausstellung 'The Singing Dunes' im CAC Synagogue de Delme (Frankreich) eröffnete kurz vor dem europäischen Lockdown. Unsere Redakteurinnen Carina Bukuts und Theresa Weise sprachen mit Zuzanna über Strategien der Imitation, warum Materialien 'matter' und wie wir unser Verhältnis zueinander in diesen Zeiten kontemplieren.

Zuzanna Czebatul, Their New Power (Head), 2020, polystyrene, acrylic and sand, 160 x 110 x 120 cm, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PASSE-AVANT Deine aktuelle Ausstellung ‘The Singing Dunes’ im CAC Synagogue de Delme ist benannt nach dem Phänomen „der singenden Dünen“, den Geräuschen, die beim Abrutschen von Sandlawinen erzeugt werden. Ein Material, von dem man nicht glaubt, das es auditiv erfahr ist, wird plötzlich hörbar. Was hat dich an diesem Phänomen interessiert?
Zuzanna Czebatul Wüsten, mit denen man ja eher Leere, Kargheit und Abwesenheit von Dingen verbindet, werden durch Wind zu ihrem eigenen, riesigen Klangkörper. Das sogenannte Singen ist Indikator ihrer Bewegung wenn sie wandern und sich ausdehnen. Dieses sich selbst Innewohnen war für die Arbeiten in der Ausstellung ein passendes Sinnbild.
PA Als Material taucht der Sand auch in deiner Arbeit Their New Power (2020) auf. Hier sind Fragmente von vermeintlichen archäologischen Artefakten wie z.B. Pfoten, Brust und Kopf einer Sphinx von Sand umgeben. Warum hast du hierfür den Körper der Sphinx fragmentiert?
ZC Bei den vier Fragmenten handelt es sich um eine Nachbildung einer Filmrequisite aus dem Hollywood Stummfilm The Ten Commandments (1923) von Cecile B. DeMille – ein Epos, das den jüdischen Exodus thematisiert. Es war eine der teuersten Produktionen der damaligen Zeit, unter anderem weil für den Film eine nahezu vollständige ägyptische Stadt gebaut wurde. Um die immensen Kosten einzudämmen, hat man das riesige Filmset nach Abschluss der Dreharbeiten in der kalifornischen Wüste vergraben. Seit den 1960er Jahren werden immer wieder Teile des Sets gefunden, eine eigenartig neue Form der Archäologie. Diese Verschachtelungen, von der ägyptischen Antike über die Populärkultur Hollywoods bis hin zur Ausstellung im CAC, lässt sich theoretisch ähnlich zusammenfügen wie die vier Teile dieser Sphinx.

Zuzanna Czebatul, Their New Power (Chest and head), 2020, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

Zuzanna Czebatul, Their New Power (Head), 2020, polystyrene, acrylic and sand, 160 x 110 x 120 cm, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PA Man sieht den Skulpturen jedoch bereits auf den ersten Blick an, dass es hierbei um Attrappen handelt. Es geschieht also genau das, was bei einer Attrappe eben nicht geschehen soll – ihre Wahrhaftigkeit ist zweifelhaft.
ZC Diese Prop-haftigkeit ist wesentlicher Bestandteil der Arbeit: eine Nachbildung einer Nachbildung, durch die kenntlich werden soll, wie viel oder wie wenig vom Original übrig bleibt. Die Sphinxen im Film weisen Abweichungen von ihrer Vorlage auf: zum Beispiel sind sie weiß und haben Brüste. Im alten Ägypten jedoch waren Sphinxen aus gelb-rötlichem Sandstein und typischerweise männlich. Erst in der griechischen Antike erscheint die Sphinx als weiblich-anmutendes Mischwesen mit Frauenkopf und Busen. Die Sphinx im Film ist eine wilde Interpretation ihrer historischen Vorlagen. Auch meine Nachbildung weicht von der filmischen ab: mit einer eher grauen und an Granit erinnernden Oberfläche unterscheidet sie sich von dem weißen, wohl Marmor imitierenden Material, welches ebenfalls keine Verwendung in der Architektur des alten Ägypten hatte. Dieses Rezitieren ist ein bisschen wie Stille Post, die Abweichungen sagen aber viel über die Motive derjenigen aus, die am Werk sind, da dies immer im jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit geschieht. Ist es ein Zufall dass die Sphinxen in The Ten Commandments weiß und weiblich sind? Ich bezweifle das...
PA Die Ausstellung ist wie ein Gang durch eine Ausgrabungsstätte. Du verknüpfst die Vergangenheit mit der Gegenwart. Welche Reibungen und Energie entstehen hierbei für dich?
ZC Die Inszenierung der Skulpturen, die auf Sand-Sockeln ruhen und damit gleichzeitig eine Grabung imitieren, verknüpft die Musealität dieser Objekte mit ihren Fundorten. Triviales wird plötzlich Erhaben, etwas das eben noch als wertlos und lästig empfunden und dem Zerfall hingegeben wurde, ist plötzlich wertvoll und schützenswert. Unser Verhältnis zu Dingen verändert sich kontinuierlich. Das lässt sich auf alles übertragen: Geschmack, Moral, Politik, und so weiter.

Zuzanna Czebatul, Their New Power (Chest), 2020, polystyrene, acrylic and sand, 150 x 50 x 150 cm, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

Zuzanna Czebatul, Their New Power (Paws), 2020, polystyrene, acrylic and sand, 140 x 140 x 50 cm, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PA Auf der unteren Ebene hast du die in situ Arbeit Vortex (New Day Coming) (2020) installiert: ein Betonboden aus unterschiedlichen Fliesenformen, der durch seine Pigmentierung an Marmor erinnert. Auch hier wird der Betrachter getrügt.
ZC Die Bodenarbeit ist ein Trompe L’oeil, das die Innenarchitektur aufgreift, während alles gleichzeitig in einem scheinbaren Strudel ins Zentrum des Raumes wirbelt. Dieses Zerfließen ist eine Anspielung auf die Geschichte des Gebäudes, das im 2. Weltkrieg von der deutschen Armee bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Nach dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren behielt es zunächst seine Funktion als Synagoge. 1992 wurde es in ein Zentrum für zeitgenössische Kunst umgewandelt. Nach wie vor wohnt dem Haus viel von seinen Ursprüngen inne, der Toraschrein zum Beispiel ist ein prägnantes Element des Interieurs. Doch es ist nicht das Original. Das Mimikry des Bodens kann als Analogie zu der pseudo-historischen Fassade der Institution gesehen werden und deutet auch auf die Wandelbarkeit unserer Lebensräume hin.
PA Der Boden imitiert die ehemalige schmuckvolle Architektur der Synagoge. Welche Elemente hast du hierbei aufgegriffen?
ZC Auf dem schwarz-weißen Kachelmotiv lassen sich Spiegelungen des Toraschreins, der Eingangssäulen zwischen den Türen und die Fenster finden. Der originale Boden des Synagoge bestand aus schwarz-weißen Oktagon-förmigen Kacheln. Ich habe jedoch einfachheitshalber quadratische Kacheln verlegt.

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PA Inwieweit bist du hier auch auf die historischen und kulturellen Implikationen der Synagoge eingegangen?
ZC Die Geschichte des Gebäudes wollte ich von Anfang an in die Ausstellung mit einbeziehen, allein schon weil dort nach wie vor eine so starke sakrale Atmosphäre herrscht. Das hebt den Wandel des Gebäudes hervor und auf eine eigenartige Weise werden die Gemeinsamkeiten von Religion und Kunst sichtbar. Aus diesem Grund wollte ich die untere Etage auch 'leer' lassen und habe mich für einen Boden entschieden. Ich wollte etwas schaffen das sich in den Raum einfügt, ihn ergänzt.
PA Die Gestaltung des Bodens steht eigentlich im Kontrast zu seiner materiellen Beschaffenheit. Während die Formen dynamisch sind, einen Wirbel erzeugen, ist Beton ein druckfester Baustoff, der vor allem Stabilität suggeriert. Was interessiert dich an dieser Reibung?
ZC An Beton interessiert mich die Vielzahl seiner Zustände: zu Beginn trocken und lose, dann flüssig und schließlich hart und widerstandsfähig. Man kann ihn in jede erdenkliche Form bringen. In meiner Arbeit versuche ich häufig durch das Verdrehen von Eigenschaften den Themen, die ich behandle auf den Grund zu kommen, etwas neues sichtbar zu machen. Die Arbeit Vortex (New Day Coming) spiegelt die Wandelbarkeit des umgebenden Raumes wider, dafür war Beton, wie ich ihn verwende, ideal.
PA Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch interessant darüber nachzudenken, inwieweit sowohl Beton als auch die archäologischen Ausgrabungen des Alten Ägypten für gewisse Errungenschaften in der Menschheitsgeschichte stehen. Die Faszination für und die Erforschung der Antike auf der einen Seite und die Innovation der Moderne auf der anderen.
ZC Beton ist ja an sich kein neuer Baustoff, er wurde im letzten Jahrhundert lediglich optimiert. Es wird so viel gebaut, dass die Ressource Sand langsam versiegt, durch den Abbau verstärkt Erosion und der Eingriff in Ökosysteme hat irreversible Folgen. Beton ist somit Sinnbild einer Akzeleration, die die Moderne hervorgebracht hat und nun zeichnen sich ihre Folgen ab. Der Blick auf vergangene Kulturen und untergegangene Imperien ist gerade in einem solchen Moment hilfreich.

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PA Dies ist aber nicht das erste Mal, dass du eine Arbeit für den Boden schaffst. Für die Art Cologne 2018 hast du den Teppich Higher than the Sun (2018) im Eingangsbereich der Messe installiert und für deine Ausstellung ‘Opus Sectile’, die 2015 im Ludlow 38 in New York zu sehen war, hast du einen ganz ähnlichen Boden geschaffen wie in Delme. Was reizt dich an der Gestaltung und Umwandlung von Böden?
ZC Ich mag vor allem den Gegensatz: auf der einen Seite erstrecken sie sich über den gesamten Raum, gleichzeitig bleibt dieser leer und wird ein Stück weit auf sich selbst zurückgeworfen. Die Grenzen zur Architektur verschwimmen, wodurch diese sichtbar wird. Innerhalb des Kunstkontextes wird die Funktion von den verschiedenen Kulturinstitutionen verdeutlicht: sie stehen ja für ein unendliches Potential, welches mit jeder Ausstellung, jeder Arbeit, neu gefüllt und verhandelt wird.
PA Du bedienst dich bei Vortex (New Day Coming) der gleichen Technik, die auch titelgebend für deine Ausstellung in New York war: Opus Sectile. Kannst du uns etwas mehr über diese Technik verraten?
ZC Diese Mosaik-Form steht für das Zusammenspiel von Architektur, Interieur und Kunst: Im antiken Rom wurden die Böden und Wände von religiösen Stätten mit sakralen Abbildungen verziert, in Wohnhäusern hat man Szenen eines Esszimmers auf dem Boden eines Esszimmers dargestellt. Das Motiv sagt also viel über den Raum für den es hergestellt wurde aus. Anders als beim Mosaik, welches aus gleichgroßen Materialstücken besteht, die unabhängig voneinander zu einem Bild zusammengefügt werden können, ist das Opus Sectile in sich geschlossen. Jedes Element ist auf alle anderen angewiesen, ohne die angrenzenden Teile bleibt es meistens abstrakt. Diese Abhängigkeit wohnt auch dem Verhältnis der Kunstform zu seiner Umgebung inne.

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

PA Ein schönes Detail – oder womöglich ist es auch ein zu großer Bestandteil, um von einem Detail zu sprechen – ist in Delme die Platzierung von Sandkörner zwischen den Lücken der einzelnen Fliesen. Es schafft eine Brücke zu den Skulpturen in der Galerie.
ZC Da die Bodenarbeit temporär installiert ist, liegen die Betonplatten auf einer Sandschicht. Somit ist der Boden des Gebäudes geschützt, gleichzeitig sind die Unebenheiten der von Hand produzierten Platten ausgeglichen. Die Arbeit besteht ja zu gleichen Teilen aus Sand und Zement und Sand erwies sich bisher als das beste Trägermaterial. Die Bodenarbeit wiegt ja insgesamt 3,2 Tonnen und ausgelegt sind nochmal eine halbe Tonne Sand. Der Titel der Ausstellung ist Programm ☺
PA Aufgrund der aktuellen, temporären Schließung deiner Ausstellung wird es leider wenigen möglich sein, sie in Realität zu sehen, aber wir mussten in diesen Zeiten von ‘physical distancing’ tatsächlich öfter an eine frühere Arbeit von dir denken: Spooning in Love and Anger (2017–2019). Die Skulptur besteht aus Händen und Armen aus Vinyl, PVC, Polyester und Baumwolle, die ineinander umschlungen sind. Sie suggerieren eine intime Kollektivität – etwas, das wir momentan schmerzlich vermissen. In der für uns entworfenen Plakatserie Defeat Infection with Connection (2020) greifen nun Gehirne nacheinander. Wurde die körperliche Distanz durch eine intellektuelle Nähe ersetzt?
ZC Das wäre schön! Ich hoffe, dass wir diese Zeit nutzen um über unser Verhältnis zueinander zu kontemplieren. Für mich verdeutlicht sich gerade noch einmal mehr, wie alles miteinander zusammenhängt und sich bedingt, jede unserer Handlungen hat Einfluss auf das Leben von anderen Menschen. Unsere einstige Normalität ist ja sehr problematisch gewesen, und ich hoffe dass die gegenwärtige Krise sich zumindest positiv auf die Zukunft auswirkt, auch wenn der Preis sehr hoch ist. In diesem Zusammenhang ist es ein wenig ironisch zu erwähnen dass The Singing Dunes bis zum 20. September verlängert wurde.

Zuzanna Czebatul, Vortex (New Day Coming), 2020, concrete and pigment, 12 x 10 m, installation view, CAC-La synagogue de Delme, 2020. Courtesy: the artist; photograph: OH Dancy

Zuzanna Czebatul – The Singing Dunes
29. Februar – 20. September 2020
CAC – Synagogue de Delme
33 Rue Poincaré
57590 Delme
Frankreich
Zuzanna Czebatul ist Künstlerin und lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Studium absolvierte sie an der Städelschule Frankfurt im Jahr 2013 und besuchte später das MFA-Programm am Hunter College, New York als Fulbright-Stipendiatin. Czebatul hatte Einzelausstellungen im GGM1 Municipal Galerie Gdansk; CCA FUTURA Prag; CCA Ujazdowski Castle Warschau. Kürzlich wurden ihre Arbeiten in Gruppenausstellungen in der Kunsthalle Lingen; Somerset House, London und Schlesisches Museum in Kattowitz, PL, ausgestellt. Kommende Ausstellungen für 2020 sind geplant bei sans titre in Paris und EXILE in Wien sowie die Teilnahme an der Athen Biennale.