Die Spur. Der Beweis! Die Wahrheit?
Rabih Mroué – The Pixelated Revolution
Studiengalerie 1.357, Frankfurt
08–02–2018
by Yana Prinsloo

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Hört man den Namen Rabih Mroué, dann denkt man an das expandierende Phänomen der Lecture Performance. Was gerne vergessen wird: Eigentlich meint der Begriff Vorlesungen, die ihren Inszenierungscharakter kritisch reflektieren, und Performances, die wissenschaftliche Thesen (re-)produzieren. Ergo eine Form der Kunst und Rhetorik, die eine Verbindungslinie zwischen dem schöpferischen Prozess des Kunstschaffens und der analytisch-diskursiven Reflexion im Vorlesungssaal zieht. Lecture Performances können dadurch die Performativität der Wissensvermittlung sowie die (politische) Handlungsdimension des Vortragenden sichtbar machen. Sie sind ein Hybrid zwischen Kunst und Wissenschaft. Im Fall von Mroué sind sie Hybride zwischen politischer und ästhetischer Forschung.
Dabei gleichen seine Performance Lectures der Arbeit eines Detektives: Mroué sucht, findet, entdeckt vor und mit uns Scharfschützen des Syrienkriegs, IS-Terroristen in Deutschland oder libanesische Märtyrer im Internet und reflektiert anhand des Materials über die Darstellbarkeit des Todes oder die Rekonstruktion von toten Körpern durch mathematische Formeln. Entscheidend für seine Arbeiten ist die Verflechtung zwischen Fiktion und Dokumentarischem – zwischen dem prüfbaren Fakt und der fiktionalen Ergänzung. Verknüpft mit der Thematisierung aktueller Debatten und politischer Krisen in seiner Heimat, nimmt der libanesische Künstler und Theatermacher den Theaterraum als Denkraum pluraler Möglichkeiten ernst und (re-)präsentiert seinen Zuschauern alternative Geschehnisse.
Auch im dritten Teil seiner Lecture-Trilogie Pixelated Revolution zur Geschichte des Nahen Ostens und ihrer mediale Reproduktion in der visuellen Welt verhandelt er „authentische“ Videoaufnahmen, die durch Zivilisten und Regimekritiker in den Anfängen des syrischen Bürgerkriegs mit Handykameras aufgenommen wurden. Er zeigt damit die komplizierten Verstrickungen von politischem Aktivismus, die Fragilität des menschlichen Körpers und die Paradoxien der digitalen Technologien in der Realität des Krieges auf.
Die Performance beginnt mit dem schockierenden Satz: „The Syrian protesters are recording their own death“. Ausgehend von diesem Satz zeigt Mroué seinen ZuschauerInnen Handyvideos, die den Moment des tödlichen Schusses auf den Filmenden zeigen. Die Videos sind affizierend: Sie wechseln schnell die Perspektive, sind verwackelt und stark verpixelt. Obwohl einzelne Formen und Gegenstände nur schwer zu erkennen sind, ist das Zentrale – die Angst des anonymen Filmenden um sein Leben - unübersehbar.

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Auf seiner taktilen, akribischen Suche nach dem Mord, vergrößert er Bild für Bild, analysiert Pixel für Pixel. Sucht in der Unkenntlichkeit der Bilder nach dem letzten Bild der Kamera, dem wohl allerletzten Bild, welches ihre BesitzerIn durch die Linse gesehen haben könnte. In seiner ästhetischen (Er-)Forschung nutzt er verschiedene vermeintlich wissenschaftliche Theorien und filmische Techniken, um den Ablauf der Tötung bzw. des Tötungsversuches zu rekonstruieren und nachvollziehbar zu machen.
Die Arbeit verschreibt sich scheinbar der Suche nach der Wahrheit und reflektiert dabei gleichzeitig eine Vielzahl an Möglichkeiten: Der Filmende könnte gestorben sein und ein anderer könnte das Video hochgeladen haben; der Filmende könnte überlebt haben und selbst das Video hochgeladen haben; der Filmende könnte das Handy fallen gelassen haben etc. So kommt Mroué im Laufe seiner Reflexionen zu dem (hoffnungsvollen) Schluss, dass der Filmende nicht gestorben ist, da der Zuschauer ebenfalls unbeschadet das Video immer wieder ansehen kann. Er zieht damit eine Gleichstellung zwischen dem Betrachter und dem Filmenden, da beide die selbe Perspektive auf das Ereignis haben.
Mroué erfindet den Theaterraum als ein Ermittlungsbüro, wie die unabhängige Forschergruppe Forensic Architecture der Londoner Goldsmith-University, die in ihren digitalen und realen Re-enactments das Geschehen an realen Tatorten rekonstruiert. Das Team aus ArchitektInnen, JuristInnen und DokumentarfilmerInnen präsentierte auf der Documenta 2017 in Kassel ihre Gegen-Ermittlungen zum Mord des NSU an Halit Yozgat in Kassel im Jahre 2006. Sie gingen der Frage nach, ob Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, entgegen seiner Aussagen doch der Zeuge des Verbrechens gewesen war. In gleicher Weise versucht auch Mroué durch die ständige Wiederholung und die Zerstückelung des Videomaterials, das Geschehen zu rekonstruieren, um durch die Anreicherung des Materials mit filmischen Beispielen und Theorien eine Gegen-Möglichkeit zu entwickeln.
Warum ergänzt der Künstler seine „Gegen-These“ mit dem Zusatz „non-academic“? Hat seine persönliche Hoffnung, der Filmende möge überlebt haben, Priorität gegenüber dem Anreiz, anhand der Thematik die Ästhetik und Manipulierbarkeit von Beweisen zu reflektieren? Definitiv präsentiert er uns seine (Gegen-)Möglichkeit, bzw. eine Möglichkeit von vielen. Durch die Verknüpfung mit fiktiven Filmbeispielen präsentiert er seine künstlerische Forschung als eine Form der Wissenserweiterung.
In unserer Gegenwart der Pluralitäten und alternativen Fakten zeigt er uns an seinem schockierenden und schwierigen Thema, wie dem des syrischen Bürgerkriegs, die Performanz von Wahrheit(en) auf: Repräsentation und Produktion des Geschehens fallen in seiner Lecture Performance zusammen. Als ZuschauerInnen werden wir wieder sensibilisiert für eine Vielzahl von Perspektiven und Blickwinkel auf ein Geschehen, um dann selbst zu entscheiden welche wir nun einnehmen wollen.

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Rabih Mroué, The Pixelated Revolution, 2012, video still. Courtesy: the artist and Sfeir-Semler Gallery, Hamburg / Beirut

Rabih Mroué – The Pixelated Revolution
bis 9. Februar 2018
opening hours
Montag bis Donnerstag, 12 – 17 Uhr
Studiengalerie 1.357
Goethe-Universität Frankfurt
Grüneburgplatz 1
60322 Frankfurt