Vom Kompostieren oder der Utopie des Miteinander
Blockadia*Tiefsee
SYNNIKA, Frankfurt
16–03–2021
by Ramona Heinlein

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

In einem kollektiven Kraftakt wird ein kleiner Fisch aus einem verschmutzten Fluss geborgen und über 25 km von einer Karawane aus Rollern durch die Straßen transportiert. Wie ein wertvoller Schatz wird das Tier während der Rettungsaktion in zwei Händen gehalten, immer wieder schüttet man Wasser nach, um sein Überleben zu sichern – ein prekäres Unterfangen und ein anrührender Akt zugleich.

Auch durch den Kontakt der Körper, durch die unmittelbare Berührung, vermittelt sich eine besondere Nähe, eine direkte Verbindung zwischen Mensch und Tier. Schließlich wird der Fisch an einer sauberen Stelle des Flusses zurück ins Wasser entlassen. Die Operation war erfolgreich, wenn möglicherweise nur auf Zeit, handelt es sich doch um dasselbe Gewässer, aus dem der Fisch zunächst gerettet wurde – Kampf gegen Windmühlen oder doch widerständige Utopie?

Very very Important Fish (2021) von Iwan Ahmett ist in diesen Tagen neben anderen filmischen Arbeiten im Schaufenster des Frankfurter Projektraums Synnika zu sehen. Die Arbeit dreht sich um ökologische Verantwortung und kollektives Handeln. Sie verbindet humorvolle Absurdität mit ernster Dringlichkeit, und kann durchaus als Plädoyer für eine artenübergreifende Sensibilität verstanden werden – Themen, die das temporäre Kollektiv Blockadia*Tiefsee umtreiben. Die einzelnen Mitglieder – dazu gehören Martin Dörr, Stephan Idé, Antonia Lotz, Ulrike Markus, Petra Metzner, Sarah Reva Mohr, Joëlle Pidoux, Wagehe Raufi, Dennis Siering, Stefan Thürck, Mathias Weinfurter, Linda Weiß und Susanne M. Winterling – verstehen sich als Zellen, die in Kontakt zueinanderstehen, verknüpft sind, kommunizieren. Ein pulsierender Organismus, eine Brutstätte, wo zusammen gedacht und gearbeitet wird.

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

Mit Synnika scheint das Kollektiv genau den richtigen Ort für seine künstlerischen Interventionen besetzt zu haben. Der „experimentelle Raum für Praxis und Theorie“ wurde 2019 eröffnet und befindet sich im NIKA.haus, das ehemals als Gewerberaum der Stadt genutzt wurde. Jetzt ist es Wohnort von 42 Parteien, die sich ein Stück urbanen Raum mitten in dem von Gegensätzen geprägten Bahnhofsviertel – mit seinen Bankentürmen, Wohnungslosen, Szenekneipen und Drogenkonsument*innen – erobert haben. Zentral ist die Kollektivstruktur des Hausprojekts: selbstverwaltet, mit bezahlbaren Mieten, ohne Vermieter, aber mit Hausverein, alle Belange werden im Plenum besprochen, der Lebensraum gemeinsam gestaltet.

In dem dort beheimateten Kunstraum soll nicht „nur“ ästhetische Erfahrung stattfinden. Hier hat keiner Angst, die Grenze zwischen autonomer Kunst und sozialer Praxis zu übertreten. Es geht um Kommunikation mit der Umgebung, um das Aushandeln von Lebensformen, um nachhaltiges Zusammensein. Synnika versteht sich dementsprechend dezidiert nicht als Ausstellungsraum, nicht als in sich geschlossene Enklave, nicht als gereinigter Safe Space, in dem selbstgenügsame Kunstobjekte zur entrückten Kontemplation ausgestellt werden. Um reale soziale Bedingungen, auch des Viertels, will man sich drehen. Synnika soll Gemeinschaftsraum sein, Co-Working Space, ein Ort, der sich nach außen hin öffnet, zur Realität, zur Öffentlichkeit, zur Straße hin. Die Präsentationen werden als visuelle Interventionen verstanden, die auch von außen rezipierbar sein sollen. So ragt die Ausstellung 'Soil Strings – Commoning und Kompost' mit den Videoarbeiten im Schaufenster buchstäblich aus dem Kunstort heraus in den städtischen Raum.

Ganz konsequent ist das Konzept der Schaufenster-Ausstellung nicht. Um den Rest der Präsentation adäquat zu rezipieren, muss man hineingehen. Hier sind verschiedene Werke einzelner Mitglieder von Blockadia*Tiefsee zu sehen, darunter Malerei, Fotografie, Video- und Papierarbeiten. Dort, wo die Ausstellung sehr an den individuellen künstlerischen Positionen haftet, mutet die Kombination der Werke etwas disparat an. Der kollektive Habitus zeigt sich dagegen vor allem an dem Modell zur Wachstums-Denkfabrik (2021) – eine Art Materialcollage mit Beiträgen einzelner Künstler*innen. Auf dem Holztisch finden sich unter anderem Humus in Kunststoff, Formen aus Myzelium, ein skulpturales Objekt, das an ein Insektenhotel erinnert, Sand in grünen Säcken und Würmer aus Ton.

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

Die Erde, auf der die einzelnen Objekte angeordnet sind, kann als kollektive Denk- und Handlungsmasse verstanden werden, aus der Materialien und Objekte hervorgehen – „Soil Strings“: Erde als Basis für unterschiedliche Werkfäden, die in Dialog treten, mit offenen Enden, an die sich weiter anknüpfen lässt. An dieses Bild ist auch der Untertitel der Ausstellung anzudocken: „Commoning und Kompost“. Humus findet sich auf verschiedene Arten in der Ausstellung, ob als Material oder Gegenstand von Videos. Aufgrund seiner Fruchtbarkeit und Heterogenität ist Kompost eine Produktionsstätte immer neuer Lebewesen und Lebensformen sowie Nährboden für Kooperation – schließlich arbeiten hier unterschiedliche Stoffe und Kreaturen zusammen und lassen etwas Neues entstehen.

Dementsprechend lässt sich Humus auch für eine ethische Theorie des Miteinanders fruchtbar machen. So schreibt Donna Haraway: „Wir sind Kompost, nicht posthuman; wir bewohnen den Humunismus, nicht den Humanismus.“[1] Laut der Theoretikerin werden uns weder Technikoptimismus noch Weltuntergangspessimismus – angesichts massenhaften Artensterbens, fortschreitender Umweltverschmutzung und ökonomischer Ungleichheit in einem globalisierten Kapitalismus – retten. Als Ausweg aus dem Anthropozän imaginiert Haraway stattdessen das Zeitalter des „Chthuluzän“, das der Besinnung auf die Verwandtschaften zwischen allen auf der Erde existierenden Arten gewidmet ist: ein komplexes System des „Miteinander-Werdens“, in dem alle Lebewesen in symbiotische Beziehungen treten und sich zu neuen Zwitterwesen entwickeln. Nicht als Individuen können wir überleben, sondern nur als kollektiv produzierendes System.

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: The artists; photograph: Wolfgang Günzel

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

Dabei ist der Mensch nicht Subjekt, das einer objektivierten Welt gegenübersteht und ihr Zentrum bildet. Vielmehr werden die Dualismen der westlichen Philosophiegeschichte im Humus zersetzt. Während Haraways Protagonistin gemäß einem radikalen Denken der Verwandlung Schmetterlingsfühler wachsen, hat der „Kompost“ von Blockadia*Tiefsee wenig mit Science-Fiction, sondern mit der konkreten Weiterentwicklung der Infrastruktur des NIKA.hauses zu tun.

So kann der Erd-Tisch auch als Verweis auf die Hochbeete verstanden werden, die das Kollektiv auf der Dachterrasse errichten wird. Denn die Arbeit von Blockadia*Tiefsee umfasst nicht nur die Ausstellung im Erdgeschoss, sondern auch ein Workshop- und Vortragsprogramm sowie die Gestaltung eines Dach-Gartens, der von der Hausgemeinschaft genutzt werden wird. Permakultur, regeneratives Gärtnern, Biodiversität, Insektenbehausungen, Kompostieranlage und Wasserauffangsystem; all das soll sich auf dem Dach wiederfinden. Auf 10 Jahre ist der Garten erst einmal angelegt. Die Bewohner*innen sind in den Prozess integriert, der im Austausch mit Bauplanerinnen, Technikerinnen, Brandschutz und Statik stattfindet.

Die Ausstellung im Erdgeschoss fungiert damit als Startschuss für eine nachhaltige Vitalisierung, eine ökologische Erschließung von städtischem Raum. Demnach ist das Projekt von Blockadia*Tiefsee und Synnika auch Arbeit an einem besseren Zusammenleben, an einer produktiveren Verbindung von Mensch, Flora, Fauna und Architektur.

Dort oben auf der Terrasse stehend, umgeben von den riesenhaften Bürotürmen der Frankfurter Skyline, muss ich unweigerlich an den kleinen Fisch denken: Kampf gegen Windmühlen oder widerständige Utopie? Auf diesem Dach wagt man es doch, zu sinnieren, was von hier aus noch alles möglich wäre.

[1] Haraway, Donna: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Frankfurt: Campus Verlag, 2018

'soil strings - Commoning and Compost', 2021, exhibition view, SYNNIKA, Frankfurt. Courtesy: the artists; photograph: Wolfgang Günzel

Blockadia*Tiefsee – Soil Strings – Commoning und Kompost
18. Februar – 16. Mai 2021

SYNNIKA
Niddastraße 57
60329 Frankfurt am Main