Dreckige Fetzen baumeln von drahtigen Gestängen, Beton haftet an Tarnnetzen vor den Fenstern und die Wände sind mit dicken, getrockneten Lettern beschmiert. Hier scheint etwas sein Unwesen getrieben zu haben, das sich nach orgastischer Verbreitung aus dem Staub gemacht hat. Übrig geblieben ist eine raumgreifende Installation, die Mire Lee eigens für das Zollamt produziert hat. Mit Beton- wie Stahlgebilden, maschinellen Skulpturen und Videoarbeiten entwirft sie eine dystopische Szenerie, an der alles Lebendige zugrunde geht.
Die Einzelausstellung Look, I’m a fountain of filth raving mad with love erinnert an das Setting eines alten Science-Fiction-Films. Doch das Gesehene hat mehr mit unserer Realität zu tun, als mir als Besucherin lieb ist: Harter Beton trifft auf fragile Existenzen, industrielle Maschinen auf verletzliche Körper. Hier winden sich nicht nur Lees kreatürliche Skulpturen – nein, auch ich fühle mich in meiner eigenen weiblichen Körperlichkeit angesprochen.
Das mag daran liegen, dass ich nicht die einzige Frau im Ausstellungsraum bin. Gleich zu Beginn begegne ich Lees schlafender Mutter im gleichnamigen Video Mother (2020): Ihre Haut glänzt hell vom Licht der Kamera, regungslos liegt sie auf dem Bauch, umgeben von Decken und Kleiderhaufen – ein intimer Einblick. Im Gespräch mit Susanne Pfeffer, das als Begleittext zur Ausstellung dient, vergleicht die südkoreanische Künstlerin den menschlichen Körper nach dem Einschlafen mit einem „bloßen Stück Fleisch“ und zieht eine Analogie zwischen der Mutter und ihren Skulpturen, den sog. „Carriers“: Beide seien Trägerinnen. So handelt Lees Installation vom Austragen, Gebären und den transgressiven Zuständen dazwischen – wobei sich die Prozesse hier mit jenen der (industriellen) Produktion verzahnen.
Die „Carriers“ bewohnen die starre Drahtseilstruktur im Zentrum des ZOLLAMTS, die um sich greift und Gitterskelette bildet. Ihre Körper bestehen aus Kabeln und Schläuchen, die Flüssigkeiten beherbergen. Diese tropfen ab und an aus den Öffnungen zu Boden, wo dunkle Pfützen entstehen. Die Skulpturen drehen sich behutsam um ihre eigene Achse, wobei ihr Motorantrieb ein hochfrequentes Geräusch erzeugt – es klingt, als würden Lees Maschinen fiepen. Die Übergänge von den feuchten, maschinellen Wesen zur trockenen Bausubstanz formen weiße, organische Silikonstrukturen, die an Verknöcherungen erinnern. Das Zusammentreffen von Material und Maschinenwesen hat etwas Morbides.
Stärke hingegen strahlen die Betonmischer aus, die an den Rändern des Raums abwechselnd rotieren und unaufhörlich wummern. Ihr Lärm ist einschüchternd, insbesondere in direkter Nachbarschaft zu den Skulpturen, die neben der maschinellen Gewalt so zerbrechlich wirken. Sie machen mir meine eigene Verletzlichkeit bewusst: wie schwach ich mich fühle in dieser Umgebung. Einige der Trommeln schwenken schwarzes Öl umher, andere schütteln Schläuche in ihrem Inneren, die an die Körper der „Carriers“ erinnern. Daneben hängen runde, offene Betonwaben von der Decke, die die Formen der Mischer-Bäuche wiederholen. Die Wesen, die sich hier eingenistet hatten, scheinen bereits geschlüpft zu sein. Sind es die Skulpturen?
Die gegenüberliegende Seite zieren Zitate der Dichterin Kim Eon Hee auf Deutsch, Englisch und Koreanisch. Sie sind mit Beton an die Stahlplatten geschmiert, die die Wände verkleiden. Darunter ist auch jenes vom „Schmutzbrunnen im Liebesrausch“ zu finden, auf das der Ausstellungstitel referiert. In allen Textfragmenten geht es um Dreck, Frauen, Feeding und Fucking: „In ihrem toten Mund steckte, den ihre toten Lippen tausende Male ablutschten, esse ich den schwarzen Brei Ich füttere meinen Mund mit dem schwarzen Brei.“
Diese Worte könnten auch von Veronika Moser stammen, der österreichischen Pornodarstellerin, die in einer Videoarbeit über ihre sexuellen Vorlieben spricht. (Thematisch naheliegend wird das Interview neben den Toiletten präsentiert.) Besonders möge sie Kaviar, nicht den russischen, sondern die Scheiße von Männern, denn diese schmecke würziger als die von Frauen. Begeistert schildert sie ihr Bedürfnis, sämtliche Körperöffnungen mit Exkrementen anzufüllen, bis der Magen voll ist und die, Zitat, „Fotze“ ebenso. Während ich mir das ansehe, kann ich nicht umhin, mir vorzustellen, wie sich der braune Brei in meinem eigenen Inneren ansammelt. Wie er sich seinen Weg bahnt durch meine Öffnungen, oral wie vaginal. Mein Freund Claas, der mich zur Ausstellung begleitet, packt kurz nach Verlassen des ZOLLAMTS ein Twix aus. Ich möchte erst einmal keine Schokolade essen.
Wie bereits in früheren Ausstellungen kreisen Lees Werke um das Konzept des Abjekten, das sich etwa in Form der Kacke, aber auch in Gestalt der schlafenden Mutter und den Zwischenzuständen der Maschinenwesen findet: Zu nah am Leben, um tot bzw. Objekt zu sein, zugleich nicht lebendig (oder wach) genug, um Subjekt zu werden. Als Trägerinnen sind gerade Mütter per se grenzüberschreitend: Während der Schwangerschaft verbinden ihre Körper zwei Leben miteinander, die im Zuge der Geburt getrennt werden – ein zutiefst ambivalenter Prozess, der als reproduktive Arbeit gesellschaftlich eingefordert und zugleich als körperlicher Gebärvorgang weitgehend tabuisiert wird.
In der kritischen Theorie bezeichnet das Abjekte eine Bedrohung für herkömmliche Systeme und Weltordnungen. Als etwas, das einen Zwischenzustand bewohnt, verstört es konventionelle Wertmaßstäbe sowie unseren Begriff von Subjektivität, so Julia Kristeva in ihrem 1980 erschienenen Text „Powers of Horror: An Essay of Abjection“. Es lässt uns unserer eigenen Grenzen gewahr werden, in körperlicher wie moralischer Hinsicht. Das ist in erster Linie angsteinflößend und ekelerregend. Doch das Niederreißen von Barrieren ermöglicht auch Kritik, wie Lees Ausstellung eindrücklich zeigt. Denn das Ungeheuer, das den Raum verwüstet hat, ist nicht unbekannt: Es ist das System, in dem wir leben. Lee bringt schonungslos jene Gewalt zum Ausdruck, die der Spätkapitalismus mitsamt seinen Arbeitsbedingungen auf den Menschen ausübt. Ebenso artikuliert sie die Ausbeutung, die Frauen tagtäglich im Patriarchat erfahren. Im Gegensatz zur Technologie sind unsere Körper nur begrenzt belastbar. Endloses Wachstum wird da zum Widerspruch.
Look, I'm a fountain of filth raving mad with love
Mire Lee
21/5 – 4/9/2022
ZOLLAMT MMK
Domstraße 3
60311 Frankfurt am Main