Sprache bringt uns miteinander in Berührung und formt unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit(en). Dabei kann sie sich durchlässig zeigen, Nähe herstellen oder Wissen vermitteln. Aber welche Sprache(n) und Ausdrucksformen dominieren unsere Annäherung an die Welt und was wird tatsächlich les-, sag- und hörbar? Sprache kann insofern gleichzeitig Distanz manifestieren. Durch ihr innewohnende Exklusions- und Beschränkungsmechanismen setzt sie Grenzen – und auch ihr selbst sind Grenzen gesetzt.
Beim Betreten des Vorplatzes der Villa Salves Hospes, in der sich der Kunstverein Braunschweig befindet, steht man einem technoiden Körper aus vier Aluminiumtraversen gegenüber. Mechanische Geräusche sowie einzelne Worte sind vernehmbar, die sich – je näher man kommt – zu einer Science-Fiction Erzählungen der Künstlerin Barbara Kapusta verbinden. The Fragiles (2023) ist eine Aufforderung seine Schritte zu verlangsamen und zuzuhören. Die Künstlerin bezieht sich in ihrer Arbeit auf die Geschichte des Hauses, über die der Saalplan ebenfalls näher Auskunft gibt: Zwischen 1805 und 1808 von Peter Joseph Krahe erbaut, hatte die Villa über die Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Funktionen. Zwischen 1929 und 1931 beherbergte sie ein Forschungsinstitut für Erziehungswissenschaften, wurde dann von 1932 bis 1940 vom städtischen Museum genutzt und von 1940 bis 1942 zum Sitz des unter den Nationalsozialisten gleichgeschalteten Deutschen Spracharchivs. Von 1942 bis 1944 nutzte der Kunstverein der Nationalsozialisten das Haus, bis es schließlich 1946 nach Neubegründung des Kunstvereins zum Ausstellungsort in seiner heutigen Form wurde. Ausgehend von dieser vielschichtigen historischen Bedeutung der Villa, wird hier von der Künstlerin eine potenzielle Zukunft imaginiert. Gegenwart und Zukunft fließen sprachlich in einer Erzählung parallel ineinander. Man blickt von außen auf den Kunstverein – während Kapusta die Auswirkung von Ideologien auf die Organisation von Gemeinschaft(en) und das Zusammenleben befragt. Später begegnen einem weiteren Arbeiten von Kapusta: Schriftzüge, die zwischen klar lesbaren Zeichen und Abstraktion changieren. Es scheint, als wollte sie sich gegen jegliche Normierung und Festlegung wenden.
Die Auseinandersetzung mit den sozio-politischen ebenso wie poetischen Effekten verbaler und nonverbaler Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch die von Benedikt Johannes Seerieder kuratierte Ausstellung „Words Don't Go There“ im Kunstverein Braunschweig. Neben Barbara Kapusta nehmen auch die Künstler:innen Pauline Boudry / Renate Lorenz, Nina Emge, Lamin Fofana, Ndayé Kouagou, Tarek Lakhrissi sowie Julia Phillips das Potenzial und die Grenzen von Sprache in ihren unterschiedlichen Formen, Texturen sowie Materialitäten in den Fokus. Wie können sprachliche Äußerungen durch andere Ausdrucksformen unterstrichen, umgekehrt oder gar ersetzt werden – und wo versagt Sprache?
Der erste Ausstellungssaal erinnert an einen verlassenen Probe- oder Konzertraum. Die Künstlerin Nina Emge hat zwei Kontrabass Saiten zwischen Boden und Decke aufgespannt. An eine der beiden Saiten ist ein Bogen gelehnt. Stehend sowie an Wände montiert, sind zudem Notenständer im Raum verteilt. Ihre Notenpulte, die sich in organisch anmutende Ausformungen aufzulösen scheinen, dienen als Display für kleine Keramikobjekte. Textseiten – auf deren Oberfläche anstelle von Notationen Zitate von Denker:innen, Musiker:innen und Poet:innen wie z.B. Bell Hooks oder DeForrest Brown, Jr.'s notiert wurden. Weitere dieser kleinen Texttafeln hat die Künstlerin auf dem Boden platziert. Die auf ihnen zu lesenden Worte scheinen aufgrund ihres räumlichen Arrangements in eine Konzertsituation versetzt. Zwischen den, auf den kleinen Keramikobjekten festgehaltenen, Referenzen entwickelt sich eine Polyphonie von Stimmen und Gedanken. Zwar weist die Arbeit in ihrem Aufbau Affinitäten zur klassischen Musiktradition auf, tatsächlich sind jedoch die musikalischen Klänge dieses – in erster Linie europäisch dominierten – Kanons abwesend. Es herrscht Stille und stattdessen entsteht somit eine Leerstelle, die es durch Imagination und Reflexionen zu füllen gilt. Wer wird hier gehört und wer ist verstummt? Nina Emge verbindet mit ihren Arbeiten überdies die beiden Geschosse des Kunstvereins. Im Obergeschoss begegnet einem erneut eine Kontrabass Saite – als wäre diese durch den Boden hindurch gespannt worden. Mit Mixtapes: feeling grief in the three of us, or: sometimes it just happens (2023) erfüllt die Künstlerin den Kunstverein mit dem Sound einer gemeinschaftlich mit Aio Frei, Li Tavor und Soraya Lutangu Bonaventure verfasste Kompositionen. Diese sind im Wechselspiel und nur zu festgelegten Zeiten zu vernehmen. Einmal mehr wird so die Flüchtigkeit und Zeitlichkeit von Sound betont.
Auch Ndayé Kouagou verknüpft mit seinen Arbeiten einzelne Räume und entwickelt seine künstlerischen Gedanken über beide Geschosse des Kunstvereins hinweg. Auf der Oberfläche von PVC-Scheiben, hinter denen in Kunstharz eingefasste bunt leuchtende Textilien montiert sind, formuliert der Künstler Fragen und Aphorismen. Sie adressieren die Themenfelder Identität, Autonomie und Zugehörigkeiten.
Die Tafeln tauchen an unterschiedlichen Orten innerhalb der Ausstellung auf und die Texte wiederholen sich in der Videoarbeit Will You Feel Comfortable in My Corner? (2021). Kouagou steht in dieser selbst vor der Kamera, der vorgetragene Monolog wird jedoch von einer Synchronstimme gesprochen. Um das Video anschauen, muss man eine vom Künstler mittig im Raum installierte Ecke aus zwei mit Textilien bespielten Metallrahmen betreten. Diese eröffnet eine direkte Kontaktzone zwischen Künstler und Betrachter:innen. Kouagou wendet sich hier mit Fragen an sein Gegenüber. Spielerisch bewegt er sich dabei durch ein sprachliches und visuelles Netz aus Widersprüchen und Zweideutigkeiten. Die von ihm konzipierte Ecke wird zu einem Ort, an dem der eigene Standpunkt sowie andere Perspektiven auf die Welt reflektiert werden können: „[…] Do you consider yourself open or closed - Is one better than the other? - Are we always looking for the best? - Are we always looking? - Are we always? […]“
Eingefasst in einen vergitterten Aluminiumkasten präsentiert der Künstler Tarek Lakhrissis ein von ihm verfasstes Gedicht in der Ausstellung. Die Sicht auf den dargebotenen Text wird jedoch je nach Blickwinkel durch die Position von Metallstäben versperrt und der Lesefluss unterbrochen. Um den Text in seiner Gesamtheit erfassen zu können, fordert das Objekt die Betrachter:innen heraus, sich körperlich zu ihm ins Verhältnis zu setzen. Möglichkeiten der Lesbarkeit und Zugänglichkeit werden hinterfragt – Gedanken, die der Künstler ebenso mit seinen Glasskulpturen aufgreift. Einige dieser filigranen, organisch wirkenden Körper erinnern an Türklopfer, andere wiederum an Zungen. Die Zunge – das Worte formende, sinnliche Organ – steht dem Klopfer – oftmals Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung und somit Symbol für soziale Beschränkungen – gegenüber.
Immer wieder erheben die Künstler:innen in der Ausstellung Taktilität und Gestik zum Gegenstand. Situationen entstehen, in denen Sprache bewusst abwesend ist. Hinter einer angelehnten Tür dringt elektronische Instrumentalmusik hervor. Öffnet man diese, findet man sich in Lamin Fofanas multisensorischen Installation Here Lies Universality (2022) im Spiegelsaal der Villa Salve Hospes wieder. Der abgedunkelte Raum ist erfüllt von Salbeigeruch und wird in regelmäßigen Intervallen in rotes oder grünen Licht getaucht .Man braucht einen Moment der Orientierung. Fofana greift bewusst auf die historische Funktion dieses Ortes zurück und kehrt diese um. Ausgehend von Autor:innen wie Fred Moten, Amiri Baraka oder Saidiya Hartman, die sich in ihren Werken mit Migration, Vertreibung und kolonialem Denkstrukturen beschäftigen, untersucht Fofana in seinen Werken häufig wie soziopolitische und wirtschaftliche Dynamiken der Ungleichheit bis heute wirken. Der Künstler selbst beschreibt seine künstlerische Praxis als einen Prozess, bei dem Text in Sound umgewandelt wird. [1] Spiegelsäle wurden häufig als Fest- oder Begegnungsort für die bürgerliche Oberschicht konzipiert. Die prunkvolle Innenarchitektur kann folglich als eine Kulisse für den Aufstieg des Kapitalismus gelesen werden – eng verknüpft mit der Geschichte von transatlantischem Handel, gewaltvollen Marginalisierungsprozessen und der Ausbeutung menschlichen Lebens. Auch Sprache wurde vor diesem Hintergrund maßgeblich geprägt wie instrumentalisiert. Fofanas rückt die visuelle Erfahrung innerhalb des verspiegelten Raumes in den Hintergrund, stattdessen geht es um das Erleben von Zeit, nichtlineares und nichthierarchisches Denken sowie die Grenze zwischen Musik und Geräusch. Die räumliche und zeitliche Desorientierung lässt fixe Ordnung brüchig werden und ist ein Appell des Künstlers an unsere Vorstellungskraft.
Ungewöhnliche Blickachsen und Perspektiven, bewusste Begrenzungen der natürlichen Raumabfolgen sowie die Platzierung von Kunstwerken außerhalb des gewohnten Blickfeldes definieren die räumliche Organisation innerhalb der gesamten Ausstellung. Diese kuratorischen Setzungen zeugen von einem feinen Gespür für Betonungen, Pausen und Zeitlichkeit. Trotz der dichten inhaltlichen Bezüge wirkt die Ausstellung nie überladen, sondern Seerieder lässt den einzelnen künstlerischen Stimmen Freiraum zur Entfaltung. Die ausgewählten künstlerischen Positionen reagieren auf die vielschichtigen historischen Bedeutungen des Gebäudes, wodurch nicht auf den ersten Blick sicht- und hörbare Nuancen in den Vordergrund rücken. Dabei nehmen die diversen narrativen Bögen langsam – über Ausstellungsräume und Geschosse hinweg – Gestalt an und man ist regelrecht angehalten, ihnen nachzuspüren. Ideen und Gedanken bleiben konstant in Bewegung, treten miteinander in Dialog und hallen nach. Es geht in der Ausstellung eben nicht nur um Sprache, sondern auch um das genaue Hin- und Zuhören.
[1] “Transmuting text into sound” in: Need, Jim C.: The Changing Same: A Conversation with Lamin Fofana https://flash---art.com/2020/04/listening-in-2-lamin-fofana-jim-nedd/
Words Don't Go There
01/07 – 03/10/2023
Curated by Benedikt Johannes Seerieder
Participating artists
Pauline Boudry / Renate Lorenz, Nina Emge, Lamin Fofana, Barbara Kapusta, Ndayé Kouagou, Tarek Lakhrissi, Julia Phillips
Kunstverein Braunschweig
Lessingplatz 12
38100 Braunschweig