Iman Issas Künstlerinnenpublikation Book of Facts: A Proposition (2017) dokumentiert eine Ausstellung, die gar nicht stattgefunden hat, und lässt so die Schau Proxies, with a Life of Their Own mit der Lust der Künstlerin am Gedankenspiel beginnen. Das Buch, das zusammen mit Werken aus über einer Dekade in der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman zu sehen ist, beinhaltet insgesamt 78 Abbildungen. Diese hatte Issa aus einer eklektischen Auswahl an Quellen – von Geschichte über Recht bis zu Religion – zusammengetragen. Sie sind jeweils von einem eigens verfassten Text sowie einem Anhang mit skizzenhafter Bibliografie und Index begleitet. Dabei zeigt die Publikation die Fotografien und Illustrationen nicht wie vorgefunden, sondern in einer Art Sprach-Bild, in dem Begriffe in einem leeren Bildraum das bezeichnen, was dort zu sehen wäre.
Von welcher „Proposition“ das Buch aber nun eigentlich erzählt, bleibt unklar. Eine sperrige Zumutung möchte man meinen, und doch kommt das Lesen schnell einem rauschhaften Erlebnis gleich: Dadurch, dass die Fakten nicht im Sinne einer eindeutigen Hierarchie oder Narration festgeschrieben werden, öffnet sich ein Möglichkeitsraum, in dem es sich – entgegen der gewohnten Linearität – von hinten nach vorne, von der Mitte zu den Rändern lesen lässt. Immer neue Beziehungen zwischen den Bildern können geknüpft werden – die Lust am Gedankenspiel überträgt sich auf die Betrachtenden. Dabei wird eine Entwurfhaftigkeit wirksam, von der auch die vier ausgestellten Skulpturen aus der Serie Heritage Studies (seit 2015) getragen sind.
Diese Arbeiten weisen eine starke formale Präzision auf, die nicht ohne eine humorvolle Leichtigkeit auskommt. So fehlt einem tortenähnlichen Turm die Rückseite, die als Schattenwurf auf dem Boden liegt (Heritage Studies #40, 2022). Vorwitzig wölbt sich eine kupferfarbene Stange über dem Boden (Heritage Studies #18, 2016). Und ein goldenes Rad wird durch eine Arabeske an einem Klotz am Wegrollen gehindert (Heritage Studies #23, 2016). Diese Skulpturen basieren auf Issas Fotografien von existierenden Artefakten und ihren Displays in Museen. Die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen die Objekte zugänglich gemacht werden, ruft die Künstlerin auch mit der „Rahmung“ ihrer Skulpturen auf. So sind diese mit archivähnlichen Kürzeln am Boden markiert, kurze Texte auf Labelschildern beschreiben Gegenstand und Quelle. Bei der Tortenskulptur handelt es sich beispielsweise um eine Darstellung des „Ziggurat of the Moon God Nana from Ur“. Ausgerechnet die Information zur Herkunft des mesopotamischen Tempelturms wird jedoch nicht mitgeliefert, genauso wie nur eine abstrahierte Bezeichnung des Museums ausgewiesen ist. So lässt Issa auch diese Arbeit schwanken: zwischen dem klaren Bezug zu einer recherchierbaren Realität und einer instabilen Skizzenhaftigkeit. Das Ergebnis ist ein Ding, das dem Artefakt gleicht und ganz eigen zugleich ist; ein Ding, von dem man genau und kein bisschen wissen kann, was es bedeutet. Dabei bewirken Issas Heritage Studies etwas, was gerade Museen häufig vermissen lassen: die Objekte nicht in eine hermetisch geschlossene Vergangenheit festzuschreiben, sondern sie in die Gegenwart zu holen, um (den Betrachtenden) eine Pluralität an Geschichten zu ermöglichen, die zurück und nach vorne zugleich weisen.
Dass die Werke dennoch nicht ohne Festschreibungen auskommen und Issa trotz der sinnstiftenden Rolle der Rezipient*innen die Autorin ihrer „Propositions“ bleibt, liegt in der Natur der Sache. Umso konsequenter ist es, dass die Ausstellung mit der Frage nach dem Künstlerinnen-Ich schließt. Für eine Serie von Selbstporträts nimmt Issa die abstrahierte Form eines Kopfes auseinander. Ihr Self-Portrait (Self as Christa Wolf), 2022, zeigt zwei voneinander getrennte, halbrunde Formen aus dem 3D-Drucker, die sich fast zärtlich aneinander schmiegen. Dazu formulierte Issa, die in Ägypten geboren ist und an der Akademie der bildenden Künste in Wien lehrt: „Self as Christa Wolf who realized that, regardless of her refutations, the insistence on distinguishing between West (her west) and East (her east) would outlast her own lifetime.“ Anstatt eines Subjekts, das nur als geschlossene Entität „Ich“ sagen kann, wird eine fluide Identität entworfen, wo das Eigene seine Facetten mit den Anderen teilt. Dabei wird klar: „Ich“ kann nur ein Vorschlag sein – und die Kunst auch.
Iman Issa - Proxies, with a Life of Their Own
21/01 – 26/03/2022
Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Vienna
Seilerstätte 7
1010 Vienna, Austria