Aufgrund der aktuellen temporären Schließung des Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, haben wir Autor*innen, Kurator*innen und Künstler*innen aus dem Rhein-Main-Gebiet gefragt, über ein Werk aus der Sammlung des MMKs zu schreiben.
Due to the current temporary closure of the Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, we have asked authors, curators and artists from the Rhine-Main area to write about a work from the MMK collection.
Ed Atkins, Hisser, 2017
Dieser Mann macht einiges durch. Er liegt im Bett, wirkt dabei körperlich und psychisch angeschlagen. Dann masturbiert er in der Ecke. Schnitt. Das Zimmer wird von Erdstößen erschüttert. In einer anderen Einstellung fällt der Mann samt Bett in ein dunkles Nichts, als der Boden durchbricht. Dann wandelt er nackt durch eine nicht näher definierte, weiße Umgebung. Der anonyme Leidende ist eine vollständig am Computer generierte Animation. Er ist Protagonist in den Videoinstallationen von Ed Atkins, die 2017 im MMK zu sehen waren.
Die Irritation des Betrachters scheint ein wichtiges Anliegen für den britischen Künstler zu sein, der in den vergangenen Jahren eine rasante internationale Karriere hingelegt hat. Hisser (2017), die eingangs erwähnte Videoarbeit, verteilte sich auf mehrere Räume der ersten Ebene des Museums. Die knapp 20-minütige, aus kurzen Szenen aufgebaute Computeranimation war synchron auf fünf verschiedenen Projektionswänden zu sehen.
Man kann dem schonungslos präzise modellierten Leidenden also nicht entkommen. Atkins spielte geschickt mit den räumlichen Gegebenheiten des MMK. Die massiven Projektionswände waren als Objekte sehr präsent. In einem Raum ergab sich eine Reihung von drei Wänden und folglich auch drei Projektionen. Im größten Raum der ersten Ebene war die Projektionswand hingegen irritierend klein. Atkins‘ Videoinstallation Hisser umweht eine Atmosphäre von Absurdität.
– Eugen El
Anna und Bernhard Blume, Vasen-Extasen, 1987
Daheim verbietet dir niemand seltsame Marotten. Türen sind von innen verriegelt. Der Außenwelt ist nicht ersichtlich was hier passiert. Was du anstellst bleibt geheim und geht in Ordnung.
„Es ist die Metaphorik der Gegenstände, die die Künstler beschäftigt, denn in den Gegenständen steckt die Konvention. Sie befragen die Dinge des täglichen Lebens als Symptom der Zeit – der Zeit, in der sie aufgewachsen sind und der Zeit, in der wir alle leben. In der Performance-Tradition, der beide entstammen, gehört zu dieser Hinterfragung auch die Lust, alles in Bewegung zu setzen oder sogar „alles mal kaputtzuschlagen“, wie Bernhard Blume es beschreibt. Allerdings sind ihre Arbeiten nicht destruktiv: „Es war und ist immer nur der Wunsch, Ordnungen zu relativieren. Die Blumes zeigen das auf ihre unverwechselbar ironisch-sarkastische Art.“ (Deutsche Börse Photography Collection)
– Daniel Stubenvoll
Bethan Huws, Word Vitrine (A sculpture has several vantage points, a painting has one), 2001
Der Ausgangspunkt von Bethan Huws Arbeiten ist oft die Linguistik und Semiotik. Die walisische Konzeptkünstlerin interessiert sich für Sprache als kommunikatives System und die ihr immanenten strukturalistischen Konstruktionen. Sprache und Zeichensystem begreift sie als inkorporierte Bedingungen der Kunst, die notwendig für ihre Interpretation sind.
Word Vitrine (A sculpture has several vantage points, a painting has one) (2001) gehört zu einer Werkgruppe von Wort-Vitrinen, an denen Huws seit 1999 arbeitet und mit denen sie das Verhältnis zwischen Worten und deren Bedeutungen befragt. Mit weißen Plastiklettern ist auf schwarzem Hintergrund der Text „A sculpture has several vantage points, a painting has one“ (Eine Skulptur hat etliche Perspektiven, ein Gemälde eine hat eine) zu lesen. Eingespannt in einen handelsüblichen grauen Aluminiumkasten, nimmt Huws Bezug auf Informationskästen wie sie in Ämtern, Bürofluren oder Restaurants zu finden sind. Während sie an diesen Orten über Öffnungszeiten oder die aktuelle Speisekarte informieren und Orientierung versprechen, vermitteln Huws‘ Arbeiten etwas Abstrakteres: das Verhältnis von Signifikat, Signifikant und Referent.
Die Frage, weshalb wir die Vitrine als Kunstwerk wahrnehmen, kann als Pendant zu der Frage gelesen werden, weshalb wir bestimmte Objekte mit zugewiesenen Wörtern verknüpfen. Der Satz in Huws‘ Vitrine handelt von den unterschiedlichen Perspektiven auf Kunst: während eine Skulptur von mehreren Punkten betrachtet werden kann, hat das Gemälde nur eine Perspektive. Ohne dass ein visuelles Beispiel für diese Aussage gezeigt wird, erscheint der Inhalt des Textes sofort schlüssig, da wir wissen, dass Skulpturen dreidimensional und dementsprechend mehransichtig sind und Gemälde zweidimensional. Wie aber lässt sich das Werk von Huws in diese Medienkategorien einfügen? Huws verhandelt mit dieser Arbeit die Ausdrucksformen von Kunst, aber auch die Schwierigkeit von zu eng gefassten Medienbegriffen. Sie nutzt die Funktionalität der Bürokratie, um ein Medium zu entwickeln, das visuell so zurückgenommen ist, dass nur noch die sprachliche Ebene bleibt. Sprachwissenschaftler wie Ferdinand de Saussure kommen einem in den Sinn, aber auch Vertreter des Dekonstruktivismus wie der Philosoph Jacques Derrida. In Zeiten in denen die Kommunikation miteinander zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist es gerade der Text als visuelle Form mit denen Aussagen produziert werden, den es stets zu befragen gilt.
– Louisa Behr
Mario Pfeifers, A Formal Film In Nine Episodes, Prologue & Epilogue, 2010
Mario Pfeifers A Formal Film In Nine Episodes, Prologue & Epilogue (2010) anzusehen, ist ein wenig wie aus dem Fenster zu schauen. Die Kameraeinstellungen wechseln selten, zeigen alltägliche Situationen aus der Megacity Mumbai. Und doch verändert sich schleichend stetig die Perspektive, aus der wir die Ausschnitte des Lebens anderer und uns selbst als deren unsichtbare Beobachter*innen erfahren. Über den Verlauf des 35mm-Films hinweg findet man sich in verschiedene Modi des Zuschauens versetzt, gleitet man von einer Beobachterrolle in die nächste.
Ein Mann kommt vom Friseur, wir folgen ihm durch die orange-grün-braun gefleckte Landschaft, in eine Eisblock-Fabrik und zu einer Familie, die er im persönlichen Gespräch doch fast schon wie ein Reporter für ein Fernsehpublikum zu ihrer Arbeitssituation zu befragen scheint. Die Kamera bleibt eher auf Distanz, und was genau gesprochen wird, wird in den Untertiteln vage, grob und indirekt zusammengefasst. Eine junge Frau mit Henna auf der Hand beim Augenarzt, sie äußert den Wunsch nach perfekter Sehkraft. Nicht sofort bemerkt man, dass die zwei in fast allen Szenen, im Zentrum oder am Rand, abwechselnd im Bild sind. Schließlich besuchen beide, die sich eigenen Kommentaren im Gespräch nach erst seit Kurzem kennen, gemeinsam eine Tempelstätte. Man ist sich nicht sicher, ob sie ein Paar sind, doch umkreisen sie einander halb vertraut. Sie sprechen über Gurken und Familie.
Und plötzlich kippt die Betrachtungsweise erneut, vom zerstreuten Beobachten, wie man aus der Ferne die Bewegungen und Gesprächsfetzen fremder Menschen auf der Straße verfolgt, hin zu, man möchte fast sagen, der Situation eines Kinobesuchers. Ganz kurz fühlt man sich irgendwie zu nah an den beiden, die sich Früchte und Blumen zustecken, und alles wirkt ein wenig zu sehr Close-up-Slow-Mo-Bollywood als dass man sich nicht als Zielgruppe für ein bestimmtes Genre des Unterhaltungsfilms adressiert fühlen könnte. Das beiläufige Verfolgen scheinbar authentisch dokumentierter Alltagsbegebenheiten – ein Zug rattert vorbei, Hunde bellen, ein Junge fischt – wendet sich plötzlich in Zeugenschaft für eine echt und gespielt inszenierte Liebeserklärung.Wenig später, kurz bevor die visuell-formale Nähe unerträglich wird, sitzt man, der Perspektive nach, auf dem Rücksitz einem Taxifahrer im Nacken. Laute Musik, volle Straßen, mitten drin in Ego-Perspektive, ohne ihr doch Herr zu sein: Am Steuer sitzt ein anderer.
Alle Szenen stellte Pfeifer nach dem Vorbild des Tatsächlichen mit Laiendarsteller*innen – die Kamera erhielt dabei jeweils nur einen Versuch. Als Narration scheint die Reihung von Episoden bloß im Rückblick. Pfeifer macht die Art, wie wir zuschauen und beobachten, auf verschiedene Weisen wahrnehmbar. Als einen Blick, der medial geschult ist und der permanent Welten konstruiert – auch und besonders die kulturell fremden, denen er begegnet, die er einordnet, einpasst in bekannte Bilder, und von denen er dennoch irritierbar bleibt. Jedes Mal, wenn man sich die Perspektive eines anderen annehmend wähnt, driftet die Kamera plötzlich ab, schaut scheinbar ziellos um sich, manchmal in den Himmel. Was nah ist und was fern, verwechselt sich ständig. Perfekte Sehkraft wird ersetzt durch Gleitsicht, die sich Feststellungen entzieht und fragile Relationen schafft.
– Ellen Wagner
Bunny Rogers, Creepy Crawlers (Giant Squid) & Mount Olympia, 2019
Körperlichkeit scheint im Zeitalter digitaler Kommunikation gemeinhin zu einer ephemeren Eigenschaft des Menschseins verkommen zu sein. Unser alltägliches Tun findet größtenteils in und durch technologisierte Medien statt, über welche wir kommunizieren und agieren erlernt haben. Wir funktionieren auch ohne physisch anwesend zu sein und unsere globalisierte Welt setzt eine Fragmentierung unserer körperlichen Existenz voraus. In einer Zeit, in der physische Konfrontationen aufgrund der Coronakrise nun zwangsweise auf ein Minimum limitiert wurden, drängt sich die Frage nach unserem physisches In-der-Welt-Seins wieder in einer neuen, bisher ungeahnten Weise auf. Was passiert mit uns, wenn unsere Körper isoliert sind? Und birgt diese Isolation vielleicht Potential für eine Neubewertung unserer Leiblichkeit? Denn orientiert man sich an Maurice Merleau-Ponty ist unser Leib nicht einfach ein ausgedehntes Ding, vielmehr wird seine Hülle von einem Geist bewohnt. Es ist mein Körper, in dem ich wohne und dessen Perspektive ich, zumindest bis zum Tod, nicht verlassen werde können. Erinnernd denke ich heute an meine erste Begegnung mit Bunny Rogers' Werk im MMK Zollamt im Frühjahr 2019 und an das, was die, oder zumindest meine eigene, persönliche Essenz des Kunstbetrachtens bestimmt. Körperlichkeit.
Beim Betreten der Ausstellung 'Pectus Excavatum’ strömte ein ungewöhnlicher Duft durch die Mauern des Zollamtgebäudes – schwer zu identifizieren, modrig und chemisch zugleich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diesen Geruch nicht kenne und dennoch erweckt er in mir Erinnerungen. Waldboden, Vergorenes, süßlicher Verfall. Fast beißend berührt er meine Nasenwände und verteilt sich mit jedem Atemzug tiefer in meinen Organismus. Auf meine Sinne vertrauend, treten ich weiter in das Gebäude ein und steige die Treppen nach oben.
Dort empfängt mich eine große, grünlich-schillernde Masse, Creepy Crawlers (Giant Squid) (2019), die ich bald als kalmar-artiges Wesen identifiziere. In seinen klaren, leuchtenden Konturen breitet es sich bis ans hintere Ende des Ausstellungsraumes aus. Wende ich meinen Blick von diesem Ungetüm ab, werde ich von der Museumsaufsicht dazu ermahnt, mich ihm wieder zuzuwenden. Ein komisches Gefühl entsteht, als ob man es mit etwas Lebendigen zu tun hätte, dem man den Rücken nicht kehren darf. Auch in die Pfützen, die sich am Rande des Objektes befinden, soll nicht getreten werden. Wo befinde ich mich hier eigentlich?
Hinter dem leuchtenden Tintenfisch strahlt ein perfekt geformter Eisberg, Mount Olympia (2019), dessen Gewalt malerisch wirkt. Beleuchtet wird er vonunterschiedlichen Lampen, die auf ihn ein mehrfärbiges Licht werfen. Blau, rot, grün, lila. Die Lichtkegel wurden so gesetzt, dass der eisige Hügel aus meiner Distanz wie ein zweidimensionales, übergroßes Gemälde wirkt. Nähert man sich dem Objekt, spürt man plötzlich die eisige Kälte, die es ausstrahlt. Langsam beginnt die Haut an den Beinen und an den Händen zu frösteln. Die Kälte hat etwas Tiefes, das aus dem Volumen des Berges strömt. Mount Olympia darf berührt werden und Fingerabdrücke suggerieren mir, dass er schon vor mir ertastet wurde. Ich berühre das Eis und wundere mich jedoch darüber, dass meine Hände keine Abdrücke hinterlassen. Immer wieder lege ich meine Finger auf die Oberfläche, doch nichts passiert. Die bereits vorhandenen tiefen Handabdrücke sind, anders als meine, deutlich erkennbar. Ich schließe daraus, dass sie über eine sehr lange Dauer auf das Eis gedrückt worden sein müssen, um es verformt zu haben. Und plötzlich erinnere ich mich an meine gefrorenen Hände im Winter, wenn ich als Kind ohne Handschuhe Schneekugeln formte. Sie brannten und wurden durch die Durchblutung rot und ich fühlte mich am Leben.
– Sonja Borstner
Tino Sehgal, This is so Contemporary, 2005
To collect a work by Tino Sehgal means to collect an agreement. When a collector or a museum purchases a work by Sehgal, they own the right to exhibit it. Unlike any other art work in a collection, there is no physical proof that the respective museum truly owns it. There may be an entry on their website but I’m not even sure if a registrar number can be found. Sehgal refuses the documentation of his works in any possible way, and this is probably one of the reasons why I’m so fascinated by them. Since Sehgal’s works don’t leave any visible traces, writing about them is one of the few things one can do to pass the experience on.
Sehgal creates constructed situations. In This is so contemporary (2005), museum staff members stand in the exhibition space and welcome visitors by dancing and singing ‘oh, this is so contemporary, contemporary, contemporary’. Unlike performance art, Sehgal’s situations don’t take place at a fixed time. By being constantly ‘on view’ during the opening hours of the museum, they, in fact, have more in common with material art works than with scheduled performances. While most performance art relies on a larger group of people watching passively, Sehgal’s situations often require a one-on-one, you can’t escape from.
After repeatedly singing and dancing for some time, the interpreters end the piece by revealing its creator and giving us the information, one would usually find on an exhibition label: ‘Tino Sehgal, This is so contemporary, 2005, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main’. And then the ephemeral situation is over and the only proof that it actually took place is our memory, but the implied tautology of its title stays. Sehgal claims that the situation is contemporary, but with this statement he rather exposes the structures of art museums, where everything exhibited there is considered contemporary due to the authority of the institution. Sehgal thus reveals how value is produced.
Nothing that I wrote here is news to anyone who is familiar with Sehgal’s work but perhaps reading about it can remind us that events don’t need to be documented in order for them to have happened. 15 years after Sehgal originally produced This is so contemporary for the German Pavilion of the Venice Biennale, it couldn’t be more timely to think about the conditions of contemporary art.
– Carina Bukuts
Dayanita Singh (mit Nony Singh), Museum of Little Ladies, 1961–heute
Bekanntheit erlangte die Fotojournalistin und Künstlerin Dayanita Singh durch ihre sorgfältig editierten Künstlerbücher, welche sie als „tragbare Museen“ versteht. In einer Serie von „mobilen Museen“ transformiert sie die Künstlerbücher in eine variierte Form, um diese im musealen Raum zu präsentieren.
Museum of Little Ladies (1961–heute) ist eines dieser mobilen Museen. Dabei handelt es sich um eine hölzerne architektonische Konstruktion die auf den ersten Blick an einen Schrank erinnert. An den Außenwänden sind Schwarzweißfotografien angebracht. Das Gebilde lässt sich öffnen und schließen und kann somit mit den anderen mobilen Museen in Verbindung treten und sich den Räumen anpassen. Die Fotografien bilden Mädchen und Frauen in verschiedenen Lebensabschnitten ab. Dabei handelt es sich um Aufnahmen der Künstlerin sowie Fotografien ihrer Mutter Nony Singh, welche Dayanita und ihre Geschwister im Verlauf ihres Lebens abgebildet hat.
Singhs Interesse für den Prozess des Archivierens manifestiert sich nicht nur als Bildgegenstand in einigen ihrer Fotografien. Ihre mobilen Museen werden selbst zu einer Art von wandernden Archiven. Die nach Themen sortierten Bilder weisen Parallelen auf zu dem Sammeln, Aufbewahren, Kategorisieren und Zuordnen von Archivmaterialien. Bildmotive des alltäglichen Lebens, in diesem Fall von Mädchen und Frauen in ihrem Heimatland Indien, bieten Einblicke in Gesellschaftsbilder und Traditionen. Singh ordnet die Fotografien nicht chronologisch an sondern thematisch, somit entstehen verschiedenste Narrativen, welche sich mit jeder Ausstellung und jedem Besuch verändern.
Dieser fluide Charakter lässt die Visualisierung von komplexen sozialen und ökonomischen Zusammenhängen zu. Mit dieser Arbeit trägt Singh nicht nur zu der Sichtbarmachung solcher Zusammenhänge bei, sondern bietet neue Chancen mit dem Umgang von Fotografie im musealen Kontext. Hier nimmt die Fotografie eine nahezu skulpturale Form ein. Die Abwesenheit der Betitelung und Datierung der Fotografien laden Besucher*innen dazu ein eigene Narrativen und Zusammenhänge herzustellen, indem sie ihren eigenen Weg durch das Labyrinth der kleinen Museen gehen, ähnlich wie das Durchblättern in einem Künstlerbuch.
– Radia Soukni
John Skoog, Reduit (Redoubt), 2014
During the Cold War, the Swedish government sent the brochure Om kriget kommer ("When the war comes") to its population as a preventive measure to warn of a possible Soviet invasion. Driven by exuberant fear, Karl-Göran Persson (1894-1975) took action: he converted his private house into a defensive bunker (reduit). It was to protect the royal family, the villagers and himself from the possible danger of invasion. For his action he collected 'leftovers'– scrap metal from the neighbouring villages– and built a house to his paranoia. The political dystopia culminates in an individual dystopia and thus connects the fate of a single man with the collective, social context. The Reduit (Redoubt) advanced to a utopian architecture.
John Skoog documents the fate of this agricultural worker in his video Reduit (Redoubt) (2014). A fate that was to end in isolation from the world. In our contemporary situation of a worldwide pandemic caused by COVID-19, Skoog's work resembles an uncanny dream that has caught up with us in reality. Although the fear from which the isolation springs is different, we find ourselves within the walls of his work. However, unlike Persson, we have not prepared ourselves for this. Out of our everyday life we stumbled into the isolation of our home, which now serves as a defensive bunker. A bunker to defend and protect us from the virus. Our home has become a place that now replaces the soil of society. It is strange, because Persson's bunker does not look like our place. Nothing has changed at home. We cannot see the change. Is this the modern version of danger? The crisis we are currently facing is invisible; the crisis is within us. The virus breaks into our bodies and then we become the danger itself. In Persson's bunker, he wanted to protect people from the outside world, the outside danger. Today, we must cut ourselves off from all unnecessary social contacts. We go through this together but separated in space. Skoog uses the medium of video in the sense of a deceleration that not only refuses but counteracts the speed of the omnipresent flood of media images. Maybe we should currently adapt his slowness to look at things and at some point, during the day, slow down our view at the world. Just to be able to process the current uncertainty and the fast changing narrative.
In the video, four sequences, in which the camera films calmly, convey a continuum to the viewer. The noises during the filming, the creaking of the film car, the quiet, hardly audible stage directions lead to a bizarre sound carpet, which is accentuated by fragmentary sentences spoken off camera. Old newspaper articles from archives are read out by four actors. They tell of memories, encounters and feelings. The past was linked with the present. And now it happens again. The past is linked to the present. We have to remember memories, encounters and feelings to keep up the life.
In June 2018, the Swedish Civil Defence sent the brochure "When tomorrow is a crisis or war comes" to 4.7 million households.
In March 2020, the world is dominated by a virus.
– Theresa Weise
Andreas Slominski, Fanganlage für Wildschweine, 1999
Ich würde nicht sagen, dass ich diese Arbeit besonders “lieb habe”, ein “Lieblingswerk” ist sie daher sicher nicht. Aber sowohl ihre physische als auch psychische Präsenz hat sich bei mir in Zusammenhang mit diesem Museumsbau unwillkürlich eingebrannt. Ein Klischee und ein Allgemeinplatz vorweg: Dieses Museum in Tortenform ist Köder und Käfig zugleich. Der klaustrophobische Eingangsbereich, das Gewirr an Gängen, Schluchten, Treppenabsätzen, Räumchen und Fluchten bricht mit der linearen Erzählung von Kunstgeschichte und sabotiert die eigene Orientierung. Gut so. Man verläuft sich, findet sich, stolpert und verliert sich wieder. Die reichhaltige Sammlung dient als Mäusespeck. Und man kann diesem Erguss maskuliner Postmoderne sicherlich viel vorwerfen, aber zumindest fordert er ein, was man andernorts immer häufiger vermisst: Reibung. Kein Kunstwerk kann hier im architektonischen Schwebezustand vor sich hinvegetieren. Es gibt immer mindestens eine Marmorkante und eine halbrund verspielte Deckenöffnung, an der man anstößt, aufstößt oder abstößt. Auf die Spitze getrieben wird dies in Raum 1.08: Dieser kalte, fensterlose, brutale Dreiecksaal lässt einen beim Eintreten erschaudern. Wenig funktioniert hier. Die Architektur ist derart dominant und lieblos, dass scheinbar nur eine ebenfalls gewalttätige und boshafte Kunst hier überleben kann. Das hat bei Cady Nolands's Tower of Terror (1993) wunderbar funktioniert und eben auch bei Slominskis riesenhafter Fanganlage für Wildschweine (1999), angekauft im Jahre 2000. Ein bestelltes Werk, dem Grundriss auf den Leib geschnitten, füllt es den Raum bis zu den Schenkeln der Spitze fast vollständig aus. Architektur und Kunst fallen hier ineinander, ganz ähnlich der tragikomisch zugemauerten “Lichtschein”-Arbeit des armen Beuys, dessen Coyoten-Schreie im ersten Geschoß allmählich zu verhallen scheinen. Ebenfalls lebendig begraben scheint mir die kleinteilige Kritik an dieser Installation. Ich sehe hier weder Duchamp noch Carl Andre, sondern lediglich das wahrhaft wahnwitzige Potential dieser Werkserie in exemplarischer Ausführung.
Kurzum, wenn ich im MMK schnell und spektakulär sterben wollte, würde ich wohl von der inneren Brücke im dritten Geschoss springen. Bei einem steten und langsamen Tod hingegen wäre dieser Raum ideal. Inmitten dieser Arbeit, die auch deswegen einen morbiden Charme hat, weil jegliche Niedlichkeit - man denke an Slominskis putzige Iltisfalle (1998), Hamsterfalle (1998), Schildkrötenfalle (1997) - hier Platz macht für ein Tier, das uns durchaus zu töten im Stande ist. Man steht also davor und imaginiert den herben Geruch des Wildgeheges, hört das Schnalzen des schweren Eisengitters, betastet die rauhen Holzbohlen und die dicken, ölfreien Schrauben. Hier handelt es sich, hört hört, unzweideutig um eine Falle für uns, die verblüfften Besucher! Eine Falle in der Falle, wenn man so will. Die letzte Ruhe im temperierten und trockenen Museum für Moderne Kunst an der Braubachstrasse, diesem sich visuell abschottenden Relikt der Bonner Republik, was so gar nicht mit den anliegenden Häuserzeilen in Kontakt treten möchte. Gebaut in einer Zeit, in der Alexander Gauland als CDU Stadtrat maßgeblich die Frankfurter Museumsmeile mitgestaltete und sich der berühmte Architekt des Gebäudes, seinen Grabstein-Marmor schonmal vorsorglich aus Indien einfliegen ließ. Ertragreiche Jahre auch für Fallensteller Slominski, der viele seiner Arbeiten hier in der Sammlung unterbringen konnte; der mir anvertraute, dass er seine Klasse in Hamburg wie eine Fußballmannschaft zusammen stellt; dessen Studenten bei der Weihnachtsfeier säuberlich geordnet, nach Semesteranzahl sortiert, am langen Tisch saßen, er selbst am Kopfende. Ein Mann der Hierarchie also, bei dem klar zu sein scheint, wer Köder, wer Beute, wer Räuber und wer Voyeur ist. Das gefällt mir. Es stimuliert meinen eigenen perfiden Hang zur Ordnung und suggeriert, dass es doch noch objektive Wahrheiten gibt. Das ist schon viel wert, in Zeiten von Unsicherheit, Misstrauen und Quarantäne.
– Max Eulitz
James Turrell, Twilight Arch, 1991
A few years back I attended a seminar taking place at MMK. It was part of the curriculum for my studies in Art History, and it had a bold title: Installations. A well-renowned art theorist who instructed the course (and it is a pity he does not teach in Frankfurt anymore) wanted us to prepare presentations about MMK exhibits, so we would learn how to describe contemporary art – most likely not fitting into any of the well-known traditional genres we had learned about in our studies before. Without hesitation it was clear to me, what I wanted to talk, even write about. Although at that point, I had no idea what I got myself into. It was a work of such power, such aura one would say, it made an impression on me every single time I entered it. Even though it was quite uncanny, every single time. I decided to do my presentation on James Turrell's Twilight Arch (1991).
A piece of art, that even if I would want to, I could not break down in just one sentence. A light—room—atmospheric—illusionistic—mathematical—hybrid—dramatic—though modest installation. Maybe, but what would that even say? Is Twilight Arch even an installation? I realized I did not have the slightest idea on how to approach this work in a plausible way. So instead of trying to write down my thoughts, I started with a field study. Quite unconventional one might think, for an art historian in the making, to walk up to people in a museum, asking them about how they felt while experiencing Turrell’s art, or what they first thought they would see when they entered the room. I nodded and checked boxes on a piece of paper like if I was a market researcher trying to find out which bottle of juice tasted best. But I had to do it. I had to do like that, so I would know that it was not just me who was getting so easily immersed into and fascinated by Twilight Arch. I wanted to reassure myself that others experience the same mighty incomprehensibility, I wanted certainty that this feeling was universal.
Four times I went back to MMK asking around, preparing, taking notes, before the day had come, I had to deliver my thoughts on the art work. And there we were. A group of about twelve people, my lecturer, me, and a small paper sign in front of Twilight Arch’s entrance, that simply read: ‘closed due to maintenance painting’. My professor was furious, and I was super frustrated. I knew I could not do the presentation without the artwork, it just would not come across. I asked the staff anyway if it would be possible to walk inside, even though I knew it was pointless. So, they let us in. Into an empty white room with one lamp on each side of the cornering walls, and a horizontal, rectangular opening on the centre wall. This was not Twilight Arch. It had no aspect of its sublime. This was just an empty room. So, what is Twilight Arch? I am willing to share with you some notes I wrote down (years ago!), hoping they would maybe transfer at least the notion of Turrell’s work:
Classifying works such as Twilight Arch is an abstract challenge. In articles, exhibition sheets and catalogues one can find terms, such as ‘environments’, ‘light spaces’, ‘illusion spaces’, ‘perception spaces’, ‘experience art’ or simply installed rooms. A classification of the same seems impossible, because Turrell’s spaces are so ambiguous and complex. The light – staged as a work of art – captivates viewers through its formlessness. Light, a motion itself, is turned into a medium, and at the same time eludes hypostasis. In his expansive installations Turrell shows both: the self-reflection of the medium of art – the frame or canvas – as well as the total delimitation of the artwork. His spatial structures force viewers into participation by walking through, experiencing, and lastly questioning these spaces. A revelation only occurs in some of James Turrell’s works, nevertheless, the works are completely geared towards reception. I would even claim that the real artistic act of Twilight Arch is the change in the viewer’s perception; the process of realizing that an imagined surface is an actual space. Viewers can only make sure what they see, when they come close enough to the light box or even look inside. The Space Division Constructions (the term Turrell himself uses to describe works such as Twilight Arch) provoke to cross the aesthetic border. In order to experience the works fully, a look is just not enough. Turrell animates to reach out to the spatiality of light to be certain. This act of violating the presumed limit of a work is an essential part of Turrell’s artistic practice. Therefore, the process of experiencing Turrell’s works might begin with just looking, but turns into an inspection through moving in space, and ends in the assurance by touching – in the case of the Space Division Constructions: reaching out, into the void.
Okay, so the story got quite long, so now here’s the thing: there are artworks – and I would even claim they do not have to be as ‘extra’ as Twilight Arch – you cannot grasp with just a verbal or written description. Even in times of dynamic digitalization and post-internet culture, there is not one digital image that can transport the materiality, nor the dimensions – spatial or substantial – of an original. This is also, why in times like these artistic and cultural professionals are taking a huge loss. Of course, there is Instagram, websites, and databases showcasing artworks all over the world. This is, of course, amazing but they cannot replace the moment of walking into a room installation that absolutely blows your mind. And therefore, I would really like to give you some kind advice. Stay at home, just a few weeks until the current crisis is manageable, so we all have the chance to experience the fascination, and the joy for art in the physical world again soon.