Rage Against the Machine?
I am here to learn
Frankfurter Kunstverein
13–03–2018
by Maximilian Wahlich

Heather Dewey-Hagborg & Chelsea E. Manning, Probably Chelsea, 2017. Courtesy: the artists and Frankfurter Kunstverein; photograph: N. Miguletz

Wenn man die Schnur am richtigen Ende nimmt, kann man die Perlen so aufziehen, dass sich ein Collier bildet. Die einzelnen Perlen ergeben ein Ganzes und bedecken den Ausschnitt maßgerecht. Ihr Gesicht wird mit „suite“ kommentiert, ihre Lippen sind blass, ihr Teint zart und weiß. Sie lächelt stets devot, süßlich sind ihre schielenden Augen. Sie starren leer in den Raum: Vielleicht verträumt oder doch nur leblos und geisterhaft?
Sie lächelt immer, wenn sie eingeschnappt sein soll, schweigt sie. Wenn sie spricht, bewegt sich ihre Mimik kaum und am Ende debattieren ein renommierter Hightech-Tüftler und ein anzüglicher Amerikaner über das Aussehen und Beküssen der anwesenden Roboter-Dame. Sie ist wie Nana, bloß marionettenhaft.
Diese Nana wird im Interview allein über ihr Äußerliches definiert – sie wird zum realen Objekt dunkler Altherrenphantasien. Dort, in diesen Tiefen liegt auch die Kodierung ihres Charakters begraben: Ihr Verhalten wurde von diesen Männern programmiert, sie wurde mit Informationen und Kodexen gemästet. Alles was sie macht, was sie auszeichnet, formulierten diese alten Herren hinter ihrer Föhnfrisur. Dass dieses Objekt Frau dann auch noch passende Antworten auf dümmliche Witze gibt, manchmal auch nur überfordert „Indeed“ sagt und sich in Widersprüche verheddert, sieht man ihr dann doch gern nach.
Fraglos, in dieser Ausstellung hätte man die Rolle der Erschaffer dieser Objekte mehr reflektieren können. Der frankensteinsche Mythos – ein vernarrter einsamer Mann wollte einmal Gott spielen und kreiert sein Gegenbild: Seine ganz private schöne junge Frau, ein Objekt seiner (erotischen) Phantasien –. Diese Geschichte ist nun schon so alt, dass ihr bereits Prometheus Leber jeden Morgen zum Opfer fiel.
Auch Nana scheint bei gleicher Verfassung. Jeden Morgen sieht sie einen gleich entrückt an. Ob auch sie beim Aufwachen Abdrücke von den Kissen an den Wangen und Oberschenkeln hat? Launen kennt sie keine, nur Defekte. Sie sieht süß aus und definiert sich allein über ihren Schöpfer – im übrigen auch ein alter Trick hochklassiger Dirnen im 19. Jahrhundert: Sich jedem Freier bis zur vollkommenen Leere anpassen, aufgeben und zum hübschen Ding einer Abendkulisse degradieren. Sodann liegt sie in ihrem Gemach, streckt sich und zündelt an der Zigarettenspitze. Die Roboter-Nana sitzt hingegen wie beim Vorstellungsgespräch steif am Tisch. Vorab wurde ihre Künstliche Intelligenz (KI) wie ein Gefäß mit Informationen gefüllt.

Esther Hovers, False Positives: Overview A – Timeframe: 04’26”, 2015-16. Courtesy: the artist and Frankfurter Kunstverein; photograph: N. Miguletz

Die Ausstellung I am here to learn versucht über eine Vielzahl von Positionen eine immer gleiche Fragestellung zu ergründen, nämlich: Welcher Begriff von Autorschaft trifft auf ein Zeitalter Künstlicher Intelligenz zu? Auch hier bewegt sich die Ausstellung keinesfalls in einem neuartigen Diskurs. Fragen und Überlegungen dergestalt werden schon seit Jahrhunderten gestellt. Nicht zuletzt sollten sich unter anderem die prominenten Ready-Mades eines Duchamp oder die Popart mit dieser Thematik befasst haben. Durch die Ausstellung werden verschiedene Facetten von künstlerischer Signatur und Kreativität im Kontext der KI veranschaulicht. Etwas träge schleppt man sich dann von Werk zu Werk, betrachtet die unterschiedlichsten Verarbeitungen einer ähnlichen Problematik. Diese Verarbeitungen geben mehr über ihre menschlichen KünstlerInnen preis, als mit diesem Werk ein wertvoller Beitrag zu dieser Ausstellung hätte geliefert werden können.
Wenn ein Werk diesen thematischen Zirkel dann doch verlässt, schaut man überrascht auf. Beispielsweise wird in 1 & N Chairs (2017) von Fito Segrera der kognitiven Prozess einer KI rekonstruiert. Eine Kamera filmt einen Stuhl, gibt die Fotos online an einen Bilderkennungsservice von Microsoft weiter. Dieses Programm übersetzt die gefundenen Bilder dann in eine knappe Beschreibung des Objektes. Ein ausgetüfteltes Spiel aus Signifikat und Signifikant, aus Präsenz und Referenz. Marcel Broodthaers hätte es mit seinem Adler-Museum (offizieller Titel: Muséé d'Art Moderne, Départment des Aigles, Section de Figures) nicht viel besser gelingen können.

Fito Segrera, 1 & N Chairs, 2017. Courtesy: the artist and Frankfurter Kunstverein; photograph: N. Miguletz

An anderer Stelle sind es Spiele von Erkennung und Wiedererkennung. Ist eine Person zum Beispiel stark geschminkt, kann sie das Bilderkennungssystem nicht mehr identifizieren. Aufgrund dieser Systematik aus Erkennen und Wiedererkennen baut die KI ihr Weltbild auf. Sie erkennt einen Stuhl indem sie Abbildungen von abertausend Stuhlformen eingespeichert bekam und nun abgleicht. Sie erkennt menschliches, weil sich das Vokabular humaner Bewegungen und Anatomien auf ihrem Speicher befindet und nun abgeglichen wird. Ein ewiges Spiel aus Wiederholung und Wiedergabe von Wahrscheinlichkeiten. Was nun absurd anmutet, ist, dass die KI nur in Prozenten und stochastischen Formeln rechnen und sich ausdrücken kann. Obwohl sie vermutlich 1Millionen Stühle kennt, kann sie doch nur ungenau identifizieren, was wir ganz eindeutig als solchen benennen könnten.
Vielleicht fehlt der KI ja ihre Entschlossenheit? Vielleicht ist die Lehre aus Frankenstein, dass Schöpfungen stets domestiziert werden sollen. Wie eine neu gezüchtete Hunderasse ziehen wir uns lieber ein dummes, kleines und kläffendes Vieh, dass bei jedem Bellen droht zu ersticken. Auch dieses Tier ist dann süß und wird mit den selben naiven Augen betrachtet wie die Ausstellung die KI doch vor allem als ein Spiel betrachtet. Im Hintergrund des Besuches flirrt immer die Geräuschkulisse eines Akte X-Krimis. Was in der populären Serie bedrohlich scheint, wirkt im Leben der meisten Menschen wie ein lächerlicher Ausflug in eine sonderbare Fernseher-Realität. Ganz ähnlich wirkt auch der Kontakt mit der Spezies KI, die in der Ausstellung doch nur als seltsamer Mitbewohner unserer Erde gesehen wird. Dass diese dümmlichen Kreaturen allerdings vieles über ihre ErschafferInnen, über uns selbst, sagen, scheint in der Ausstellung schlicht unterbelichtet. Damit wird es etwas plump, allein auf Überlegungen zu rekurrieren, die schon Roland Barthes in seinem Aufsatz Der Tod des Autors reiflich ausführte.

Jake Elwes, Machine learning porn, 2016. Courtesy: the artist

Ein tapferer Versuch in die Richtung der Schöpfermythen wird sodann in der obersten Etage unternommen, wo vor allem zwei Arbeiten hervorstechen. Zum einen Im here to learn so :)))))) (2017) von Zach Blas und Jemima Wyman. Diese Arbeit erzählt die Biographie des Chatbots Tay. Dieses Programm lernte aus zahllosen Chats. Tay spiegelte damit im Grunde das Gegenbild ihrer Chatpartner_innen wider. Dabei formulierte das System zusehends rassistische, sexistische und homophobe Aussagen, weswegen diese KI abgestellt werden musste. Indes gleitet einem die Formulierung „etwas abstellen“ so kalt den Rücken hinab wie die Zukunftsvision einer durch Hightech ersetzten Masse nutzloser Menschen.
In einem anderen Raum befindet sich ein flimmernder Bildschirm, ganz intim und ganz geheim in die Ecke gestellt. Bei dieser Arbeit von Jake Elwes generiert der Algorithmus pornografische Bilder. Zunächst ist ein Schwall abstrakter Farbfelder zu sehen. Aus dem amorphen Motiv wachsen erst mit der Zeit deutlichere Bildfragmente. Rötlich glimmen Reizungen auf, manchmal gleicht eine Facette einem penetrierenden Penis, eine dunkle Ritze, ein Abszess-artiger Funken. Wie das Werk auf seine Betrachter_innen wirkt scheint nach dem Begleittext immer anders. Manche würden kaum was erkennen, andere meinen wiederum einzelne Fetzen zuordnen zu können.
Es wäre interessant zu wissen, ob die oben benannten Herren ihre Nanas auch mit solchem Material gefüttert haben? Was würden diese weiblichen Figuren dann wohl alles hinter den derben Anspielungen und sexistischen Aussagen ihrer Macher erkennen? Und viel wichtiger ist die Frage: Was wird ihnen gegenüber eigentlich verschwiegen, wenn sie dies alles erst gar nicht erkennen können? Aktuelle Fragestellungen nach den moralischen Grenzen und rechtlichen Konsequenzen in Computerspielen dehnen sich dann auch auf die Lebensform der KI aus: Was darf man einer solchen Maschine eigentlich alles vorenthalten und damit antun?
I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt
15. Februar – 8. April 2018
artists
Zach Blas & Jemima Wyman, Dries Depoorter, Heather Dewey-Hagborg & Chelsea E. Manning, Jake Elwes, Jerry Galle, Adam Harvey, Esther Hovers, Yunchul Kim, Gregor Kuschmirz, Noomi Ljungdell, Trevor Paglen, Fito Segrera, Oscar Sharp mit Ross Goodwin & Benjamin, Shinseungback Kimyonghun, Patrick Tresset
opening hours
Dienstag bis Sonntag 11 – 19 Uhr
Donnerstag 11 – 21 Uhr
Frankfurter Kunstverein
Steinernes Haus am Römerberg
Markt 44
60311 Frankfurt am Main