„I was craving…“ – säuselt eine beruhigende Stimme aus meinem Handy. Sie gehört Nara Smith, einer Lifestyle-Influencerin, die alles selbst macht – ob Kaugummis, Brot, Cremes. Dabei sieht sie fantastisch aus, hat vier Kinder, einen Ehemann und modelt nebenbei. In ihrer 50er-Jahre-Ästhetik rutscht sie zurück in das Frauenbild von vor 70 Jahren und scheint alle heteronormativen Rollenklischees zu erfüllen. Nara Smith gehört aktuell zu den erfolgreichsten Influencer*innen, erreicht Millionen von Menschen und macht dabei einen immensen Umsatz. Sie ist das Paradebeispiel einer sogenannten Tradwife, ein Trend, der immer mehr auf Social Media zu beobachten ist: Stay-at-home-Mums, die ihre Erfüllung im Familienglück finden. Passend dazu werden sogenannte Gender-Reveal-Partys veranstaltet, bei denen das Geschlecht des ungeborenen Kindes bekannt gegeben wird: babyblau für Jungen und schweinchenrosa für Mädchen. Dass dabei ein binäres Weltbild propagiert wird, ist wohl Absicht. Unter dem Hashtag #instamum sammelt sich ebenso allerlei Kurioses: von gutgemeinten Tipps bis hin zu brutaler Kritik an jungen Müttern. Was macht das mit einem, wenn man ständig diesem Druck ausgesetzt ist?
Rachel Maclean liefert darauf eine Antwort. Sie selbst wurde vor Kurzem Mutter: Das wird auch in ihrer Ausstellung Mama Mimi Duck in der Kunsthalle Giessen deutlich. Hierfür entwickelte die schottische Künstlerin ihre neue Werkserie Mama, die Besucher*innen mit einem Irrgarten aus blauen Vorhängen, rosa Schleifen und Luftballons begrüßt. Dazwischen scheinen großformatige Leinwände zu schweben, die auf den ersten Blick an liebliche Rokoko-Landschaften erinnern, in denen sich die Gestaltung des Ausstellungsraumes wiederfindet. In diesem Setting räkeln sich, schweben oder verschmelzen Babydarstellungen, die Putten ähneln, und kopflose Frauenkörper. In knalligen rosa-blauen Farben entwirrt sich schnell ein groteskes, bizarres Bild: wulstige Glieder, überdimensionierte Augen, puppengleiche Züge, mal ein Arm zu viel, mal ein Finger zu wenig. Gesichter, die sich im Wasser aufzulösen scheinen oder wie eine Maske abgezogen werden können. Maclean spielt hier mit unserer Wahrnehmung: Vermeintlich Niedliches verwandelt sich blitzartig in eine Bildfolge abstruser, gruseliger Momente. So wundert es nicht, dass in My first sight eine grinsende Träne, die einen Schatten wirft, die Bühnenhaftigkeit der Szene verrät.
Ist die Beziehung zwischen Kind und Mutter nur eine Inszenierung? Oder entblößt die Künstlerin vielmehr die ambivalente Emotionslage von Müttern: Was bedeutet es, Mutter zu sein? Wie ist die perfekte Mutter? Geben Mütter mit der Geburt einen Teil ihrer Identität auf? Oder sind Cis-Frauen erst wirklich weiblich, wenn sie Mütter sind? Maclean konfrontiert uns gekonnt mit festgeschriebenen Gesellschaftsstrukturen und fordert uns zum Über- und Umdenken auf. Die teils KI-generierten Gemälde, die Maclean im Nachgang mit Öl und Acryl bearbeitet hat, machen neugierig auf mehr – man will tiefer in die Bilderwelten eintauchen und sich verzaubern, schockieren und überstimulieren lassen.
Durchdringt man den Mama-Irrgarten, erreichen Besucher*innen den zweigeteilten, hinteren Teil der Kunsthalle, in dem sich wiederum zwei Räume befinden, die als Art Kinosäle fungieren. Im rosa gestrichenen Bereich wird die erste komplett animierte Videoarbeit Macleans, upside mimi ıɯıɯ uʍop, gezeigt, die uns an der Schwerkraft zweifeln lässt und weitere Facetten der Social Media Welt vor Augen führt. Eingerahmt in einem umgedrehten, rosafarbenen Spiegel im Hochformat erscheint die Hauptfigur Mimi, die mitten in einem Wald steht. Sie wirkt wie eine vorbildliche Zeichentrickprinzessin in Disneymanier, spricht jedoch von ihrer Unzufriedenheit mit ihrem Äußeren. Wie eine Influencerin gewährt Mimi Einblick in ihre Gefühlswelt und strebt – trotz ihrer augenscheinlichen Perfektion – nach noch mehr Vollkommenheit.
Der Zauberspiegel, den sie findet, bestätigt zwar zunächst ihre Schönheit. Doch eine fremde Stimme beansprucht, die Schönste im ganzen Land zu sein, woraufhin sich Mimis Aussehen verändert: Sie wird grau und entspricht nun nicht mehr den gängigen Schönheitsidealen. Der Spiegel setzt ihr eine Spritze mit Flüssigkeit, die ihre Brüste und Lippen vergrößert, bis sie wie eine Sexpuppe aussieht. Ihre Welt dreht sich buchstäblich auf den Kopf: Unter ihrem Rock taucht eine weitere Mimi auf – alt und grau –, die mit ihr verbunden ist. Es entsteht ein Konflikt, in dem die junge Mimi versucht, die gealterte Version zu töten. Die Umgebung wird dabei in Bewegung versetzt und von einem schnellen Wechsel zwischen grau und rosafarbener Welt begleitet. Die Videoelemente und -effekte werden im Ausstellungsdesign aufgegriffen – schließlich ist der ganze Raum umgedreht und die Besucher*innen stehen auf der Raumdecke. In den letzten Szenen werden die beiden Mimis durch eine Axt voneinander getrennt: Die alte Mimi schwebt kopfüber nach unten, während die nun unsichtbare, junge Mimi als „the cutest“ weiterlebt.
Maclean bezieht sich in upside mimi ıɯıɯ uʍop auf Content Creatorinnen auf Instagram und Tik Tok. Ein verzerrtes, unerreichbares Schönheitsideal von Frauen, Fitnesswahn, das Streben nach Mehr und der Überkonsum, der durch Influencerinnen befeuert wird. Welche mentalen Auswirkungen das auf uns Menschen haben kann, wird sowohl im Titel als auch in der Schrift und Sprache der Arbeit verhandelt: Zum einen weist der Name Mimi auf die Selbstbezogenheit der Protagonistin hin, da er ausgesprochen wie „Me me“ klingt. Zum anderen dreht sich nicht nur Mimis Welt, sondern auch die Schrift in upside mimi ıɯıɯ uʍop. Gleichermaßen wird „save me“ zu „I’m fine“. Maclean scheint auf die kontinuierlich ambivalenten Gemütszustände zwischen Zufriedenheit und Frustration hinzudeuten. Dass die Stimme des Spiegels, als dominierender Erzähler, männlich klingt, passt - denn woher kommt dieser Schönheitswahn? Hat er etwa etwas mit den patriarchalen Strukturen zu tun, durch die wir sozialisiert sind?
Im grün gestrichenen Bereich wird in einem extra Raum eine weitere Videoarbeit Macleans gezeigt. Auch hier breitet sich der Filminhalt bereits im Ausstellungsraum aus: Die Wände sind grün und die roten Ledersofas verleihen dem Raum eine verrauchte Barstimmung. In DUCK kommen gleich mehrere Reinkarnationen von James Bond – von Sean Connery, Pierce Brosnan bis zu Daniel Craig – einer Alieninvasion auf die Schliche. 007s Gegenspielerin ist Marilyn Monroe, die die verschiedenen Bonds beim Kampf gegen die Aliens stoppen will. Es entwickelt sich eine Hetzjagd, in der der britische Agent immer mehr die Kontrolle verliert. Während sich die 007-Versionen gegenseitig unterstützen, vervielfacht sich die Figur von Monroe nur selbst und wird ihrem Klischee als – in dem Fall – reproduktives Sexidol gerecht.
Der Titel DUCK nimmt Bezug auf den Spruch „If it looks like a duck, swims like a duck and quacks like a duck, then it is probably duck.” und impliziert, dass sobald bestimmte Verhaltensmuster und Charakteristika erfüllt werden, Unbekanntes identifiziert werden kann. Aber ist tatsächlich alles so offensichtlich? Immer wieder wird die Frage nach Realität oder Fake gestellt. In welcher Dimension befinden sich die Darsteller*innen gerade? In Monroes, in Connerys? Oder doch in Craigs? Letzterer äußert: „It’s not real! None of this is real!“ Da wundert es nicht, dass die Alieninvasion vielleicht etwas mit einem quakenden Wesen zu tun haben könnte. So verwandelt sich auch der Schriftzug „DUCK“ umgedreht in „ufo!?“, denn in Macleans Bildsprache ist nichts so wie es anfangs scheint.
Die Künstlerin eröffnet hier eine weitere Ebene unseres Social-Media-Konsums und erweckt neue Wirklichkeiten zum Leben. Besonders ist, dass sie alle Rollen von Connery bis Monroe selbst spielt und sich mittels Deepfakes in die Schauspieler*innen verwandelt. Maclean macht deutlich, welches Potential und gleichzeitig welche Gefahr hinter KI-generierten Videos stecken kann. DUCK mit seinen mehrdeutigen Realitätsebenen betont das reflektierte Hinterfragen unseres Medienkonsums. Ist das, was wir sehen, immer echt? Immerhin sind nicht alle Clips so witzig, wie verschiedene Versionen eines tanzenden Markus Söders in den Diskos der 80er. Oder Mutterschaft so perfekt und vollkommen wie die von Nara Smith.
Rachel Maclean schafft in der Kunsthalle Giessen ein immersives Gesamtkonzept und spricht verschiedene Aspekte von Social Media an – welche Wirklichkeit sehen wir? Was wird gezeigt und was wird nicht gezeigt? Gleichzeitig gelingt es ihr, gesellschaftliche Strukturen zu überdenken: sei es die Rolle der Frau als Mutter, als Opfer des Beautywahns, als Sexsymbol – welchen Manipulationen sind wir ausgesetzt und wie können diese als künstlerisches Werkzeug dienen? Die Künstlerin konfrontiert uns mit einer grotesken Welt, die sich immer wieder in albtraumhafte Sequenzen entspinnt und mit der Absurdität unseres eigenen Lebens.
Mama Mimi Duck
Rachel Maclean
13/07 – 13/10/2024
Kuratiert von Dr. Nadia Ismail
Kunsthalle Giessen
Berliner Platz 1
35390 Giessen