In Hülle und Fülle: Kenny Dunkans hybride Räume
basis e.V., Frankfurt am Main
11–04–2024
by Clara Maria Blasius

Kenny Dunkan – BIDIM BLO!, installation view, 2024 © basis e.V. Photography: Bernd Euring


Eine geballte Faust zerdrückt und verzerrt eine maskenartige Mundpartie. An den Fingernägeln wird der feste Griff sichtbar. Die schwarze Haut wirkt wie eingesalbt, der feuchte Glanz lässt die leicht faltige Textur besonders hervortreten. Ähnlich glänzend erscheint das Gesicht aus braunem PVC, von dem sich die schwarz erscheinende Mundöffnung kontrastierend absetzt. Le Cri (2019/2024) ist ein länglicher, über fünf Meter hoher Fotodruck, der den Zugang zu einem – derzeit nicht funktionsfähigen – Personenaufzug verdeckt. Er stellt einen expliziten, wenngleich leise formulierten Kommentar zur Geschichte des Gebäudes dar: Die Räumlichkeiten, heute Hauptstandort der Ausstellungsplattform basis e.V., wurden in den 1930ern als regionaler Parteisitz der NSDAP genutzt. Durch den stummen Schrei wird die historische Involviertheit der Architektur kenntlich gemacht, angeeignet und in die Wahrnehmung der aktuellen Gegebenheiten einbezogen.

In dieser physischen Verankerung kündigen sich bereits einige der Themen und Motive an, die sich durch Kenny Dunkans erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland ziehen. Das Werk des 1988 in Guadeloupe geborenen Künstlers ist von einem collagierenden, fast eklektischen Umgang mit einer Vielzahl an Materialien und einer hybriden Zusammensetzung diverser visueller Motive, sprachlicher Mittel und sinnlicher Eindrücke geprägt. In seiner Ausstellung BIDIM BLO! behandelt Dunkan die europäische Kolonialgeschichte nicht als Thema oder historisierte Erzählung, sondern erkennt und erinnert an diese als materieller Bestandteil der Gegenwart. Deren Einschreibung in Objekte und Körper spiegelnd, werden diese Dynamiken und Problematiken hier primär auf physisch-körperlicher Ebene vermittelt.

Kenny Dunkan – BIDIM BLO!, installation view, 2024 © basis e.V. Photography: Bernd Euring


Mit leuchtend orangenen Spanngurten wurde eine mehr als zehn Meter lange Konstruktion aus zusammengeschweißten Vierkantrohren an der Decke angebracht. Aus verschiedenen Modulen bestehend, dient Carbet (2021) mehreren Arbeiten verschiedener Medien als Träger. Der Titel verweist auf eine traditionelle Bauform eines wandlosen Unterstands, wie sie unter anderem auf den Antillen vorkommt. Zwischen stützendem Untergrund und schützender Hülle changierend, wird die Differenzierung zwischen Infrastruktur und Objekt verunklart. Die Spanngurte wurden an verschiedenen Ankerpunkten befestigt und mit Ratschen auf eine Länge und ins Gleichgewicht gebracht. Sie werden durch die Schwere der Struktur in Spannung gehalten. Allerdings scheinen sie nicht nur das materielle Gewicht der Objekte, sondern symbolisch auch die Last einer persönlichen Situation oder gesellschaftlicher Schieflagen zu tragen.

Durch die Art der Präsentation wird die Distanz zwischen Werken und Besucher*innen reduziert und eine direktere – physische – Begegnung ermöglicht. Auf den äußeren Modulen liegt jeweils eine Skulptur, die aus unzähligen Acrylglasplättchen und Kabelbindern zu einer menschenähnlichen Figur zusammengesetzt wurde. Dazwischen befinden sich vier Videoarbeiten auf großen Bildschirmen sowie weitere dreidimensionale und druckbasierte Arbeiten. Gemein ist ihnen eine Betonung von Form und Körperlichkeit. Es gibt einige wiederkehrende Elemente, darunter Abbildungen oder Umrisse von Körperteilen sowie konkrete Objekte wie kleine Eiffeltürme, die eine eindeutige Verbindung zu Paris, dem Wohnort des Künstlers herstellen. Bestimmte Motive und Momente zeichnen außerdem Bezugslinien zu anderen Werken der Ausstellung. Der sphärische, fast bedrückende Klang, der den Raum durchströmt, das rosafarbene Licht, und der leichte Duft, der von einer der Arbeiten ausgeht, ergänzen die visuellen Eindrücke. Diese mehrdimensionalen Sinnesanregungen fördern die körperliche Präsenz und die bewusste Rezeption der Werke.

Kenny Dunkan, CHARM #015 (detail), 2021 © basis e.V. Photography: Bernd Euring


Über die nächsten Räume streckt sich eine Werkreihe, die Kenny Dunkan Charms (2019-2022) nennt. Amulette oder Talismane sollen Glück bringen und vor Schaden schützen. Es handelt sich also um Gegenstände oder Schmuckstücke, denen eine besondere Kraft oder immaterielle Funktion zugeschrieben wird. Hier werden sie mittels formaler Annäherung untersucht: In den Raum hineinragende oder ihn durchquerende Metallstangen dienen als Halterung für ein knappes Dutzend von überdimensionierten Anhängern. Die skulpturalen Objekte bestehen aus einer Vielfalt an Materialien künstlicher Herstellung und biologischer Herkunft, industrieller Neutralität und individueller Nutzung. Verschiedene vorproduzierte Kleinteile wie Glieder, Haken, Ösen und Ringe werden mit organischen Fundstücken kombiniert: beispielsweise einem getrockneten Mangokern, an dem die Fasern des Fruchtfleisches noch klar erkennbar sind, oder Insekten, die in kleine Quader aus Harz eingegossen wurden. Stählerne Gliederketten hängen neben schmückenden Perlenketten, in einer Rohrschelle sitzt ein PVC-Objekt, das eine Gesichtspartie abbildet. Wenngleich überlebensgroßen Maßstabs, lassen die Charms an Personen – Körper – denken, die sie mit sich tragen mögen. Über die Materie werden Fragen danach formuliert, wie Gegenstände und Formen bewertet oder aufgeladen werden und wie sich deren Bedeutung mit einem wechselnden Kontext verändert.

Kenny Dunkan – BIDIM BLO!, installation view, 2024 © basis e.V. Photography: Bernd Euring

Kenny Dunkan, AM I WISE ENOUGH? (detail), 2022, © basis e.V. Photography: Bernd Euring


In der neuproduzierten Videoinstallation Jardin d’Essai (2024) werden die Zusammenhänge zwischen kulturellen Ritualen und der unstofflichen Relevanz verschiedener Materialien noch ausdrücklicher thematisiert. Jardin d’Essai bezieht sich auf Versuchsgärten, wie sie in einigen kolonisierten Ländern eingerichtet wurden, um unter anderem den Anbau und die Anpassung verschiedener Pflanzenarten zu testen. In sechs einzelnen Videos schält und zerlegt Dunkan Pflanzen und Früchte, die aus westlicher Perspektive mit Guadeloupe assoziiert werden. Diese sinnliche, manuelle Auseinandersetzung verdeutlicht, inwieweit sich stereotypische Vorstellungen auch auf dinglicher Ebene einzeichnen. Schicht für Schicht, Stück für Stück, werden die implizierten Vorurteile auseinander genommen und als haltlos offenbart.


Der schwebenden Konstruktion von Carbet entsprechend, wurden die sechs Bildschirme, aus denen die Installation aufgebaut ist, mit grünen Spanngurten an die Decke montiert. Jeweils drei Screens nebeneinander, nach außen gerichtet, niedrig und schräg positioniert – so, dass Betrachter*innen die Installation umgehen und nahezu in die filmischen Szenen eintauchen können. Wie auch andere Werke innerhalb der Ausstellung, nimmt Jardin d’Essai den ganzen Raum ein, löst sich vom Boden und hält Abstand zu den Wänden. So weisen viele von Dunkans Werken eine starke räumliche Präsenz auf und erlauben eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln sowie eine freie Bewegung um sie herum. Zum Teil rufen die Werke durch ihre haptischen Qualitäten, performativen Momente oder tatsächlich mobilen Elemente auch selbst eine Idee von Beweglichkeit – und Greifbarkeit – hervor.

Kenny Dunkan – BIDIM BLO!, installation view, 2024 © basis e.V. Photography: Bernd Euring


Über die einzelnen Arbeiten hinaus, wird die Ausstellung als Ganzes durch räumliche Elemente gerahmt. Mehrere Durchgänge und Räume sind in getöntes Licht getaucht, auf einigen Wänden sind farbige Flächen oder Formen, welche die Wahrnehmung prägen. Vor allem der letzte Raum wurde durch eine raumgreifende Installation einer umfassenden Verwandlung unterzogen. Das Raumvolumen wird von einem brummenden Sound gefüllt, Wände und Böden sind vollständig mit bedruckten PVC-Planen eingekleidet. Die abstrakten Muster wirken wie vergrößerte Abbildungen einer vulkanischen Landschaft. Diese Assoziation wird durch den Werktitel Volkan (2019-2021) verstärkt. Anstelle einer natürlichen Umgebung stellen die Drucke jedoch Nahaufnahmen von Keramikvasen aus Südfrankreich dar. Hier werden erneut Innenräume und Oberflächen miteinander verwoben, Hüllen gewissermaßen umgestülpt, gedankliche Vorstellungen materiell ausgedrückt und Gegenstände zu etwas Subjekthaftem aufgewertet. Währenddessen ist auch der Sound, der eine Art von Umgebung vermittelt, faktisch eine Umkehr dieses Verhältnisses: ein konstruiertes Geräusch, dass aus der Friktion einer Textur auf der Körperhülle – dem Reiben eines Handtuchs auf der Haut – erzeugt wurde.

Mit dem eigenen Körper als Ausgangspunkt, erarbeitet Dunkan komplexe Werke, die sich durch eine karnevaleske Materialvielfalt, eine inhaltliche Vielschichtigkeit und eine narrative Reichhaltigkeit auszeichnen. Kraft zahlreicher physischer und assoziativer Verbindungen werden das menschliche Verlangen zu Benennen und zu Ordnen offengelegt und binäre Unterscheidungen von natürlich und künstlich, billig und wertvoll, schützend und bedrohlich, kraftvoll und verletzlich vorgeführt. Formen und Techniken aus den Bereichen Architektur, Design, Kleidung und Schmuck aufgreifend, bietet BIDIM BLO! eine Fülle an visuellen und gedanklichen Anhaltspunkten, die bewegt und beweglich bleibt. Dennoch werden die Besucher*innen, ebenso wie die Werke in den Räumen verankert sind, immer wieder in die physische Realität zurückgeholt und ihrer eigenen Körperlichkeit und nicht zuletzt Involviertheit – explizit, wenngleich leise – bewusst gemacht.

Kenny Dunkan, VOLKAN, 2019-2021 © basis e.V. Photography: Bernd Euring



BIDIM BLO!

Kenny Dunkan

09/02 – 14/04/2024


Curated by Mariam Kamiab


basis e.V.

Produktions- und Ausstellungsplattform

Gutleutstraße 8–12

60329 Frankfurt am Main