What We Talk About When We Talk About Politics
House of Commons – Part 1
Portikus, Frankfurt
20–12–2016
by Carina Bukuts
Commissioned photography by Neven Allgeier
Dezember 2016. Alle großen Zeitungen ziehen ihr Resumé über das vergangene Jahr und beschreiben es als ein Gewitter an Ereignissen, die das Fundament unserer politischen Ordnung erschütterte. Diese Jahresrückblicke veröffentlichen Zeitungen wie die Süddeutsche schon seit Jahren – ähnlich wie die Kommentare, die Politiker oder Korrespondenten der Berichterstattung der Tagesschau beifügen, sind diese Formate nichts Neues für uns. Inzwischen wollen wir uns aber nicht nur auf die Beiträge anderer Autoren beziehen. Das genügt nicht. Wir wollen unser eigenes Statement abgeben und damit zeigen, dass unsere persönliche Stimme von gleicher Relevanz ist wie die eines Politikers. Unser Stream besteht inzwischen nicht mehr (nur) aus Katzenvideos und Urlaubsfotos: Profilbilder werden Solidaritätsträger, kurze und knackige Posts werden zu langen Texten über die Lage der Welt und das Teilen von Wolfgang Tillmans Bildern wird ein politisches Statement. [1]
Januar 2017. Neues Jahr, neues Glück? Ivan Rogers, der EU-Botschafter Großbritanniens, trat vor einer Woche zurück. Damit verlieren die Briten einen ihrer wichtigsten Männer, der die Verhandlungen über die Austrittsbedingungen mit EU hätte führen sollen – ohne dass es zu einem Hard Brexit kommt. Genau wie auch der ehemalige Premierminister David Cameron, legt erneut jemand sein Amt nieder, weil er keinen anderen Ausweg sieht. Rogers formulierte an seine Mitarbeiter noch eine Abschiedsbotschaft: Sie sollen sich nicht davor scheuen „unbegründete Argumente und konfuses Denken“ zu hinterfragen und „denjenigen, die an der Macht sind, die Wahrheit zu sagen.“ Damit spielt er auf die unfruchtbaren Pläne von Theresa May und ihrer Regierung an, wie genau der EU-Austritt von statten gehen soll.[2] Die Premierministerin erntet derweil viel Kritik, vor allem aber, weil sie das britische Parlament von den EU-Verhandlungen ausschließen möchte. Ein Gerichtsbeschluss des Supreme Courts beschloss im Herbst, dass das Parlament sehr wohl an diesem Prozess mitwirken muss. Der Haken: Die genauen Rahmen dieser Zusammenarbeit wurden nicht geklärt, sodass das House of Commons und das House of Lords zwar ihre Vorschläge und Einwände unterbreiten dürfen, doch ob diese von der Regierung gehört werden bleibt fraglich.
Die Ausstellung House of Commons, die Anfang Dezember im Portikus eröffnete, wählte somit als Namensgeber gerade eines der politischen Organe Großbritanniens, welches seiner Aufgaben und Funktionen derzeit beraubt wird – jedoch nicht der Portikus.
Dieser wird zum Ort des Dialogs, der Reflektion und des Disputs. Die Architektur der Ausstellung spiegelt die Art der Kommunikation des britischen Unterhauses wider, in der Mitglieder der Mehrheitspartei Poltikern der Opposition gegenübersitzen. Auf der linken Seite eine weiße Treppe, rechts eine graue. Während die graue fast mit dem Boden des Portikus verschmilzt, nehmen die weißen Stufen die Farbe des Innenraums ein. Die Kunstwerke, die auf diesen Stufen liegen und an den Wänden hängen verändern sich jede Woche. Teilweise werden sie gänzlich ausgetauscht, manchmal verändert sich lediglich die Dramaturgie der Platzierung. Diese kontinuierliche Modifikation von House of Commons verhält sich somit gleich zu den politischen Ereignissen, mit denen wir uns täglich konfrontiert sehen.
Ähnlich einer Wochenzeitung besteht die Ausstellung aus mehreren Elementen. Wie auch die Zeitung hat sie ein Gerüst, ein kuratorisches Prinzip, das ihr zugrunde liegt, doch die Inhalte verändern sich permanent. Die Skulptur We the people von Danh Vo, die von Beginn der Ausstellung präsent war, kann somit wie ein Thema gesehen werden, das politisch von höchster Dringlichkeit war. Ein Thema, welches die Zeitung abdrucken muss, das keinen Aufschub duldet. Wie auch Überschriften in den Zeitungen zuerst auf der Titelseite erscheinen, eine Woche später im Politik Dossier und irgendwann aus der Berichterstattung verschwinden zugunsten aktuellerer, relevanterer Artikel, verschwindet auch das kupferfarbene Fragment des Fußes der Freiheitsstatue aus diesem Ensemble. Ähnlich der stetigen Veränderung von Ereignissen, die ineinander greifen und aufgrund dieser Verflechtung auf eine gemeinsame Seite gedruckt werden, verhalten sich die gezeigten Arbeiten. Der Aluminiumring Untitled (Rolled up) von Jonathan Monk nimmt mal neben der Fotografie Passer en Angleterre, Accès terminal transmanche, Calais, Juillet 2007 von Bruno Serralongues Platz, und mal lehnt er neben dem Teppich Aquired Nationalities von Rossella Biscotti. In diesen Kompositionen lässt sich auch die Handschrift der beiden Kuratoren Vivien Trommer und Fabian Schöneich ablesen. Das Wort „kuratieren“ ist seit den vergangenen Jahren einem enormen Hype ausgesetzt worden, doch viele vergessen dabei den eigentlichen Wortursprung aus dem Latein: curare („Sorge tragen“). Anstatt es bei der Dramaturgie der ausgestellten Werke zu belassen, werden Schöneich und Trommer diesem Wortursprung mehr als gerecht, indem sie zu Werkbesprechungen, Performances und Künstlervorträgen einladen und damit den Rahmen für eine Diskussion schaffen wie es nur selten gelingt.
Der Vergleich mit einer Wochenzeitung erschließt sich ebenso in der Wirkung dieser Ausstellung. Wie auch in vielen weiteren Ländern praktizieren wir in Deutschland eine dreiteilige Gewaltenteilung bestehend aus Legislative, Judikative und Exekutive. Indem House of Commons der gleichen diskursiven Funktion wie der der Presse zukommt, ist sie ohnegleichen ein Beispiel für die vierte Gewalt.³ Eine Gewalt, die nicht Recht spricht, ausführt oder gibt, sondern dieses in Frage stellt.
Der Titel dieses Textes ist eine Anlehnung an die Kurzgeschichtensammlung What We Talk About When We Talk About Love von Raymond Carver, 1981

[1] Wolfgang Tillmans, EU Campaign , 2016
[2] Revoltieren jetzt die britischen EU-Beamten? von Sascha Zastiral, ZEIT Online, 5. Januar 2017
Die Fotos beinhalten Werke von:
Basel Abbas & Ruanne Abou-Rahme, Fikret Atey, Monika Baer, Rossella Biscotti, Keren Cytter, Claire Fontaine, Ferenc Gróf, Roni Horn, Jonathan Monk, Charlotte Posenenske, Bruno Serralongue, Danh Vo
House of Commons
3. Dezember 2016 – 29. Januar 2017
kuratiert von Fabian Schöneich und Vivien Trommer
opening hours
Dienstag - Sonntag: 11 - 18 Uhr
Mittwoch: 11 - 20 Uhr
Portikus
Alte Brücke 2 / Maininsel
60594 Frankfurt am Main